Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2018

Trompetenspiel in einem Reihenhaus – Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB?

Trompetenspiel in einem Reihenhaus – Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB?

22. November 2024

4,6(26.470 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M ist Berufs-Musiker. Er übt drei Stunden am Tag und unterrichtet zwei Stunden die Woche den F. Nachbar N (Wohnungseigentümer) ist Gleisbauer. Er arbeitet nachts und schläft tags. Er hört das Trompetenspiel aus dem Dachgeschoss des M leise, aus dem EG des M in schwacher Zimmerlautstärke.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Trompetenspiel in einem Reihenhaus – Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. N hat einen Unterlassungsanspruch gegen M (§ 1004 Abs. 1 BGB), wenn sein Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt ist, weitere Beeinträchtigungen zu besorgen sind, M Störer ist und N nicht zur Duldung verpflichtet ist.

Ja, in der Tat!

N ist Eigentümer der von ihm bewohnten Wohnung. Das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen vor einer Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes ist durch § 985 BGB geschützt. § 1004 BGB gewährt Abwehransprüche gegen alle anderen Beeinträchtigungen (sog. actio negatoria): § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gewährt einen Beseitigungsanspruch. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB gewährt einen Unterlassungsanspruch.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Die Erteilung von Musikunterricht an Dritte in einem Wohngebiet stellt grundsätzlich eine erhebliche Beeinträchtigung des Nachbarn dar.

Nein!

BGH: Die Erteilung von Musikunterricht – auch in einem Wohngebiet – sei nicht per se eine erhebliche Beeinträchtigung. Ob eine aus § 906 Abs. 1 BGB herzuleitende Duldungspflicht besteht, bestimme sich nach Ausmaß und zeitlichem Umfang der Störung (RdNr. 37). Vorliegend ist der zeitliche Umfang des Unterrichts im Vergleich zu vernachlässigen und es wird nur jeweils ein Schüler unterrichtet, sodass es zu einer nur marginal höheren Geräuscheinwirkung kommt. Sofern sich der Unterricht in der Gesamtspielzeit hält, stellt er sich als sozialadäquat dar.

3. M ist Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB.

Genau, so ist das!

Unmittelbarer Handlungsstörer ist, wer durch seine Handlung/Unterlassung selbst schon die Beeinträchtigung bewirkt hat. Mittelbarer Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung durch die Handlung eines Dritten oder einen von diesem veranlassten Zustand adäquat verursacht hat und die Beeinträchtigung verhindern kann (Palandt, 76. Aufl., § 1004 RdNr. 16ff.).M ist, sofern er übt, unmittelbarer Handlungsstörer. Sofern seine Schüler Trompete spielen, ist er mittelbarer Handlungsstörer, denn durch das Erteilen von Unterricht setzt er mittelbar die Ursache für das Musizieren seiner Schüler.

4. Bei der Bestimmung des Interessenausgleichs sind auch persönliche Belange des Nachbarn wie individuelle Schlafzeiten zu berücksichtigen.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Die individuellen Lebensumstände spielten keine Rolle. Einzuhalten seien die üblichen Ruhestunden in der Mittags- und Nachtzeit, weil ansonsten jegliche sozialadäquate Nutzung des Grundstücks, wie auch Rasenmähen oder Staubsaugen insgesamt unterbleiben müsse, wenn einer der Nachbarn tagsüber, ein anderer des Nachts ruhebedürftig sei.Persönliche Vorbelastungen des Nachbarn N, wie sein nächtliches Arbeiten oder seine Vorbelastung durch einen Hörsturz seien grundsätzlich unbeachtlich. Auch der M könne seinerseits keine besonderen Rechte daraus herleiten, dass er Berufsmusiker ist (BGH, RdNr. 26).

5. Die genauen Ruhezeiten sind aufgrund einer Einzelfallabwägung zu ermitteln.

Ja!

BGH: Zwar seien Besonderheiten des Einzelfalles zu ermitteln, auch örtliche Gegebenheiten. So könne es etwa geboten seien, das Spielen in Haupträumen zeitlich stärker zu beschränken, wenn dadurch die Beeinträchtigung des Nachbarn erheblich reduziert wäre. Hierbei seien auch Besonderheiten, die zu einer Schutzbedürftigkeit des Nachbarn führen, besonders zu berücksichtigen. Eine Beschränkung auf zwei bis drei Stunden an Werktagen und ein bis zwei Stunden an Sonn- und Feiertagen unter Einhaltung üblicher Ruhezeiten könne als grober Richtwert dienen. Ein vollständiger Ausschluss für die Abendstunden und das Wochenende komme aber nicht in Betracht, weil gerade zu dieser Zeit Berufstätige und Schüler Zeit für das Musizieren fänden (BGH, RdNr. 31ff.).

6. Jegliches Trompetenspiel des M stellt eine wesentliche Beeinträchtigung des N dar.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Die Hörbarkeit auf dem Nachbargrundstück mache die Geräusche nicht zu wesentlichen Beeinträchtigungen. Völlige Stille könne nicht beansprucht werden.Das häusliche Musizieren und damit verbundene Geräusche seien in gewissen Grenzen zumutbar und unwesentliche Beeinträchtigung im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB, egal, ob der Nachbar Berufs- oder Hobbymusiker ist. Das Musizieren unterfalle der Persönlichkeitsentfaltung. Weil auch Belange des Nachbarn betroffen seien, sei ein Interessenausgleich durch eine zeitliche Begrenzung vorzunehmen. Unerheblich sei, ob M auch im Dachgeschoss Trompete spielen könne. Das Musizieren könne als Bestandteil des täglichen Lebens nicht aus zentralen Räumen der Wohnung ferngehalten werden (RdNr. 14f.).

7. Ein Unterlassungsanspruch des N gegen M (§ 1004 Abs. 1 BGB) ist ausgeschlossen, wenn N verpflichtet ist, die Geräusche hinzunehmen (§§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

§ 906 Abs. 1 BGB normiert eine Duldungspflicht im Sinne des § 1004 Abs. 2 BGB. Die Duldungspflicht setzt voraus, dass die Geräuschimmissionen nur zu einer unwesentlichen Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks führen. BGH: Die Grenze der unwesentlichen Beeinträchtigung sei nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen im Rahmen einer wertenden Beurteilung zu ermitteln, wobei erhebliche Belästigungen wesentlichen Immissionen im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG gleichstehen sollen (RdNr. 10f.).
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!

Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen