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"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden
"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden
3. November 2025
29 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft von V ein bebautes Grundstück für €80.000. Sie vereinbaren im Kaufvertrag, dass V verpflichtet ist, später auftretende Feuchtigkeitsmängel im Schlafzimmer zu beseitigen. Nach Übergabe tritt im Schlafzimmer Feuchtigkeit auf. K fordert V erfolglos unter Fristsetzung zur Beseitigung auf. Als V weiter untätig bleibt, verlangt K von ihm Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von €8.000.
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Einordnung des Falls
"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K verlangt von V „großen“ Schadensersatz statt der Leistung.
Nein, das ist nicht der Fall!
2. Die Voraussetzungen des §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB liegen dem Grunde nach vor.
Ja, in der Tat!
3. Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH konnte der Käufer die Mängelbeseitigungskosten schon vor der tatsächlichen Mängelbeseitigung verlangen („fiktive Mängelbeseitigungskosten“).
Ja!
4. Auch im Werkvertragsrecht besteht grundsätzlich die Möglichkeit des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung.
Genau, so ist das!
5. Im Werkvertragsrecht kann der Besteller fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt verlangen.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Im Gleichlauf mit dem Werkvertragsrecht kann der Käufer im Kaufrecht ebenfalls fiktive Mängelbeseitigungskosten nicht ersetzt verlangen.
Nein!
7. Will ein Senat von einem anderen abweichen, muss der Große Senat entscheiden.
Genau, so ist das!
8. Weil der V. Senat mit seiner Entscheidung vom VII. Senat abweicht, hätte der Große Senat für Zivilsachen wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 GVG) angerufen werden müssen.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Ira
17.4.2021, 10:06:39
"Insbesondere stehe dem Käufer anders als im WVsrecht kein Vorschussanspruch zu" und dann heißt es "es sei nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsse-(ausgenommen die Umsatzsteuer)" die Sätze widersprechen sich. Wie kann dem Käufer etwas nicht zustehen, wenn es nicht vertretbar ist, dass er es doch selbst vorfinanzieren müsse?!
Camus
17.4.2021, 12:51:56
... und deshalb besteht der Anspruch auf fiktive Mängelbeseitungskosten im
Kaufrecht. (Damit der Käufer eben nicht vorfinanzieren muss.)
Lukas_Mengestu
20.4.2021, 17:17:13
Hallo Ira, der erste Satz bezieht sich darauf, dass in § 637 III BGB ein Vorschussanspruch des Bestellers im Werkvertragsrecht geregelt ist, den das
Kaufrechtnicht kennt. Daraus folgert der V. Senat des BGH (in Anlehnung an den entsprechenden Hinweis des VII. Senates), dass insoweit
Kaufrechtund Werkvertragsrecht nicht vollkommen gleichlaufen, weswegen - wie Camus auch schon ausgeführt hat - im
Kaufrechtder Anspruch auf Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigungskosten weiterhin möglich bleibt. Denn andernfalls müsste der Käufer regelmäßig die Mängelbeseitigung vorfinanzieren. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Unberechtigter Untervermieter
21.5.2021, 10:29:16
Bei den Voraussetzungen des §§ 280 I, III, 281 fehlt, dass ein fälliger und durchsetzbarer Anspruch bestehen muss.
Lukas_Mengestu
22.12.2021, 18:07:44
Hallo unberechtigter Untervermieter, der fällige und durchsetzbare Anspruch wird als Unterpunkt der "Nichterbringung der geschuldeten Leistung" behandelt. Denn die Erbringung der Leistung ist nur geschuldet, wenn sie fällig und durchsetzbar ist. Ansonsten ist die Nichterbringung keine
Pflichtverletzung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jeylastar
13.8.2021, 12:04:52
Inwieweit muss man das in die Klausur einbauen? Man erklärt doch nicht wie das mit den Senaten abläuft oder? Wahrscheinlich war das für die mündliche Prüfung gedacht
Ferdinand
13.8.2021, 20:30:18
Grundsätzlich hast du natürlich recht, dass das „Hin-und-Her“ zwischen zwei BGH-Seanten nicht zum materiell erwarteten Wissen zählt. M. E. ist der Streit, ob und wann
fiktive Mängelbeseitigungskostenersetzt werden können bzw. der Unterschied zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht, aber so exponiert, dass durchaus vertieftest Wissen dazu vorausgesetzt wird (jedenfalls im Examen) - eben gerade weil sich die jeweiligen BGH Senate hier auf den ersten Blick widersprechen. In meinen Augen kann man das vor dem Hintergrund der BGH Rechtsprechung aber gut in der Klausur darstellen, daher ist das Wissen (auch wenn es nicht materiellrechtlich ist) sicherlich hilfreich.
Lukas_Mengestu
5.11.2021, 13:45:32
Hallo ihr beiden, in der Tat müsst ihr das nicht 1:1 so in der Klausur umsetzen. Die ausführliche Behandlung des Weges dient hier aber zum einen dem Verständnis und stellt zum anderen juristisches Allgemeinwissen. Denn die Entscheidung des V. Senates wurde lange mit Spannung erwartet. Die wesentlichen Argumente des V. Senates kann man aber durchaus bringen, wenn man
fiktive Mängelbeseitigungskostenim
Kaufrechtprüft. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Melanie 🐝
4.9.2021, 16:03:44
Warum genau wird das denn jetzt im Werkvertragsrecht und im
Kaufrechtverschieden behandelt? Also was ist der Grund dafür? Hier wären auch die blauen Klausurtipps gut, damit man weiß, wie man damit umzugehen hat
Lukas_Mengestu
30.11.2021, 12:51:32
Hallo Melanie, vielen Dank für Deine Frage. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass man im Werkvertragsrecht als Besteller ein Selbstvornahmerecht hat und sich die Kosten für die Reparatur im Wege des Vorschusses erstatten lassen kann (§ 637 Abs. 3 BGB). Die Reihenfolge ist also: 1) Feststellung des Mangels, 2) Vorschuss beantragen, 3) Reparatur. Im
Kaufrechthat der Verkäufer dagegen zunächst einmal das Recht zur Nach
erfüllung. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so kann der Kunde
Schadensersatz verlangen. Das Problem ist, einen gesonderten Vorschussanspruch gibt es hier nicht. Könnte er jetzt nicht fiktiv abrechnen, so ergäbe sich die folgende Reihenfolge: 1) Entdeckung des Mangels, 2) gescheiterte Nach
erfüllung, 3) Reparatur durch den Käufer = finanziert durch sein eigenes Geld, 4) Geltendmachung des konkreten
Schadens (=aufgewendete Reparaturkosten). Da dem Käufer aber nicht zuzumuten ist, zunächst selbst in Vorleistung zu treten und darauf zu hoffen, dass der Verkäufer nicht zwischenzeitlich insolvent geht, billigt man ihm im
Kaufrechtweiterhin die Möglichkeit zu, die fiktiven Reparaturkosten zu ersetzen. Dann kann er nämlich zuerst
Schadensersatz verlangen und im Anschluss daran mit dem erhaltenen Geld die Reparatur durchführen lassen (oder auch nicht, die Entscheidung obliegt ihm). In der Klausur ist diese Frage beim Prüfungspunkt
Schadenzu prüfen. Liegt im Werkvertragsrecht noch kein konkreter
Schadenvor, so scheidet ein Anspruch aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
sparfüchsin
14.9.2025, 23:01:50
Also ist die Wertung in beiden Fällen eigentlich gleich: Käufer/Besteller soll nicht die Nach
erfüllungaus eigener Tasche bezahlen müssen. Nur der Weg hat unterschiedlich, weil WV Vorschuss kennt und KV nicht.
Magie99Capona
27.5.2024, 16:58:20
ich finde die letzte frage ein wenig missverständlich. Ihr sagt zuvor ,dass wenn zwei Senate voneinander abweichen, der große Senat angerufen werden muss. Bei der letzte Frage verneint ihr dies dann aber und bezieht euch, obwohl die Frage im konjunktiv gestellt ist, darauf wie es tatsächlich ablief. Habe ich da nur einen denkfehler?
Bioshock Energy
29.9.2024, 13:11:14
Hier wird die Frage, ob der Besteller
fiktive Mängelbeseitigungskostenim Werkvertragsrecht ersetzt verlangen kann verneint. Ich bin aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 637 III BGB darüber relativ überrascht. Im Prinzip kann er das durch die Vorschusspflicht doch, oder?
Rechtsanwalt B. Trüger
9.10.2024, 14:32:28
Der Unterschied liegt insbesondere darin, dass der Käufer im
Kaufrechtdas erhaltene Geld nicht tatsächlich für die Reparatur aufwenden muss, sondern damit verfahren kann wie er möchte. Im Werkvertragsrecht muss das Geld tatsächlich für die Beseitigung des Mangels eingesetzt werden, weshalb die Kosten dann nicht mehr fiktiv sind. D.h. Kosten bleiben so lange fiktiv, bis sie tatsächlich aufgewendet/gezahlt werden. Aus dem Wortlaut des § 637 Abs. 3 BGB ergibt sich das meiner
Meinungnach auch. "Die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen Vorschuss verlangen". Der Wortlaut lässt durchdringen, dass diese Aufwendungen auch tatsächlich aufgewendet werden muss, wenn auch erst vielleicht beim dritten oder vierten lesen🙂. Wenn sie dann aufgewendet wurden sind sie ja nicht mehr fiktiv. Ich hoffe ich konnte Dir weiterhelfen!
Josef K
9.9.2025, 11:55:55
Vielleicht eine hilfreiche Folgefrage zur Ergänzung: Aus welcher Anspruchgsgrundlage kann der Unternehmer gegen den Besteller vorgehen, wenn der Besteller einen Vorschuss nach § 637 III BGB verlangt und das Geld nicht für die Reparatur aufwendet? "Da der Vorschuss wegen §637 nicht rechtsgrundlos geleistet wurde, ergibt sich der Anspruch nicht aus
Bereicherungsrecht, sondern aus ergänzender Auslegung des Werkvertrags, nach anderer Ansicht analog § 667 Fall 1. Das Unterlassen der Mängelbeseitigung führte zu einer Zweckverfehlung der Vorschussleistung und damit zu deren Rückforderbarkeit. Dieser Anspruch verjährt nicht nach § 634a, sondern gem. § 195." (Medicus/Petersen Rn 317c)
Rechtsanwalt B. Trüger
9.9.2025, 15:20:51
Hallo @[Josef K](226921), Vielen Dank für den Impuls. Was ich mich nur Frage ist wieso auch § 812 Abs. 1 S.2 BGB ausgeschlossen sein sollte. Der Medicus spricht ja sogar anscheinend explizit von einer Zweckverfehlung. Wurde dazu weiter ausgeführt, oder habe ich einen Denkfehler?
Josef K
9.9.2025, 16:13:05
Hallo @[Rechtsanwalt B. Trüger](208842), vielleicht liest Du nochmal den ersten Neben- und Hauptsatz des Zitats ;)
Josef K
9.9.2025, 19:48:29
Hallo Rechtsanwalt B. Trüger, guter Punkt, § 812 Abs. 1 S. 2 BGB müsste in dem von mir pauschal gebildeten Fall grundsätzlich auch funktionieren, deshalb war das Zitat vielleicht ein wenig misslich, Verzeihung. Die Ausführungen von Medicus beziehen sich aber auf folgendes spezielles Beispiel: B erwirkte gegen U einen Titel auf Zahlung eines Vorschusses zur Beseitigung von Werkmängeln, ließ diese aber nicht binnen angemessener Frist beseitigen. Er selbst führt das nicht aus, das Urteil ist noch ein bisschen vertrackter, aber dort heißt es die Rechtskraft dem Anspruch aus § 812 BGB entgegensteht. https://openjur.de/u/70948.html
Rechtsanwalt B. Trüger
10.9.2025, 12:01:57
@[Josef K](226921) ich verstehe. Vielen Dank!
Magnum
21.7.2025, 15:33:35
Ich habe noch eine Frage zu den Voraussetzungen des
Schadensersatzanspruchs. Die Mangelhaftigkeit müsste ja eigentlich bei Gefahrübergang bestehen. Die Feuchtigkeit tritt aber erst nach Übergabe auf und lässt sich nicht auf einen bereits bestehenden Grundmangel zurückführen. Muss man also die Vereinbarung der beiden, dass V für die Feuchtigkeit einzustehen hat, als vertragliche Bestimmung des Gefahrübergangs bezüglich der Feuchtigkeit sehen? Oder ist es eher eine Garantie? Ich stehe hier irgendwie gerade auf dem Schlauch. Vielen Dank
charlott9
29.9.2025, 11:00:40
Ich verstehe nicht, welche Norm des
Schadensrechtim haftungsausfüllenden Tatbestand für die fiktiven Kosten herangezogen wird. § 249 ist nicht anwendbar, weil es sich um
Schadensersatz satt der Leistung handelt. Daher müsste dann § 251 anwendbar sein. Aber danach bekäme der Geschädigte doch lediglich den Wertersatz und nicht die fiktiven Mängelbeseitigungskosten. Daher könnte § 251 auch nicht für die fiktiven Kosten herangezogen werden. Auf welche Norm des
Schadensrechtstützen sich die fiktiven Beseitigungskosten stattdessen?
Foxxy
29.9.2025, 11:00:49
Die Ersatzfähigkeit der fiktiven Mängelbeseitigungskosten im
Kaufrechtstützt sich auf die Kombination von §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB. Der Käufer kann als kleinen
Schadensersatz die Kosten verlangen, die zur Mängelbeseitigung objektiv erforderlich wären, unabhängig davon, ob er den Mangel tatsächlich beseitigen lässt. Der
Schadenbemisst sich dann nach dem hypothetischen Herstellungsaufwand, wobei § 249 Abs. 2 S. 1 BGB entsprechend herangezogen wird. § 251 BGB ist nur relevant, wenn eine
Naturalrestitutionunmöglich ist, was hier aber nicht der Fall ist. Die aktuelle BGH-Rechtsprechung (V ZR 33/19) bestätigt ausdrücklich diese Möglichkeit im
Kaufrecht.
Hummel109
21.10.2025, 12:11:39
Hallo in die Runde, die Argumentation, dem Käufer stünde kein Anspruch auf Vorschuss wundert mich. Ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus § 439 Abs. 2 BGB? (vgl. Grüneberg 439 Rn. 13 unten). Falls das so wäre griffe jedenfalls m.E. das Argument nicht, dass ein Gleichlauf zwischen Werk- und Kaufvertragsrecht bei der fiktiven
Schadensberechnung unbillig wäre… was habe ich übersehen?
Foxxy
21.10.2025, 12:11:43
§ 439 Abs. 2 BGB regelt zwar den Vorschussanspruch, gilt aber nur für die Nach
erfüllung, also wenn du als Käufer die Mängelbeseitigung vom Verkäufer verlangst. Wenn du stattdessen
Schadensersatz verlangst (wie im Fall des kleinen
Schadensersatzes nach § 281 BGB), gibt es im
Kaufrechtkeinen allgemeinen Vorschussanspruch. Deshalb besteht auch kein Gleichlauf zum Werkvertragsrecht, wo der Besteller einen Vorschuss zur Selbstvornahme verlangen kann (§ 637 Abs. 3 BGB). Die Rechtsprechung des BGH bleibt dabei: Im
Kaufrechtkannst du weiterhin
fiktive Mängelbeseitigungskostenals
Schadensersatz verlangen, aber einen Vorschussanspruch analog Werkvertragsrecht gibt es nicht.
