Zivilrecht

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Entscheidungen von 2021

"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden

"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

K kauft von V ein bebautes Grundstück für €80.000. Sie vereinbaren im Kaufvertrag, dass V verpflichtet ist, später auftretende Feuchtigkeitsmängel im Schlafzimmer zu beseitigen. Nach Übergabe tritt im Schlafzimmer Feuchtigkeit auf. K fordert V erfolglos unter Fristsetzung zur Beseitigung auf. Als V weiter untätig bleibt, verlangt K von ihm Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von €8.000.

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Einordnung des Falls

"Fiktive" Mängelbeseitigungskosten können im Kaufrecht weiterhin verlangt werden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K verlangt von V „großen“ Schadensersatz statt der Leistung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Beim großen Schadensersatz bzw. Schadensersatz statt der ganzen Leistung gibt der Käufer die Leistung zurück und verlangt Geldersatz in Höhe des Gesamtwerts der geschuldeten Leistung (§ 281 Abs. 1 S. 3 BGB). Beim kleinen Schadensersatz behält der Gläubiger die Leistung und fordert daneben Schadensersatz für die Pflichtverletzung. Der Schuldner kann, wenn die Voraussetzungen vorliegen, frei wählen, ob er kleinen oder großen Schadensersatz verlangt. K will das bebaute Grundstück behalten und lediglich die Mängelbeseitigungskosten ersetzt verlangt. Er begehrt folglich wertmäßig den Ersatz der geschuldeten Nacherfüllungsleistung, die V ihm schuldet.
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2. Die Voraussetzungen des §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 281 BGB liegen dem Grunde nach vor.

Ja, in der Tat!

§ 281 BGB verlangt grundsätzlich (1) ein Schuldverhältnis, (2) die Nichterbringung der geschuldeten Leistung innerhalb der Nachfrist und (3) Vertretenmüssen der Pflichtverletzung. (1) K und V haben einen Kaufvertrag geschlossen (§ 433 BGB). (2) V hat seine Nacherfüllungspflicht hinsichtlich der Feuchtigkeit trotz Fristsetzung nicht erfüllt; (3) das Vertretenmüssen des V wird jedenfalls vermutet (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).

3. Nach bisheriger Rechtsprechung des BGH konnte der Käufer die Mängelbeseitigungskosten schon vor der tatsächlichen Mängelbeseitigung verlangen („fiktive Mängelbeseitigungskosten“).

Ja!

BGH: Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung konnte der Käufer im Rahmen des kleinen Schadensersatzes entweder Ausgleich des mangelbedingten Minderwerts oder Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen. Dabei war es unerheblich, ob der Mangel später tatsächlich beseitigt wurde.

4. Auch im Werkvertragsrecht besteht grundsätzlich die Möglichkeit des kleinen Schadensersatzes statt der Leistung.

Genau, so ist das!

Kaufrecht und Werkvertragsrecht sind weitgehend parallel ausgestaltet; der „kleine“ Schadensersatz ergibt sich im Wesentlichen aus Allgemeinem Schuldrecht (§ 281 BGB). Im Gleichlauf mit dem Kaufrecht kann daher auch der Besteller im Werkvertragsrecht kleinen Schadensersatz statt der Leistung verlangen (§ 634 Nr. 4, § 280, § 281 Abs. 1 BGB).

5. Im Werkvertragsrecht kann der Besteller fiktive Mängelbeseitigungskosten ersetzt verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

VII. Senat des BGH: Der Besteller, der das Werk behält und den Mangel nicht beseitigen lässt, könne seinen Schaden nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, Urt. v. 22.2.2019, VII ZR 46/17). Denn ein Vermögensschaden entstehe erst dann, wenn der Besteller den Schaden beseitigen lasse. Bis dahin stelle der Mangel der Werkleistung nur ein Leistungsdefizit, jedoch noch keinen Vermögensschaden dar (RdNr. 32ff.).

6. Im Gleichlauf mit dem Werkvertragsrecht kann der Käufer im Kaufrecht ebenfalls fiktive Mängelbeseitigungskosten nicht ersetzt verlangen.

Nein!

V. Senat des BGH: Der Käufer könne weiterhin auch Ersatz der voraussichtlich erforderlichen Mängelbeseitigungskosten im Wege des kleinen Schadensersatzes verlangen. Dafür sei weiterhin unerheblich, ob der Mangel tatsächlich beseitigt wird.

7. Will ein Senat von einem anderen abweichen, muss der Große Senat entscheiden.

Genau, so ist das!

Will ein Zivilsenat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Zivilsenats abweichen (divergieren), so entscheidet der Große Senat für Zivilsachen (§ 132 Abs. 2 GVG). Zulässigkeitsvoraussetzung dafür ist zunächst eine Anfrage an den Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll (§ 132 Abs. 3 S. 1 GVG).

8. Weil der V. Senat mit seiner Entscheidung vom VII. Senat abweicht, hätte der Große Senat für Zivilsachen wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 GVG) angerufen werden müssen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der V. Senat hatte beim VII. Senat angefragt, ob dieser weiterhin an seiner (neuen) Rechtsprechung festhalten wolle (Anfrage vom 13.5.2020, V ZR 33/19). Der VII. Senat erklärte daraufhin, dass (1) er an seiner Entscheidung festhalten wollte und (2) seine Entscheidung nicht auf das Kaufrecht übertragbar sei. Der V. Senat geht jetzt ebenfalls in seinem Urteil davon aus, dass keine Divergenz vorliege. Denn die Rechtsprechung des VII. Senats betreffe nicht das Schadensrecht (§§ 249ff. BGB), sondern ausschließlich das Werkvertragsrecht (§§ 631ff. BGB) und lasse sich nicht auf die kaufrechtliche Sachmängelhaftung übertragen. Insbesondere stehe dem Käufer - anders als dem Besteller im Werkvertragsrecht - kein Vorschussanspruch zu. Es sei nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsste. Eine Ausnahme gelte nur im Hinblick auf die Umsatzsteuer, die – wie im Delikts- und Werkvertragsrecht - nur ersetzt werden müsse, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist (vgl.§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Ira

Ira

17.4.2021, 10:06:39

"Insbesondere stehe dem Käufer anders als im WVsrecht kein Vorschussanspruch zu" und dann heißt es "es sei nicht vertretbar, wenn der Käufer einer Sache die beabsichtigte Mängelbeseitigung vorfinanzieren müsse-(ausgenommen die Umsatzsteuer)" die Sätze widersprechen sich. Wie kann dem Käufer etwas nicht zustehen, wenn es nicht vertretbar ist, dass er es doch selbst vorfinanzieren müsse?!

CAMU

Camus

17.4.2021, 12:51:56

... und deshalb besteht der Anspruch auf fiktive Mängelbeseitungskosten im Kaufrecht. (Damit der Käufer eben nicht vorfinanzieren muss.)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.4.2021, 17:17:13

Hallo Ira, der erste Satz bezieht sich darauf, dass in § 637 III BGB ein Vorschussanspruch des Bestellers im Werkvertragsrecht geregelt ist, den das Kaufrecht nicht kennt. Daraus folgert der V. Senat des BGH (in Anlehnung an den entsprechenden Hinweis des VII. Senates), dass insoweit Kaufrecht und Werkvertragsrecht nicht vollkommen gleichlaufen, weswegen - wie Camus auch schon ausgeführt hat - im Kaufrecht der Anspruch auf Ersatz der fiktiven Mängelbeseitigungskosten weiterhin möglich bleibt. Denn andernfalls müsste der Käufer regelmäßig die Mängelbeseitigung vorfinanzieren. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Unberechtigter Untervermieter

Unberechtigter Untervermieter

21.5.2021, 10:29:16

Bei den Voraussetzungen des §§ 280 I, III, 281 fehlt, dass ein fälliger und durchsetzbarer Anspruch bestehen muss.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.12.2021, 18:07:44

Hallo unberechtigter Untervermieter, der fällige und durchsetzbare Anspruch wird als Unterpunkt der "Nichterbringung der geschuldeten Leistung" behandelt. Denn die Erbringung der Leistung ist nur geschuldet, wenn sie fällig und durchsetzbar ist. Ansonsten ist die Nichterbringung keine Pflichtverletzung. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Jeylastar

Jeylastar

13.8.2021, 12:04:52

Inwieweit muss man das in die Klausur einbauen? Man erklärt doch nicht wie das mit den Senaten abläuft oder? Wahrscheinlich war das für die mündliche Prüfung gedacht

Ferdinand

Ferdinand

13.8.2021, 20:30:18

Grundsätzlich hast du natürlich recht, dass das „Hin-und-Her“ zwischen zwei BGH-Seanten nicht zum materiell erwarteten Wissen zählt. M. E. ist der Streit, ob und wann

fiktive Mängelbeseitigungskosten

ersetzt werden können bzw. der Unterschied zwischen Kauf- und Werkvertragsrecht, aber so exponiert, dass durchaus vertieftest Wissen dazu vorausgesetzt wird (jedenfalls im Examen) - eben gerade weil sich die jeweiligen BGH Senate hier auf den ersten Blick widersprechen. In meinen Augen kann man das vor dem Hintergrund der BGH Rechtsprechung aber gut in der Klausur darstellen, daher ist das Wissen (auch wenn es nicht materiellrechtlich ist) sicherlich hilfreich.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.11.2021, 13:45:32

Hallo ihr beiden, in der Tat müsst ihr das nicht 1:1 so in der Klausur umsetzen. Die ausführliche Behandlung des Weges dient hier aber zum einen dem Verständnis und stellt zum anderen juristisches Allgemeinwissen. Denn die Entscheidung des V. Senates wurde lange mit Spannung erwartet. Die wesentlichen Argumente des V. Senates kann man aber durchaus bringen, wenn man

fiktive Mängelbeseitigungskosten

im Kaufrecht prüft. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Melanie 🐝

Melanie 🐝

4.9.2021, 16:03:44

Warum genau wird das denn jetzt im Werkvertragsrecht und im Kaufrecht verschieden behandelt? Also was ist der Grund dafür? Hier wären auch die blauen Klausurtipps gut, damit man weiß, wie man damit umzugehen hat

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

30.11.2021, 12:51:32

Hallo Melanie, vielen Dank für Deine Frage. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass man im Werkvertragsrecht als Besteller ein

Selbstvornahme

recht hat und sich die Kosten für die Reparatur im Wege des Vorschusses erstatten lassen kann (§ 637 Abs. 3 BGB). Die Reihenfolge ist also: 1) Feststellung des Mangels, 2) Vorschuss beantragen, 3) Reparatur. Im Kaufrecht hat der Verkäufer dagegen zunächst einmal das Recht zur Nacherfüllung. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so kann der Kunde Schadensersatz verlangen. Das Problem ist, einen gesonderten Vorschussanspruch gibt es hier nicht. Könnte er jetzt nicht fiktiv abrechnen, so ergäbe sich die folgende Reihenfolge: 1) Entdeckung des Mangels, 2) gescheiterte Nacherfüllung, 3) Reparatur durch den Käufer = finanziert durch sein eigenes Geld, 4) Geltendmachung des konkreten Schadens (=aufgewendete Reparaturkosten). Da dem Käufer aber nicht zuzumuten ist, zunächst selbst in Vorleistung zu treten und darauf zu hoffen, dass der Verkäufer nicht zwischenzeitlich insolvent geht, billigt man ihm im Kaufrecht weiterhin die Möglichkeit zu, die fiktiven Reparaturkosten zu ersetzen. Dann kann er nämlich zuerst Schadensersatz verlangen und im Anschluss daran mit dem erhaltenen Geld die Reparatur durchführen lassen (oder auch nicht, die Entscheidung obliegt ihm). In der Klausur ist diese Frage beim Prüfungspunkt Schaden zu prüfen. Liegt im Werkvertragsrecht noch kein konkreter Schaden vor, so scheidet ein Anspruch aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MAG

Magie99Capona

27.5.2024, 16:58:20

ich finde die letzte frage ein wenig missverständlich. Ihr sagt zuvor ,dass wenn zwei Senate voneinander abweichen, der große Senat angerufen werden muss. Bei der letzte Frage verneint ihr dies dann aber und bezieht euch, obwohl die Frage im konjunktiv gestellt ist, darauf wie es tatsächlich ablief. Habe ich da nur einen denkfehler?

BE

Bioshock Energy

29.9.2024, 13:11:14

Hier wird die Frage, ob der Besteller

fiktive Mängelbeseitigungskosten

im Werkvertragsrecht ersetzt verlangen kann verneint. Ich bin aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 637 III BGB darüber relativ überrascht. Im Prinzip kann er das durch die Vorschusspflicht doch, oder?

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

9.10.2024, 14:32:28

Der Unterschied liegt insbesondere darin, dass der Käufer im Kaufrecht das erhaltene Geld nicht tatsächlich für die Reparatur aufwenden muss, sondern damit verfahren kann wie er möchte. Im Werkvertragsrecht muss das Geld tatsächlich für die Beseitigung des Mangels eingesetzt werden, weshalb die Kosten dann nicht mehr fiktiv sind. D.h. Kosten bleiben so lange fiktiv, bis sie tatsächlich aufgewendet/gezahlt werden. Aus dem Wortlaut des § 637 Abs. 3 BGB ergibt sich das meiner Meinung nach auch. "Die zur Beseitigung des Mangels erforderlichen Aufwendungen Vorschuss verlangen". Der Wortlaut lässt durchdringen, dass diese Aufwendungen auch tatsächlich aufgewendet werden muss, wenn auch erst vielleicht beim dritten oder vierten lesen🙂. Wenn sie dann aufgewendet wurden sind sie ja nicht mehr fiktiv. Ich hoffe ich konnte Dir weiterhelfen!


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