Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Gläubiger- /Schuldnermehrheit
Gestörte Gesamtschuld bei gesetzlicher Haftungsprivilegierung – Spielplatzfall
Gestörte Gesamtschuld bei gesetzlicher Haftungsprivilegierung – Spielplatzfall
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Der zweijährige K fällt von der unzureichend gesicherten Rutsche eines Spielplatzes der Stadt B, als der stets fahrlässige Vater V einen Moment unaufmerksam ist. K verlangt von B Schadensersatz.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Gestörte Gesamtschuld bei gesetzlicher Haftungsprivilegierung – Spielplatzfall
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat einen Anspruch gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Anspruch des K ist um dessen eigenes Mitverschulden zu kürzen (§ 254 Abs. 1 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
3. Der Anspruch des K ist gemäß §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB um das Mitverschulden des V zu kürzen.
Nein!
4. Eine Anspruchskürzung ist grundsätzlich auch nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld möglich.
Genau, so ist das!
5. V haftet dem K nur aufgrund einer gesetzlichen Privilegierung nicht.
Ja, in der Tat!
6. Weil ein Fall der gestörten Gesamtschuld vorliegt, haftet V dem K trotz der Privilegierung direkt im Außenverhältnis nach § 823 Abs. 1 BGB und § 1664 Abs. 1 BGB.
Nein!
7. Bei der hier vorliegenden gesetzlichen Privilegierung der Eltern haftet B dem K voll und kann nach der Rechtsprechung des BGH keinen Regress bei V nehmen.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Helena
15.12.2021, 13:40:38
Ich bin etwas verwirrt. Zwischen wem muss das Schuldverhältnis bestehen, damit die Zurechnung greift? Zwischen dm Schädiger und dem Geschädigten oder zwischen dem Geschädigten und dem gesetzlichen Vertreter?
Lukas_Mengestu
15.12.2021, 18:06:15
Hallo Helena, super Frage. Bei 3-Personenkonstellationen mache ich mir auch am liebsten eine kurze Skizze um den Überblick nicht zu verlieren :-). Gefragt war danach, ob K selbst ein Mitverschulden (§ 254) trifft. Da K als Zweijähriger aber nicht zurechnungsfähig ist (§ 828 Abs. 1 BGB analog) müsste ihm das Verhalten seines gesetzlichen Vertreters zurechenbar sein. Jetzt wird es tricky.
§ 278 BGBfindet nur dann Anwendung, wenn bereits ein Schuldverhältnis besteht. Im Deliktsrecht kann man deshalb allenfalls eine Haftung nach § 8
31 BGBfür Verrichtungsgehilfen begründen. Damit
§ 278 BGBherangezogen werden kann, müsste also zwischen der Stadt (Schädiger) und K (Geschädigtem) ein Schuldverhältnis bestehen. Nur dann könnte über §§ 254 Abs. 2 S. 2,
278 BGBein Verschulden des gesetzlichen Vertreters zugerechnet werden. Ein solches besteht zum Zeitpunkt der Schädigungshandlung aber (noch) nicht. Insofern scheidet die Zurechnung aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
CR7
23.4.2023, 14:14:32
Aber die Zurechnung scheitert doch hier auch daran, dass denn V doch kein Verschulden trifft, da er nach § 277 BGB wegen seiner ständigen Fahrlässigkeit nicht haftet, oder?
Lukas_Mengestu
24.4.2023, 12:16:56
Hallo (af), auf die
Haftungsprivilegierungdes Vaters gegenüber seinem Kind, kann das Kind sich grundsätzlich nicht gegenüber Dritten berufen. Denn Verschulden gesetzlicher Vertreter muss es sich zurechnen lassen, wie eigenes Verschulden. Da es für
Vorsatzund jegliche Fahrlässigkeit haftet, wäre über §§ 254 Abs. 2 S. 2,
278 BGBdas Verhalten des Vaters auch dann zu berücksichtigen, wenn er stets fahrlässig handelt. Anders ist dies hier nur, weil kein Schuldverhältnis zwischen K und B bestand, sodass
§ 278 BGBüberhaupt nicht zum Zuge kommt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Ralu
13.6.2023, 19:42:43
Könnte mir jemand erklären, wo im Gutachten ich den Streit darstelle?
Lukas_Mengestu
16.6.2023, 16:09:28
Hallo Ralu, nachdem Du die Anspruchsvoraussetzungen des § 823 BGB geprüft hast, musst Du den Haftungsumfang thematisieren. An dieser Stelle sprichst Du dann sowohl die Frage an, ob ein Mitverschulden zu einer Kürzung des Anspruchs führt, als auch die Frage der gestörten Gesamtschuld. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
15.4.2024, 07:39:04
Ihr führt bezüglich der Nicht-Anwendbarkeit des § 278 BGG an, dass es sich um eine Rechtsgrundverweisung handle. Wie ist der Begriff der Rechtsgrundverweisung in diesem Zusammenhang zu verstehen? Verweist § 278 auf § 276, sodass Ersterer aufgrund des in Letzterem geforderten vertraglichen Schuldverhältnis nicht anwendbar ist?
Leo Lee
15.4.2024, 13:31:08
Hallo QuiGonTim, vielen Dank für die sehr gute Frage! Beachte, dass vorliegend der Verweis auf 278 über 254 II 2 gemeint ist. Das bedeutet also, dass für die Zurechnung i.R.d. Mitverschuldens alle Vorsen des 278 (Rechtsgrundverweisung) geprüft werden müssen, d.h. I. SV II. Erfüllungsgehilfe…Dass 278 als Tatbestand ein Schuldverhältnis erfordert, ergibt sich wiederum aus der systematischen Stellung (241 ff. betrifft die Schuldverhältnisse, weshalb ein solches Bestehen muss; wie auch bei 280 I das TBM des Schuldverhältnisses vorausgesetzt wird, obgleich 280 I im Wortlaut ein solches nicht explizit fordert). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Oetker § 254 Rn. 128 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Niklas V.
26.4.2024, 20:22:41
Hallo zusammen, ich habe das Problem mit der gestörten Gesamtschuld bisher immer anders gelernt. So wie ich es bisher immer verstanden habe, soll die
Haftungsprivilegierungaus §1664 I BGB zwar den Familienfrieden und Zusammenhalt wahren, nicht aber den nicht privilegierten
Anspruchsgegnerschlechter stellen. Daher sollte im Außenverhältnis eine angemessene Quotenverteilung beim Mitverschulden stattfinden. Hat sich die Rechtsprechung in letzter Zeit diesbezüglich geändert oder habe ich da vielleicht was falsch verstanden? Danke für eure Hilfe im Voraus!
JJO
4.5.2024, 16:35:56
So habe ich es auch gelernt. Zumindest die h.Lit. hat bisher eine sog. Anspruchskürzung vertreten. Oder hat sich da etwas geändert? @[Lukas_Mengestu](136780)
Lukas_Mengestu
5.5.2024, 14:51:30
Hallo ihr beiden, vielen Dank für die gute Nachfrage. Der Begriff herrschende Meinung war hier in der Tat etwas misleading, da es tatsächlich einiges an Kritik seitens der Literatur an der Entscheidung des BGH in dem hier besprochenen Spielplatzfall gibt (vgl. MüKoBGB/Heinemeyer, 9. Aufl. 2022, BGB § 426 Rn. 70 mwN). Der BGH hält aber weiterhin daran fest, dass § 1664 BGB absolut wirkt und zulasten des Drittschädigers. Das Kind kann also vom Drittschädiger den vollen Scahdensersatz verlangen. Um Missverständnisse zu vermeiden, haben wir den Begriff herrschende Meinung nun mit Rechtsprechung ersetzt, wobei sich natürlich auch einige Vertreter in der Literatur der Argumentation angeschlossen haben (BeckOK BGB/Veit, 69. Ed. 1.1.2023, BGB § 1664 Rn. 21.1). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
itsjuju
27.6.2024, 23:46:06
708 BGB ist aufgrund des MOPEG nicht mehr aktuell
Leo Lee
29.6.2024, 05:26:36
Hallo itsjuju, vielen Dank für diesen sehr wichtigen Hinweis! In der Tat gab es hier ein „Update“, weshalb wir den Text nun entsprechend angepasst haben! Wir möchten uns bei dir vielmals dafür bedanken, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks von dir :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Major Tom(as)
21.10.2024, 21:45:40
Liebes Jurafuchs-Team, Danke für die vereinfachte Darstellung des Falls. Leider leidet darunter meines Erachtens aber auch die Qualität der Darstellung. Die als "richtig" markierte Antwort in Frage 2 (u.w.) stellt keine gesetzliche Regelung dar, sondern eine der vielen vertretenen Meinungen zur gestörten Gesamtschuld. Ich verstehe, dass im Interesse auch gerade "jüngerer Semester" eine zu schwere Darstellung abträglich ist, würde mir jedoch wenigstens mehr Hinweiskästen wünschen - und die Deklarierung des Regresses im Außenverhältnis als richtig/falsch kann ohne "Disclaimer" als womöglich "h.M." so nicht gelten. Danke euch für die Arbeit auch weiterhin