Landesrecht (im Aufbau)

Polizei- und Ordnungsrecht NRW

Polizeiliche Standardmaßnahmen

Kein Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardmaßnahme tatbestandlich nicht einschlägig

Kein Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardmaßnahme tatbestandlich nicht einschlägig

14. Januar 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Jeck J ist nach dem Kölner Karneval volltrunken und kaum noch Herr seiner Sinne. Er setzt zu einem Schluck aus einer Schnapsflasche an, als ihn Polizistin P erblickt. P ergreift die Flasche, gießt den Inhalt aus und wirft die leere Flasche in den Altglascontainer.

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Einordnung des Falls

Kein Anwendungsvorrang vor der Generalklausel: Standardmaßnahme tatbestandlich nicht einschlägig

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. § 43 PolG NRW ermächtigt die Polizei zur Sicherstellung von Sachen. Sicherstellung ist die Aufhebung alten und die zielgerichtete Begründung neuen hoheitlichen Gewahrsams. Ist § 43 PolG NRW die richtige Ermächtigungsgrundlage?

Nein!

Fällt eine polizeiliche Maßnahme unter den Anwendungsbereich einer Standardermächtigung, stellt diese Standardermächtigung die richtige Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahme dar. Nur wenn der Regelungsgehalt einer Standardermächtigung nicht eröffnet ist, kann auf die Generalklausel zurückgegriffen werden. P zerstört die Flasche und begründet damit keinen hoheitlichen Gewahrsam. Das Handeln der P fällt nicht unter den Begriff der Sicherstellung. § 43 PolG NRW ist nicht die richtige Ermächtigungsgrundlage. In der Klausur solltest Du dich fragen, ob die getroffene Maßnahme wirklich unter die auf den ersten Blick in Betracht kommende Standardmaßnahme subsumiert werden kann.
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2. Kann das polizeiliche Handeln der P auf die polizeiliche Generalklausel (§ 8 Abs. 1 PolG NRW) gestützt werden?

Genau, so ist das!

Fällt eine polizeiliche Maßnahme nicht in den Anwendungsbereich einer Standardermächtigung, kann auf die Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage zurückgegriffen werden. Das Handeln der P kann auf die Generalklausel gestützt werden. Der Anwendungsbereich der Sicherstellung gemäß § 43 PolG NRW ist mangels Begründung hoheitlichen Gewahrsams nicht eröffnet, sodass der Rückgriff auf die Generalklausel nicht gesperrt ist. Als Faustregel gilt für die Klausur also: Fällt eine Maßnahme in den Anwendungsbereich einer Standardermächtigung, geht diese als lex specialis der Generalklausel vor. Das gilt selbst dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Standardmaßnahme nicht erfüllt sind. Ist der Anwendungsbereich einer Standardmaßnahme nicht eröffnet, kannst Du bedenkenlos auf die Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage zurückgreifen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

kokapidis

kokapidis

26.6.2023, 19:09:57

Warum nicht § 45 IV 1 Nr. 2 PolG NRW? 1. Grundsätzlich liegen die Voraussetzungen des § 45 I Nr. 2 vor. Arg.: Der Gesetzgeber spricht in § 45 I Nr. 2 PolG NRW von "...wenn ihre VERWAHRUNG [...] mit [...] unverhältnismäßig hohen Kosten [...] verbunden ist." Der Gesetzgeber hat also den Fall vorgesehen, dass Sachen eben nicht erstmal mit auf die Wache genommen werden und da dann in einen bestimmten Bereich zur Verwahrung gegeben werden müssen. Vielmehr statuiert der Gesetzgeber, dass das unmittelbare Verwerten einer Sache vor Verwahrung bereits möglich ist. Er setzt die

Sicherstellung

also voraus. Folglich ist es keine Voraussetzung für eine

Sicherstellung

, dass eine Sache verwahrt wird. Die Verwahrung ist hier unzweckmäßig iSd § 44 I 2 PolG NRW und unverhältnismäßig teuer gem. § 45 I Nr. 2 PolG NRW. Die Polizistin begründet also Gewahrsam an der Flasche und sichert diese auf andere geeignete Weise, § 44 I 2 aE PolG NRW. 2. Die konkrete Sache, also angebrochene Flasche Schnaps lässt sich aber nicht unter § 45 I Nr. 2 PolG NRW subsumieren, weil diese nicht verwertet, sondern vernichtet wird. Eine angebrochene Schnapsflasche kann nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht "verwertet" werden, weil es keinen Markt für angebrochene Schnapsflaschen gibt und sich auch nicht anderweitig Früchte aus der Sache ziehen lassen. Folglich ist eine Verwertung aus anderen Gründen nicht möglich. 3. Wenn man vertritt, dass §§ 45 IV 1 Nr. 2, 43 I Nr. 1 PolG NRW die EGL ist, ist das milder für den Bürger, weil strengere Eingriffsvoraussetzungen statuiert sind. BSP: Spezielle Verfahrensvorschriften § 45 IV 2, II PolG NRW. Was sagt ihr dazu? Ist trotzdem die Generalklausel einschlägig? Wenn ja, warum?

Charliefux

Charliefux

8.8.2024, 16:21:43

@[Lukas_Mengestu](136780) eine Antwort wäre super!

FL

Florian

21.10.2024, 21:18:58

Push🙏

Nocebo

Nocebo

4.1.2025, 13:03:50

Das liegt daran, dass § 45 PolG NRW an die

Sicherstellung

gem. §

43 PolG NRW

anknüpft, wie schon der Wortlaut zeigt: "... Verwertung einer sichergestellten Sache ..." Allerdings sind wir hier von vorneherein gar nicht im Anwendungsbereich des § 45 PolG NRW, da schon keine

Sicherstellung

erfolgt ist gem. §

43 Polg NRW

. Denn nach herrschender (aber nicht unumstrittener) Meinung muss diese auf die Begründung eines exklusiven

hoheitlich

en Gewahrsamsverhältnisses abzielen: "Die

Sicherstellung

zur Gefahrenabwehr muss notwendig den Zweck verfolgen, die Sache in Verwahrung zu haben und andere von jeder Einwirkungsmöglichkeit auszuschließen (VGH Kassel NVwZ 1987, 904 (909); Nagel, Probleme der polizeilichen

Sicherstellung

, 1988, 7 ff.). Es ist charakteristisch für die polizeiliche

Sicherstellung

, dass eine Gefahr nur durch amtlichen Gewahrsam behoben werden kann und die Polizei gerade zu diesem Zweck die Sache in Besitz nimmt (subjektiver

Sicherstellung

sbegriff)." (BeckOK PolR NRW/Braun, 29. Ed. 1.6.2024, PolG NRW § 43 Rn. 10, beck-online) Und zu dem Argument mit § 45 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW: Ich finde es auch überzeugend, dass das die Verwertung schon VOR Verwahrung zulässt. Allerdings ist die Konstellation eine andere. Da eine

Sicherstellung

vorliegen muss, handelt es sich hier um Sachen, die die Polizei eigentlich sicherstellen und verwahren will, aber bspw. wegen Kosten zweckmäßiger Weise nicht kann. Das ist ein Unterschied zu Sachen (wie der Flasche), die die Polizei gar nie sicherstellen wollte. Das ist quasi wie beim Diebstahl. Wenn der Dieb die Handtasche nur wegen des darin befindlichen Handys wegnimmt und sofort wegwirft, liegt kein §

242 StGB

vor mangels Zueignunsabsicht (-> "

Sicherstellung

"), sondern nur ggf. ein § 303 StGB. Entsprechend kommt hier § 45 PolG NRW nicht in Betracht. Man könnte aber sicherlich im Rahmen des § 8 PolG NRW, um diesen zu konkretisieren, auf § 45 PolG NRW zurückgreifen. Denn wenn man schon eine sichergestellte Sache unter diesen Voraussetzungen wegwerfen darf (für die die Polizei ja besondere Verwahrungspflichten treffen), sollte das umso mehr auch für sonstige Sachen gelten.


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