+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
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Klassisches Klausurproblem
Pferdehändlerin P verkauft Verbraucher V ein Dressurpferd. Drei Monate nach Übergabe zeigt sich eine Vernarbung im Maul, die einen Beritt des Pferdes erschwert. Diese lag bei Übergabe noch nicht vor und wird durch fehlerhafte Haltung verursacht. V ist auch generell mit der "Rittigkeit" des Pferds unzufrieden.
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Einordnung des Falls
Rückabwicklung bei Kaufvertrag über Dressurpferd
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. V könnte ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zustehen (§§ 346 Abs. 1, 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 Alt. 2 BGB).
Genau, so ist das!
Ein Anspruch aus § 346 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) Rücktrittsrecht, (2) Rücktrittserklärung, (3) Kein Ausschluss (§ 442 BGB und § 377 HGB). Ein Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 Alt. 2 BGB setzt dabei voraus: (1) Bestehen eines Kaufvertrags, (2) Vorliegen eines Mangels bei Gefahrübergang (§§ 434f. BGB), (3) Erfolglose Fristsetzung oder Entbehrlichkeit, (4) Keine Unerheblichkeit (§ 323 Abs. 5 BGB), (5) Kein Ausschluss (§ 323 Abs. 6 BGB).
Dass vorliegend ein Verbrauchsgüterkauf vorliegt, sollte nicht bereits unter dem Punkt "Kaufvertrag" erwähnt werden. Relevant wird dies erst für die Anwendbarkeit der §§ 474ff. BGB.
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2. Weicht das Pferd aufgrund der eingeschränkten Rittigkeit (=Akzeptanz reiterlicher Befehle) von der vereinbarten Beschaffenheit ab (§ 434 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB n.F.?
Nein, das trifft nicht zu!
Eine Beschaffenheitsvereinbarung setzt voraus, dass der Verkäufer vertraglich die Gewähr für das Vorhandensein einer Eigenschaft der Kaufsache übernimmt und damit seine Bereitschaft zeigt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen (RdNr. 20).
P und V haben weder ausdrücklich noch konkludent eine bestimmte "Rittigkeit" des Pferds vereinbart.
3. Aufgrund der eingeschränkten Rittigkeit ist das Pferd ungeeignet für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung als Dressurpferd (§§ 434 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 n.F., 90a S. 3 BGB).
Nein!
Bei der vertraglich vorausgesetzten Verwendung geht es um die konkrete Nutzung der Kaufsache durch den Käufer, die die Parteien übereinstimmend unterstellt haben. Anders als bei Sachen kann der Käufer bei einem Tier als Lebewesen aber nicht erwarten, dass dieses einer Idealnorm entspricht (BGH, NJW 2018, 150, 152). Der Verkäufer muss deshalb nicht für jede Abweichung vom Idealzustand einstehen. Vielmehr muss er nur dafür Sorge tragen, dass es (1) nicht krank ist. (2) Auch darf es sich nicht in einem Zustand befinden, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer alsbaldigen Erkrankung führt.
P und V haben die Nutzung als Dressurpferd unterstellt. Die Widersetzlichkeit eines Pferdes ist für sich aber noch keine Krankheit. Sie kann ebenso daraus resultieren, dass Pferd und Reiter nicht zusammenpassen.
4. Hätte die Vernarbung des Mauls bereits bei Gefahrübergang vorgelegen, so wäre das Pferd ungeeignet für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§§ 434 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 n.F., 90a S. 3 BGB).
Genau, so ist das!
Beim Tierkauf kann ein Idealzustand nicht erwartet werden. Der Verkäufer muss - vorbehaltlich anderslautender Beschaffenheitsvereinbarungen - nur dafür Sorge tragen, dass das Tier nicht krank ist. Es darf sich auch nicht in einem Zustand befinden, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer alsbaldigen Erkrankung führt.
P und V haben die Nutzung als Dressurpferd unterstellt. Die Vernarbung ist ein krankhafter Zustand. Hierdurch wird der Beritt und damit das Dressurreiten erschwert. Hätte die Vernarbung bereits bei Übergabe vorgelegen, so wäre das Pferd ungeeignet für die vereinbarte Verwendung. Ein zum Rücktritt berechtigender Mangel läge vor.
5. Obwohl feststeht, dass die akute Vernarbung bei Gefahrübergang nicht vorlag, wird vermutet, dass das Pferd mangelhaft war, wenn zugunsten des V die Beweislastumkehr des § 477 Abs. 1 BGB gilt.
Ja, in der Tat!
Der Käufer muss bei einem Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 BGB) grundsätzlich nur beweisen, dass sich innerhalb von sechs Monaten (§ 477 Abs. 1 S. 2 BGB n.F.) seit Gefahrübergang (irgend-)ein Mangel gezeigt hat. § 477 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. vermutet in zeitlicher Hinsicht, dass dieser konkrete Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag. Steht fest, dass der akute Mangel erst nach Gefahrübergang eingetreten ist, vermutet § 477 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. ferner, dass er auf einem schon bei Gefahrübergang vorliegenden „Grundmangel“ beruht (BGH, NJW 2017, 1093, 1099).
Sofern die Vermutung § 477 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. anwendbar ist, müsste dann P beweisen, dass die später aufgetretene Maulverletzung nicht das Ergebnis einer bei Übergabe bestehenden Vorschädigung ist. 6. Allerdings ist die Vermutung mit einem Tier als Kaufsache unvereinbar (§ 477 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Alt. 1 BGB n.F.).
Nein!
Einerseits unterliegt der gesundheitliche Zustand von Tieren einem durch Veranlagung und Haltung ständig beeinflusstem Wandel, der für eine Vermutungsregel kaum Raum lässt. Dagegen spricht aber der Zweck der Norm, den Verbraucher ob der oft besseren Erkenntnismöglichkeit des Unternehmers zu schützen. Denn auch der gewerbliche Pferdehändler wird häufig besser als der private Käufer den Gesundheitszustand des verkauften Pferdes einschätzen können. Daher ist es vorzugswürdig,
§ 477 Abs. 1 BGB auch auf Tierkäufe anzuwenden und hinsichtlich eines Ausschlusses nach der Art der jeweiligen Krankheit zu differenzieren (BGH, NJW 2006, 2250, 2252).
7. Die Vermutung ist mit der Art des Mangels "Maulvernarbung" unvereinbar (§ 477 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Alt. 2 BGB n.F.).
Genau, so ist das!
Der gesundheitliche Zustand von Tieren unterliegt einem durch Veranlagung und Haltung ständig beeinflusstem Wandel. (BGH, NJW 2006, 2250, 2252). Ein genauer Anfangszeitpunkt ist bei Krankheiten nur selten genau bestimmbar. Maßgebliches Differenzierungskriterium sind dabei die Besonderheiten der Krankheit (bestimmbare Inkubationszeit und äußerliche Erkennbarkeit).
Ausweislich des Sachverhaltes handelt es sich bei der Vernarbung um einen Mangel, der nur aufgrund fehlerhafter, reiterlicher Einwirkung eintreten kann und keinen wahrscheinlichen Rückschluss auf eine (Vor-)Erkrankung bei Gefahrübergang zulässt. Die Vermutung des § 477 Abs. 1 S. 1 BGB n.F. ist hiermit unvereinbar. 8. Steht V ein Rücktrittsrecht zu (§§ 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 Alt. 2 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
Ein Rücktrittsrecht setzt voraus: (1) Bestehen eines Kaufvertrags, (2) Vorliegen eines Mangels bei Gefahrübergang (§§ 434f. BGB), (3) Erfolglose Fristsetzung oder Entbehrlichkeit, (4) Keine Unerheblichkeit (§ 323 Abs. 5 BGB), (5) Kein Ausschluss (§ 323 Abs. 6 BGB).
Bei Gefahrübergang lag kein Sachmangel vor. Auch die Vermutung des § 477 Abs. 1 BGB n.F. greift nicht zugunsten des V.
Auf die sonstigen Rücktrittsvoraussetzungen kommt es daher nicht an.