Soldaten-sind-Mörder-Fall (BVerfG, 25.08.1994): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Soldaten-sind-Mörder-Fall (BVerfG, 25.08.1994): Ein Demonstrant hält ein Plakat mit der Aufschrift "Soldaten sind Mörder" hoch. Ein Bundeswehroffizier ist darüber empört.

Bundeswehroffizier O fühlt sich durch die Äußerung des Pazifisten P in seiner Ehre verletzt und stellt Strafantrag. P wird daraufhin wegen Beleidigung (§ 185 StGB) verurteilt. P ist empört und rügt eine Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Einordnung des Falls

Bundeswehroffizier O fühlt sich durch die Äußerung des Pazifisten P, "Soldaten sind Mörder", in seiner Ehre verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Verurteilung des P wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB wegen seiner Äußerung "Soldaten sind Mörder" die Meinungsfreiheit des P verletzt. Die Äußerung des P kann auch gedeutet werden als kritische Äußerung gegen das Töten bei der Kriegsführung schlechthin. Denn es ist nicht erkennbar, dass P seine Kritik ausschließlich auf die Kriegsführung der Soldaten der Bundeswehr bezieht. Die Äußerung ist ebenso auf alle Soldaten weltweit bezogen deutbar. Die Subsumtion der Äußerung des P unter § 185 StGB durch die Fachgerichte ist nicht mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, da eine „meinungsfreundlichere“ Interpretation möglich gewesen wäre.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ vom Schutzbereich der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) umfasst?

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Ja, in der Tat!

Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schützt die Meinung. Sie beschreibt ein subjektives Werturteil des sich Äußernden, geprägt durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens. Im Gegensatz dazu sind reine Tatsachenbehauptungen ohne wertende Elemente nicht geschützt. Die Abgrenzung ist durch Auslegung des Einzelfalles vorzunehmen (Epping, Grundrechte, 7.A. 2017, RdNr. 213f.).Hier behauptet P mit seiner Aussage erkennbar nicht, dass alle Soldaten vorsätzlich und rechtswidrig einen Mord (§ 211 StGB) begangen haben. Vielmehr wird die Tatsache, dass Soldaten im Krieg andere Menschen töten (müssen), von P kritisch bewertet. Damit handelt es sich um eine Meinung.

2. Ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet? Kann es nur zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts eingeschränkt werden?

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Nein!

Die Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Es gilt der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG. Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

3. Ist § 185 StGB ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG?

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Genau, so ist das!

Ein allgemeines Gesetz richtet sich nicht gegen eine Meinung als solche, sondern dient vielmehr dem Schutz eines schlechthin ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts (Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15.A. 2018, Art. 5 RdNr. 67). § 185 StGB schützt die persönliche Ehre, die im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG selbst grundrechtlichen Schutz genießt. Nach Ansicht des BVerfG ist aber aufgrund der weiten Auslegung des Begriffs „allgemeines Gesetz“ das Recht der persönlichen Ehre regelmäßig mit umfasst.

4. Kann § 185 StGB nicht als Schranke der Meinungsfreiheit herangezogen werden? Ist die Norm materiell verfassungswidrig, da sie zu unbestimmt ist und somit gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt?

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Nein, das trifft nicht zu!

§ 185 StGB benennt den Straftatbestand lediglich mit dem Begriff der Beleidigung. BVerfG: Dennoch habe dieser Begriff aufgrund der langjährigen und im Wesentlichen einhelligen Rechtsprechung einen hinreichend klaren Inhalt. Somit hätten Gerichte ausreichende Vorgaben für die Anwendung der Norm, und auch der Normadressat wisse, wann mit einer Bestrafung wegen Beleidigung zu rechnen ist.

5. Stellt die Meinungsäußerung des P eine (verbotene) Schmähkritik dar? Muss P's Meinungsfreiheit daher zurücktreten?

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Nein!

Bei der Schmähkritik tritt die Meinungsfreiheit stets hinter der persönlichen Ehre der Adressaten der Schmähkritik zurück, eine Abwägung findet nicht statt. Dafür muss aber eine Äußerung vorliegen, bei der nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Verletzung einer Person im Vordergrund steht.Hier ging es dem P aber hauptsächlich um die Kritik an einem öffentlichen Thema (Kriegsführung). Insbesondere wenn sich die Meinungsäußerung auf Personengruppen bezieht, besteht laut BVerfG eine Vermutung, dass die Äußerung nicht von der Diffamierung der Personen geprägt wird, sondern an die von ihnen wahrgenommene Tätigkeit anknüpft.

6. Muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bei mehrdeutigen Äußerungen derjenigen Deutung der Vorzug gegeben werden, die mit anderen Rechtsgütern nicht in Konflikt gerät (Wechselwirkungslehre)?

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Genau, so ist das!

Die Wechselwirkungslehre (Schranken-Schranke) besagt, dass die sich aus allgemeinen Gesetzen ergebenden Schranken des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ihrerseits im Lichte des Grundrechts und dessen Bedeutung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgelegt werden müssen. Dies bedeutet nicht nur eine verfassungskonforme Normauslegung, sondern eine wohlwollende Auslegung auf Deutungsebene, also schon bei Erfassung und Würdigung der Äußerung (Epping, Grundrechte, 7.A. 2017, RdNr. 249ff.). Somit kann Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG schon dann verletzt sein, wenn ein Gericht von mehreren möglichen Interpretationen diejenige bevorzugt, die zu einer stärkeren Einschränkung der Meinungsfreiheit führt.

7. Ist der Satz "Soldaten sind Mörder" als strafbare Kollektivbeleidigung der Soldaten Bundeswehr zu deuten?

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Äußerung des P kann auch gedeutet werden als kritische Äußerung gegen das Töten bei der Kriegsführung schlechthin. Denn es ist nicht erkennbar, dass P seine Kritik ausschließlich auf die Kriegsführung der Soldaten der Bundeswehr bezieht. Die Äußerung ist ebenso auf alle Soldaten weltweit bezogen deutbar. Die Subsumtion der Äußerung des P unter § 185 StGB durch die Fachgerichte ist nicht mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vereinbar, da eine „meinungsfreundlichere“ Interpretation möglich gewesen wäre. Die Verurteilung des P wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB wegen seiner Äußerung "Soldaten sind Mörder" verletzt die Meinungsfreiheit des P.

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