Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2021

Sachmängelhaftung bei unzutreffender öffentlicher Äußerung über die Eigenschaften der Kaufsache

Sachmängelhaftung bei unzutreffender öffentlicher Äußerung über die Eigenschaften der Kaufsache

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K besichtigt am 01.01.22 ein bebautes Grundstück der V. Am 03.01. teilt er V seinen Kaufwunsch mit. Kurz darauf liest K das (öffentliche) Exposé zum Grundstück. Darin heißt es wahrheitswidrig, ein Gebäudeausbau sei genehmigungsfähig. Am 10.01. schließen K und V den notariellen Kaufvertrag.

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Einordnung des Falls

Sachmängelhaftung bei unzutreffender öffentlicher Äußerung über die Eigenschaften der Kaufsache

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach Übergabe und Übereignung des Grundstücks bemerkt K die fehlende Genehmigungsfähigkeit und verlangt Schadensersatz. Dafür müsste das Grundstück mangelhaft sein.

Ja, in der Tat!

Der BGH hat hier auf die Anspruchsgrundlage der §§ 437 Nr. 3, 281 Abs. 1 S. 1, 280 Abs. 1 und 3 BGB abgestellt (RdNr. 7). Die Voraussetzungen für den Anspruch sind: (1) Kaufvertrag; (2) Mangel bei Gefahrübergang; (3) Fristsetzung oder Entbehrlichkeit der Fristsetzung; (4) Vertretenmüssen; (5) kausaler Schaden. Es liegt hier unseres Erachtens näher, wegen der fehlenden Genehmigungsfähigkeit zunächst Schadensersatz wegen anfänglicher Unmöglichkeit zu prüfen (§§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 BGB). Die Erstinstanz hatte noch ohne weitere Differenzierung „§§ 280, 281, 283 BGB“ geprüft. Im Folgenden halten wir uns an die Lösung des BGH. So eine Nonchalance dürfen sich leider nur die Gerichte leisten! In der Prüfung gilt es natürlich, die Anspruchsgrundlage im Obersatz genau zu benennen und dann präzise durchzuprüfen.
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2. Ob das Grundstück mangelhaft ist, richtet sich nach § 434 BGB.

Ja!

Der neue § 434 BGB unterscheidet in Abs. 1 zwischen den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen, denen eine Kaufsache entsprechen muss. Zu den subjektiven Anforderungen (Abs. 2) gehören die vereinbarte Beschaffenheit, die Eignung für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung und das vereinbarte Zubehör. Die objektiven Anforderungen betreffen u. a. die Eignung für die gewöhnliche Verwendung und die übliche bzw. erwartbare Beschaffenheit. Lies Dir den neuen § 434 BGB, der seit dem 01.01.22 gilt, einmal in Ruhe durch. In den allermeisten Fällen - wie auch in diesem Fall, der noch nach altem Recht entschieden wurde - ergeben sich für die Lösung keine Unterschiede. Schau Dir zur Vertiefung unseren Kaufrechtskurs an.

3. Da der Ausbau der auf dem Grundstück befindlichen Gebäude nicht genehmigungsfähig ist, liegt eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit vor (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Beschaffenheit einer Sache umfasst zum einen Faktoren, die der Sache selbst anhaften, zum anderen auch die Beziehungen der Sache zur Umwelt, die nach der Verkehrsanschauung den Wert der Sache beeinflussen. Vereinbart ist die Beschaffenheit, wenn sich die Parteien darüber vertraglich geeinigt haben (Weidenkaff, in: Grüneberg, 81.A. 2022, § 434 RdNr. 12ff.). Die Genehmigungsfähigkeit von Vorhaben ist eine Beziehung eines Grundstücks zu seiner Umwelt, die sich auf die Beurteilung seiner Werthaltigkeit auswirkt. Allerdings zeigt schon § 434 Abs. 3 Nr. 2 lit. b BGB, dass ein öffentliches Exposé für sich nicht ausreicht, um auch eine Vereinbarung über die Beschaffenheit zu begründen. Weitere Anhaltspunkte für eine vertragliche Einbeziehung der Genehmigungsfähigkeit in den Vertrag sind nicht ersichtlich.

4. Das Grundstück eignet sich jedoch nicht für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung (§ 434 Abs. 2 S.1 Nr. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der Rechtsprechung genügt es für eine vertraglich vorausgesetzte Verwendung, dass die Parteien eine bestimmte Verwendung übereinstimmend unterstellt haben (BGH NJW 2017, 2817). K hat lediglich das Exposé zur Kenntnis genommen. Dafür, dass die Parteien den dort als genehmigungsfähig dargestellten Gebäudeausbau übereinstimmend unterstellt haben, fehlen aber jegliche Anhaltspunkte.

5. Das Grundstück eignet sich nicht für die gewöhnliche Verwendung (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).

Nein!

Was als gewöhnliche Verwendung anzusehen ist, richtet sich nach der Verkehrsanschauung bzw. dem Erwartungshorizont eines vernünftigen Durchschnittskäufers. Dafür ist vor allem der Vergleich mit anderen Sachen der gleichen Gattung maßstabsbildend (Faust, in: BeckOK BGB, 59.E. 2021, § 434 RdNr. 59f.). Es existiert keine allgemeine Verkehrsanschauung dazu, inwieweit der Ausbau bereits vorhandener Gebäude genehmigungsfähig sein muss. Auch ein Vergleich mit anderen Grundstücken ist wegen der Einzelfallbezogenheit des öffentlichen Baurechts nicht sinnvoll möglich. Es lässt sich deshalb nicht positiv feststellen, dass sich das Grundstück nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet.

6. In Betracht kommt ein Abweichen von der üblichen bzw. erwartbaren Beschaffenheit (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB). Diese Beschaffenheit kann durch öffentliche Exposés mitbestimmt werden.

Genau, so ist das!

Nach § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB gehört zu den objektiven Anforderungen der Kaufsache auch die Beschaffenheit, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers erwarten darf. Zu den Äußerungen in diesem Sinne zählen auch Angaben in einem öffentlich verfügbaren Exposé (BGH NJW 2018, 1954).

7. Trotz des Abweichens der Grundstücksbeschaffenheit vom Exposé liegt kein Mangel vor. Da K den Kaufentschluss schon vor Sichtung des Exposés fasste, greift der Ausschlussgrund des § 434 Abs. 3 S. 3 a. E. BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Weicht die Beschaffenheit der Kaufsache von der aus öffentlichen Äußerungen folgenden Sollbeschaffenheit ab, ist dies gemäß § 434 Abs. 3 S. 3 a. E. BGB unschädlich, wenn die Äußerung die Kaufentscheidung nicht beeinflussen konnte. BGH: Mit „Kaufentscheidung“ im Sinne der Norm sei nicht der Zeitpunkt des erstmaligen Kaufentschlusses des Käufers gemeint, sondern der Zeitpunkt, in dem er seine auf den Kaufvertragsschluss gerichtete Willenserklärung notariell beurkundet werde (RdNr. 13) Somit kann der Ausschlussgrund des § 434 Abs. 3 S. 3 a.E. BGB nicht bereits deshalb greifen, weil K schon vor Kenntnisnahme des Exposés einen Kaufentschluss gefasst hat.

8. Es ist aber naheliegend, dass das Exposé den bereits zum Kauf entschlossenen K bei Abgabe seines notariell beurkundeten Kaufangebots nicht mehr beeinflusst hat, sodass § 434 Abs. 3 S. 3 a.E. BGB dennoch greift.

Nein!

BGH: Entscheidend sei nicht, ob die öffentliche Äußerung die Kaufentscheidung voraussichtlich beeinflusst habe. Vielmehr müsse der Verkäufer beweisen, dass eine Beeinflussung der Entscheidung des Käufers durch die öffentliche Äußerung ausgeschlossen war. Eine Beeinflussung liege schon dann vor, wenn der Käufer die Äußerung in seine Abwägung für und gegen den Kauf einbezogen habe (RdNr. 11). Die Beweislast folgt hier direkt aus der Gesetzesformulierung: Die Beeinflussungsmöglichkeit ist nämlich nicht als positives Tatbestandsmerkmal eines Mangels aufgeführt, sondern als Ausschlussgrund, dessen Voraussetzungen diejenige Partei beweisen muss, die sich auf ihn beruft. Das ist hier der Verkäufer.

9. Solange V nicht darlegt und beweist, dass die Genehmigungsfähigkeit des Gebäudeausbaus für K völlig irrelevant war, ist das Grundstück als mangelhaft gemäß § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 lit. b BGB anzusehen.

Genau, so ist das!

BGH: Insbesondere bei einem Grundstückskauf stehe es den Parteien grundsätzlich frei, bis zur notariellen Beurkundung ihrer Willenserklärungen jederzeit und ohne besondere Begründung vom Vertragsschluss Abstand zu nehmen. Folglich sei das Exposé grundsätzlich dazu geeignet gewesen, den bereits bestehenden Entschluss des K zu verfestigen und so seine Kaufentscheidung zu beeinflussen. Dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelte, sei nicht ersichtlich (RdNr. 14f.).

10. Das Grundstück ist mangelhaft. Vorbehaltlich der weiteren Voraussetzungen der §§ 437 Nr. 3, 311a Abs. 2 BGB kann K von V Schadensersatz verlangen.

Ja, in der Tat!

Das Vertretenmüssen der V wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Ggf. müsste K der V noch eine Frist zur Nacherfüllung setzen (auch hier gilt: Die Nacherfüllung dürfte regelmäßig anfänglich unmöglich sein, sodass gemäß § 311a Abs. 2 BGB keine Fristsetzung erforderlich wäre). Ein kausaler Schaden des K liegt in dem mangelbedingten Minderwert des nicht ausbaufähigen Grundstücks. Stellt sich zudem heraus, dass V hinsichtlich des falschen Exposés Arglist vorzuwerfen ist, kommen nach der Rechtsprechung auch Ansprüche des K aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB) sowie aus § 826 BGB und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB in Betracht. Auch auf einen etwaigen Gewährleistungsausschluss kann sich V dann nicht mehr berufen (§ 444 BGB).
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