Landesrecht (im Aufbau)
Polizei- und Ordnungsrecht NRW
Polizeiliche Standardmaßnahmen
Kein Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardmaßnahme tatbestandlich nicht einschlägig
Kein Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardmaßnahme tatbestandlich nicht einschlägig
31. Mai 2025
9 Kommentare
4,9 ★ (3.004 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Jeck J ist nach dem Kölner Karneval volltrunken und kaum noch Herr seiner Sinne. Er setzt zu einem Schluck aus einer Schnapsflasche an, als ihn Polizistin P erblickt. P ergreift die Flasche, gießt den Inhalt aus und wirft die leere Flasche in den Altglascontainer.
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Einordnung des Falls
Kein Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardmaßnahme tatbestandlich nicht einschlägig
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. § 43 PolG NRW ermächtigt die Polizei zur Sicherstellung von Sachen. Sicherstellung ist die Aufhebung alten und die zielgerichtete Begründung neuen hoheitlichen Gewahrsams. Ist § 43 PolG NRW die richtige Ermächtigungsgrundlage?
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Kann das polizeiliche Handeln der P auf die polizeiliche Generalklausel (§ 8 Abs. 1 PolG NRW) gestützt werden?
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

kokapidis
26.6.2023, 19:09:57
Warum nicht § 45 IV 1 Nr. 2 PolG NRW? 1. Grundsätzlich liegen die Voraussetzungen des § 45 I Nr. 2 vor. Arg.: Der Gesetzgeber spricht in § 45 I Nr. 2 PolG NRW von "...wenn ihre VERWAHRUNG [...] mit [...] unverhältnismäßig hohen Kosten [...] verbunden ist." Der Gesetzgeber hat also den Fall vorgesehen, dass Sachen eben nicht erstmal mit auf die Wache genommen werden und da dann in einen bestimmten Bereich zur Verwahrung gegeben werden müssen. Vielmehr statuiert der Gesetzgeber, dass das unmittelbare Verwerten einer Sache vor Verwahrung bereits möglich ist. Er setzt die Sicherstellung also voraus. Folglich ist es keine Voraussetzung für eine Sicherstellung, dass eine Sache verwahrt wird. Die Verwahrung ist hier unzweckmäßig iSd § 44 I 2 PolG NRW und unverhältnismäßig teuer gem. § 45 I Nr. 2 PolG NRW. Die Polizistin begründet also Gewahrsam an der Flasche und sichert diese auf andere geeignete Weise, § 44 I 2 aE PolG NRW. 2. Die konkrete Sache, also angebrochene Flasche Schnaps lässt sich aber nicht unter § 45 I Nr. 2 PolG NRW subsumieren, weil diese nicht verwertet, sondern vernichtet wird. Eine angebrochene Schnapsflasche kann nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht "verwertet" werden, weil es keinen Markt für angebrochene Schnapsflaschen gibt und sich auch nicht anderweitig Früchte aus der Sache ziehen lassen. Folglich ist eine Verwertung aus anderen Gründen nicht möglich. 3. Wenn man vertritt, dass §§ 45 IV 1 Nr. 2, 43 I Nr. 1 PolG NRW die EGL ist, ist das milder für den Bürger, weil strengere Eingriffsvoraussetzungen statuiert sind. BSP: Spezielle Verfahrensvorschriften § 45 IV 2, II PolG NRW. Was sagt ihr dazu? Ist trotzdem die
Generalklauseleinschlägig? Wenn ja, warum?

Charliefux
8.8.2024, 16:21:43
@[Lukas_Mengestu](136780) eine Antwort wäre super!
Florian
21.10.2024, 21:18:58
Push🙏

Nocebo
4.1.2025, 13:03:50
Das liegt daran, dass § 45 PolG NRW an die Sicherstellung gem. §
43 PolG NRWanknüpft, wie schon der Wortlaut zeigt: "... Verwertung einer sichergestellten Sache ..." Allerdings sind wir hier von vorneherein gar nicht im Anwendungsbereich des § 45 PolG NRW, da schon keine Sicherstellung erfolgt ist gem. §
43 Polg NRW. Denn nach herrschender (aber nicht unumstrittener) Meinung muss diese auf die Begründung eines exklusiven
hoheitlichen Gewahrsamsverhältnisses abzielen: "Die Sicherstellung zur Gefahrenabwehr muss notwendig den Zweck verfolgen, die Sache in Verwahrung zu haben und andere von jeder Einwirkungsmöglichkeit auszuschließen (VGH Kassel NVwZ 1987, 904 (909); Nagel, Probleme der polizeilichen Sicherstellung, 1988, 7 ff.). Es ist charakteristisch für die polizeiliche Sicherstellung, dass eine Gefahr nur durch amtlichen Gewahrsam behoben werden kann und die Polizei gerade zu diesem Zweck die Sache in Besitz nimmt (subjektiver Sicherstellungsbegriff)." (BeckOK PolR NRW/Braun, 29. Ed. 1.6.2024, PolG NRW § 43 Rn. 10, beck-online) Und zu dem Argument mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW: Ich finde es auch überzeugend, dass das die Verwertung schon VOR Verwahrung zulässt. Allerdings ist die Konstellation eine andere. Da eine Sicherstellung vorliegen muss, handelt es sich hier um Sachen, die die Polizei eigentlich sicherstellen und verwahren will, aber bspw. wegen Kosten zweckmäßiger Weise nicht kann. Das ist ein Unterschied zu Sachen (wie der Flasche), die die Polizei gar nie sicherstellen wollte. Das ist quasi wie beim Diebstahl. Wenn der Dieb die Handtasche nur wegen des darin befindlichen Handys wegnimmt und sofort wegwirft, liegt kein §
242 StGBvor mangels Zueignunsabsicht (-> "Sicherstellung"), sondern nur ggf. ein § 303 StGB. Entsprechend kommt hier § 45 PolG NRW nicht in Betracht. Man könnte aber sicherlich im Rahmen des §
8 PolG NRW, um diesen zu konkretisieren, auf § 45 PolG NRW zurückgreifen. Denn wenn man schon eine sichergestellte Sache unter diesen Voraussetzungen wegwerfen darf (für die die Polizei ja besondere Verwahrungspflichten treffen), sollte das umso mehr auch für sonstige Sachen gelten.
L
16.4.2025, 18:30:49
Ich müsste ja dann die Tatbestandsmerkmale der
Generalklauselauslegen. Könnte ich bei meiner Argumentation auf die Sicherstellung anspielen? Im Sinne von "Für die Sicherstellung, bei der der Gegenstand nicht zerstört wird gilt x, also muss das bei einer Zerstörung des Gegenstandes erst Recht gelten" Zeige ich damit Überblick oder sollte ich lieber eine strikte Trennung zwischen
Generalklauselund Standardermächtigung beibehalten, um zu zeigen, dass ich weiß, dass die beiden nicht austauschbar sind?