Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2021
"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden
"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft von V ein bebautes Grundstück für €80.000. Sie vereinbaren im Kaufvertrag, dass V verpflichtet ist, später auftretende Feuchtigkeitsmängel im Schlafzimmer zu beseitigen. Nach Übergabe tritt im Schlafzimmer Feuchtigkeit auf. K fordert V erfolglos unter Fristsetzung zur Beseitigung auf. Als V weiter untätig bleibt, verlangt K von ihm Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von €8.000.
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Einordnung des Falls
"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K verlangt von V „großen“ Schadensersatz statt der Leistung.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Voraussetzungen des §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB liegen dem Grunde nach vor.
Ja, in der Tat!
3. Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH konnte der Käufer die Mängelbeseitigungskosten schon vor der tatsächlichen Mängelbeseitigung verlangen („fiktive Mängelbeseitigungskosten“).
Ja!
4. Auch im Werkvertragsrecht besteht grundsätzlich die Möglichkeit des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung.
Genau, so ist das!
5. Im Werkvertragsrecht kann der Besteller fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt verlangen.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Im Gleichlauf mit dem Werkvertragsrecht kann der Käufer im Kaufrecht ebenfalls fiktive Mängelbeseitigungskosten nicht ersetzt verlangen.
Nein!
7. Will ein Senat von einem anderen abweichen, muss der Große Senat entscheiden.
Genau, so ist das!
8. Weil der V. Senat mit seiner Entscheidung vom VII. Senat abweicht, hätte der Große Senat für Zivilsachen wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 GVG) angerufen werden müssen.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Ira
17.4.2021, 10:06:39
"Insbesondere stehe dem Käufer anders als im WVsrecht kein Vorschussanspruch zu" und dann heißt es "es sei nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsse-(ausgenommen die Umsatzsteuer)" die Sätze widersprechen sich. Wie kann dem Käufer etwas nicht zustehen, wenn es nicht vertretbar ist, dass er es doch selbst vorfinanzieren müsse?!
Camus
17.4.2021, 12:51:56
... und deshalb besteht der Anspruch auf fiktive Mängelbeseitungskosten im Kaufrecht. (Damit der Käufer eben nicht vorfinanzieren muss.)
Lukas_Mengestu
20.4.2021, 17:17:13
Hallo Ira, der erste Satz bezieht sich darauf, dass in § 637 III BGB ein Vorschussanspruch des Bestellers im Werkvertragsrecht geregelt ist, den das Kaufrecht nicht kennt. Daraus folgert der V. Senat des BGH (in Anlehnung an den entsprechenden Hinweis des VII. Senates), dass insoweit Kaufrecht und Werkvertragsrecht nicht vollkommen gleichlaufen, weswegen - wie Camus auch schon ausgeführt hat - im Kaufrecht der Anspruch auf Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigungskosten weiterhin möglich bleibt. Denn andernfalls müsste der Käufer regelmäßig die Mängelbeseitigung vorfinanzieren. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Unberechtigter Untervermieter
21.5.2021, 10:29:16
Bei den Voraussetzungen des §§ 280 I, III, 281 fehlt, dass ein fälliger und durchsetzbarer Anspruch bestehen muss.
Lukas_Mengestu
22.12.2021, 18:07:44
Hallo unberechtigter Untervermieter, der fällige und durchsetzbare Anspruch wird als Unterpunkt der "Nichterbringung der geschuldeten Leistung" behandelt. Denn die Erbringung der Leistung ist nur geschuldet, wenn sie fällig und durchsetzbar ist. Ansonsten ist die Nichterbringung keine Pflichtverletzung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jeylastar
13.8.2021, 12:04:52
Inwieweit muss man das in die Klausur einbauen? Man erklärt doch nicht wie das mit den Senaten abläuft oder? Wahrscheinlich war das für die mündliche Prüfung gedacht
Ferdinand
13.8.2021, 20:30:18
Grundsätzlich hast du natürlich recht, dass das „Hin-und-Her“ zwischen zwei BGH-Seanten nicht zum materiell erwarteten Wissen zählt. M. E. ist der Streit, ob und wann
fiktive Mängelbeseitigungskostenersetzt werden können bzw. der Unterschied zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht, aber so exponiert, dass durchaus vertieftest Wissen dazu vorausgesetzt wird (jedenfalls im Examen) - eben gerade weil sich die jeweiligen BGH Senate hier auf den ersten Blick widersprechen. In meinen Augen kann man das vor dem Hintergrund der BGH Rechtsprechung aber gut in der Klausur darstellen, daher ist das Wissen (auch wenn es nicht materiellrechtlich ist) sicherlich hilfreich.
Lukas_Mengestu
5.11.2021, 13:45:32
Hallo ihr beiden, in der Tat müsst ihr das nicht 1:1 so in der Klausur umsetzen. Die ausführliche Behandlung des Weges dient hier aber zum einen dem Verständnis und stellt zum anderen juristisches Allgemeinwissen. Denn die Entscheidung des V. Senates wurde lange mit Spannung erwartet. Die wesentlichen Argumente des V. Senates kann man aber durchaus bringen, wenn man
fiktive Mängelbeseitigungskostenim Kaufrecht prüft. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Melanie 🐝
4.9.2021, 16:03:44
Warum genau wird das denn jetzt im Werkvertragsrecht und im Kaufrecht verschieden behandelt? Also was ist der Grund dafür? Hier wären auch die blauen Klausurtipps gut, damit man weiß, wie man damit umzugehen hat
Lukas_Mengestu
30.11.2021, 12:51:32
Hallo Melanie, vielen Dank für Deine Frage. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass man im Werkvertragsrecht als Besteller ein
Selbstvornahmerecht hat und sich die Kosten für die Reparatur im Wege des Vorschusses erstatten lassen kann (§ 637 Abs. 3 BGB). Die Reihenfolge ist also: 1) Feststellung des Mangels, 2) Vorschuss beantragen, 3) Reparatur. Im Kaufrecht hat der Verkäufer dagegen zunächst einmal das Recht zur Nacherfüllung. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so kann der Kunde Schadensersatz verlangen. Das Problem ist, einen gesonderten Vorschussanspruch gibt es hier nicht. Könnte er jetzt nicht fiktiv abrechnen, so ergäbe sich die folgende Reihenfolge: 1) Entdeckung des Mangels, 2) gescheiterte Nacherfüllung, 3) Reparatur durch den Käufer = finanziert durch sein eigenes Geld, 4) Geltendmachung des konkreten Schadens (=aufgewendete Reparaturkosten). Da dem Käufer aber nicht zuzumuten ist, zunächst selbst in Vorleistung zu treten und darauf zu hoffen, dass der Verkäufer nicht zwischenzeitlich insolvent geht, billigt man ihm im Kaufrecht weiterhin die Möglichkeit zu, die fiktiven Reparaturkosten zu ersetzen. Dann kann er nämlich zuerst Schadensersatz verlangen und im Anschluss daran mit dem erhaltenen Geld die Reparatur durchführen lassen (oder auch nicht, die Entscheidung obliegt ihm). In der Klausur ist diese Frage beim Prüfungspunkt Schaden zu prüfen. Liegt im Werkvertragsrecht noch kein konkreter Schaden vor, so scheidet ein Anspruch aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Magie99Capona
27.5.2024, 16:58:20
ich finde die letzte frage ein wenig missverständlich. Ihr sagt zuvor ,dass wenn zwei Senate voneinander abweichen, der große Senat angerufen werden muss. Bei der letzte Frage verneint ihr dies dann aber und bezieht euch, obwohl die Frage im konjunktiv gestellt ist, darauf wie es tatsächlich ablief. Habe ich da nur einen denkfehler?
Bioshock Energy
29.9.2024, 13:11:14
Hier wird die Frage, ob der Besteller
fiktive Mängelbeseitigungskostenim Werkvertragsrecht ersetzt verlangen kann verneint. Ich bin aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 637 III BGB darüber relativ überrascht. Im Prinzip kann er das durch die Vorschusspflicht doch, oder?
Rechtsanwalt B. Trüger
9.10.2024, 14:32:28
Der Unterschied liegt insbesondere darin, dass der Käufer im Kaufrecht das erhaltene Geld nicht tatsächlich für die Reparatur aufwenden muss, sondern damit verfahren kann wie er möchte. Im Werkvertragsrecht muss das Geld tatsächlich für die Beseitigung des Mangels eingesetzt werden, weshalb die Kosten dann nicht mehr fiktiv sind. D.h. Kosten bleiben so lange fiktiv, bis sie tatsächlich aufgewendet/gezahlt werden. Aus dem Wortlaut des § 637 Abs. 3 BGB ergibt sich das meiner Meinung nach auch. "Die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen Vorschuss verlangen". Der Wortlaut lässt durchdringen, dass diese Aufwendungen auch tatsächlich aufgewendet werden muss, wenn auch erst vielleicht beim dritten oder vierten lesen🙂. Wenn sie dann aufgewendet wurden sind sie ja nicht mehr fiktiv. Ich hoffe ich konnte Dir weiterhelfen!