Öffentliches Recht

Europarecht

Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV

Grundfall: Geschriebene Rechtfertigungsgründe

Grundfall: Geschriebene Rechtfertigungsgründe

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Das deutsche Autohaus A versteigert in Paris gebrauchte Kfz. Französische Behörden untersagen die Versteigerung, weil nicht sicher festgestellt werden kann, ob die Eigentümer der Fahrzeuge im französischen Handelsregister eingetragen waren. Die Behörden befürchten Diebstahl und Hehlerei.

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Einordnung des Falls

Grundfall: Geschriebene Rechtfertigungsgründe

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit ist vorliegend eröffnet.

Genau, so ist das!

Die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 ff. AEUV schützt in gegenständlicher Hinsicht die Ein- und Ausfuhr von Unionswaren. Waren sind alle beweglichen, körperlichen Güter, die einen Geldwert haben und deshalb Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. In räumlicher Hinsicht ist die Warenverkehrsfreiheit nur anwendbar, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt. Voraussetzung ist, dass grenzüberschreitende Warenströme zwischen den Mitgliedstaaten betroffen sind. Gebrauchtwagen sind bewegliche, körperliche Güter, die einen Geldwert hat und somit eine Ware im Sinne der Warenverkehrsfreiheit ist. Der grenzüberschreitende Bezug ist mit der Versteigerung durch einen deutschen Händler in Frankreich auch gegeben.
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2. Die Untersagung der Versteigerung durch die Behörden stellt eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar.

Ja, in der Tat!

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handeln unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung anzusehen. (sog. Dassonville-Formel) Die Maßnahme verpflichtet den Eigentümer der Gebrauchtwagen entweder auf einen Händler zurückzugreifen, welcher am Ort der Versteigerung ansässig oder auf die öffentliche Versteigerung zu verzichten. Die Maßnahme ist damit geeignet, den freien Warenverkehr zu behindern. Bei der Untersagung der Versteigerung handelt es sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung.

3. Eine Rechtfertigung der Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit kommt gemäß Art. 36 AEUV in Betracht.

Ja!

Art. 36 AEUV erlaubt eine Ausnahme von der Regel, dass der Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt werden darf. Wenn einer der geschriebenen Gründe aus Art. 36 AEUV einschlägig ist, können eigentlich verbotene Maßnahmen der Mitgliedstaaten gerechtfertigt werden. Vorliegend kommt eine Berufung auf Art. 36 AEUV unter dem Aspekt der öffentlichen Ordnung in Betracht. Das Ziel der Untersagung ist es, Diebstahl und Hehlerei im Wege der Versteigerung zu bekämpfen. Die geschriebenen Rechtfertigungsgründe werden vom EuGH grundsätzlich eng ausgelegt.

4. Wenn einer der geschriebenen Rechtfertigungsgründe des Art. 36 AEUV einschlägig ist, dann ist die Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit ohne weitere Voraussetzung gerechtfertigt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung aus Art. 36 AEUV stellt die Schranke für die Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit dar. Damit die Untersagung gerechtfertigt ist, muss die Maßnahme ferner verhältnismäßig sein und darf gemäß Art. 36 S. 2 AEUV keine willkürliche Diskriminierung oder verschleiernde Beschränkung enthalten (Schranken-Schranken). Vorliegend ist die Untersagung der Versteigerung insoweit unverhältnismäßig, als das verfolgte Ziel durch andere Maßnahmen wie die Prüfung der Fahrgestellnummern erreicht werden kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

17.12.2022, 16:33:07

Ist es eine

Maßnahme gleicher Wirkung

nach Art 34 oder Art 35 AEUV?

Simon

Simon

2.2.2023, 22:21:07

Da die Einfuhr von Gebrauchtwagen nach Frankreich betroffen ist, liegt ein Fall des

Art. 34 AEUV

vor. Art. 35 AEUV betrifft nur Ausfuhrbeschränkungen.

BL

Blotgrim

26.7.2023, 23:44:53

Es wäre cool wenn die öffentliche Ordnung noch definiert wird 😊

CR7

CR7

8.8.2024, 16:21:11

Folglich ist eine Berufung auf die öffentl. Ordnung nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. Urt. v. 14. 3. 2000, Rs. C-54/99, Église de scientologie, Slg. 2000, I-1335, Rn. 17). (DÖV 2005, S. 116, beck-online)


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