+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Student A, der österreichischer Staatsbürger ist, verbringt sein Auslandssemester in Berlin. Als er dort an einer Versammlung gegen Studiengebühren teilnimmt, spricht Polizist P einen Platzverweis gegen ihn aus.
Einordnung des Falls
Persönlicher Schutzbereich: Deutsche - EU-Bürger
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs der Versammlungsfreiheit setzt nach dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 GG voraus, dass A Deutscher ist.
Ja!
Es handelt sich bei Art. 8 Abs. 1 GG um ein Deutschen-Grundrecht, auf das sich nur Deutsche berufen können. Deutscher im Sinne des GG ist insbesondere, wer die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt (Art. 116 Abs. 1 GG).
A ist österreichischer Staatsbürger. Dem Wortlaut nach kann A sich nicht auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen.Anders ist dies in einigen Landesverfassungen ausgestaltet. So ist nach Art. 26 VvB (Berliner Landesverfassung) die Versammlungsfreiheit als Jedermann-Grundrecht ausgestaltet.
2. Als EU-Bürger kann A jedoch den Schutz der Versammlungsfreiheit auf dem Schutzniveau des Art. 8 Abs. 1 GG beanspruchen.
Genau, so ist das!
Das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art. 18 Abs. 1 AEUV) und Diskriminierungsverbote der Grundfreiheiten (z.B. Art. 45 AEUV) verlangen eine Gleichbehandlung von Unionsbürgern mit Inländern. Das EU-Recht beansprucht gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten Anwendungsvorrang und muss wirksam durchgesetzt werden (Effet utile). Deshalb können sich EU-Bürger nach einer Ansicht gegen den Wortlaut unmittelbar auf Art. 8 Abs. 1 GG berufen. Nach anderer Ansicht vermittelt Art. 2 Abs. 1 GG als Auffang-Grundrecht Unionsbürgern den Schutz der Versammlungsfreiheit im vollen Schutzniveau des Art. 8 Abs. 1 GG. Beide Ansichten kommen zum gleichen Ergebnis.