Volksverhetzung bei Bezeichnung als "frecher Juden-Funktionär"
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Rechtsradikaler R verlegt das Amtsblatt der Kommune. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde J fordert die Kommune auf, den Verleger zu wechseln. R betitelt auf seiner Website den J als "frechen Juden-Funktionär". Er ruft zum Boykott der jüdischen Gemeinde auf und kündigt an den Einfluss jüdischer Organisationen auf die deutsche Politik "in allerkürzester Zeit auf genau Null reduzieren" zu wollen.
Einordnung des Falls
Volksverhetzung bei Bezeichnung als "frecher Juden-Funktionär"
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. R wird letztinstanzlich wegen Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) verurteilt. Gegen das Urteil erhebt er Verfassungsbeschwerde. Seine Äußerung fällt in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.
Genau, so ist das!
2. Durch die strafrechtliche Sanktionierung der Äußerung liegt ein Eingriff in die Meinungsfreiheit des R vor.
Ja, in der Tat!
3. Der Grundrechtseingriff könnte gerechtfertigt sein. Die Meinungsfreiheit unterliegt verschiedenen Schranken.
Ja!
4. Beim Straftatbestand des § 130 Abs. 4 StGB handelt es sich um ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Bei Äußerungen mit Bezug zum Nationalsozialismus ist ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG generell nicht erforderlich.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Vorliegend steht eine Bestrafung des R nach § 130 Abs. 4 StGB im Raum.
Nein!
7. Der Straftatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist ein allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG.
Genau, so ist das!
8. Die Verurteilung des R gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist verfassungsgemäß, wenn der darin liegende Eingriff in die Meinungsfreiheit des R verhältnismäßig und damit gerechtfertigt ist.
Ja, in der Tat!
9. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleisten grundsätzlich die Freiheit der Meinung unabhängig von ihrer Gefährlichkeit und ob andere dadurch verletzt werden.
Ja!
10. Ob eine Äußerung die Friedlichkeitsgrenze überschreitet, beurteilt sich nach ihrem Inhalt und ihrer Wirkung im jeweiligen Kontext.
Genau, so ist das!
Fundstellen
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Phil
3.5.2021, 10:49:34
Ich persönlich finde, dass dieser Fall hier ungenügend dargestellt wird. Hier wird die Äußerung des Rechtsradikalen nämlich verkürzt dargestellt, was meines erachtens sehr dazu verleitet die Eröffnung von 185 statt 130 StGB anzunehmen. Erst die Umstände machen deutlich, dass es sich um mehr als eine schmähende Meinungsäußerung handelt. Schließlich ist für mich das Äußern des Satzes 'Frecher Juden-Funktionär' nicht automatisch ein Fall von 130 sondern muss es auf die Umstände ankommen.
Phil
3.5.2021, 10:50:21
Zitat aus dem Urteil: Eine solche Bezugnahme auf Ideen und Methoden des Nationalsozialismus werde auch aus dem Gesamtkontext deutlich, insbesondere der lobenden Erwähnung von Männern der Waffen-SS und dem Passus, die Partei DIE RECHTE werde den Einfluss jüdischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik in allerkürzester Zeit auf Null reduzieren. Denn es sei gebildeten Lesern, insbesondere dem Beschwerdeführer und dem Betroffenen, bekannt, wie die Nationalsozialisten letzteres Ziel zu erreichen versucht hätten, nämlich durch Ghettoisierung und Vernichtung von Personen jüdischen Glaubens.
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Lukas_Mengestu
26.7.2021, 13:57:37
Danke Phil, es ist leider immer eine schwierige Gradwanderung den Sachverhalt einerseits kurz und prägnant zu halten und andererseits alle wesentlichen Aspekte des Falles zu beleuchten. Wir haben aber nun den Sachverhalt etwas erweitert und den Hinweis auf die nationalsozialistische Vernichtungsideologie mit aufgenommen. Dadurch sollte die Abgrenzung zu § 185 StGB nun deutlicher werden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
chuck lawris
27.10.2021, 09:39:05
Ich habe Logisch-Bauchweh. Wenn ich als Linksradikaler für eine Kommune Verleger bin und der Vorsitzende der christlichen Gemeinde die Kommune auffordert, mich zu ersetzen, und ich sodann auf meiner Webseite den Vorsitzenden einen "frechen Christen-Funktionär" nenne, zum Boykott seiner Gemeinde aufrufe und ankündige, den "Einfluss christlicher Organisationen in der Politik auf Null reduzieren zu wollen", käme doch niemand auf die Idee, mich wegen Volksverhetzung zu verurteilen. Denn wenn der Christ mich auswechseln möchte und versucht Einfluss auf die Politik zu nehmen, dann wären meine Äußerungen doch im meinungsfreiheitlichen Schlagabtausch gerechtfertigt. M.E. fehlt da noch etwas, um jemanden ins Gefängnis stecken zu, bzw Volksverhetzung feststellen zu können. Wenn er sagen würde "Einfluss auf Politik 'wie damals' auf Null reduzieren" wäre es in meinen Augen eindeutig und klar. So aber halte ich die Schwelle für noch nicht übertreten 🤷♂️
Philipp Paasch
23.9.2022, 22:30:21
Wirklich eine guter Gedanke. Hier wurde m.E. Politik mit Recht verwechselt.
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Marius24
21.5.2023, 17:18:50
Allein, dass dir bei dem Begriff "Juden" die Begriffskombi "wie damals" einfällt, zeigt, dass man den Vergleich zwischen Juden und Christen hier nicht nur auf Grund der Religion getroffen werden kann. Schließlich lässt es den verschiedenen Umgang von Linken mit Christen im Vergleich von Rechten mit Juden komplett aus der Betrachtung. Das ist der eklatante Fehler in deinem Gedankengang. Ich hoffe ich konnte helfen.
GingerCharme
30.5.2023, 14:20:13
Dem würde ich vehement widersprechen wollen. Zum einen ist die Vergleichbarkeit zwischen Christen und Juden in einem solchen Kontext eben nicht gegeben, die deutsche Vergangenheit und das Schicksal jüdischer Mitbürger, kann man mMn nicht einfach hinweg denken und diese beiden Gruppen gleich setzen. Jedoch selbst wenn, finde ich es äußert bedenklich, jeglicher Gruppe zu attestieren, man täte alles um ihren Einfluss auf null zu reduzieren. Dies beinhaltet eine aggressive Militant sonder gleichen und lässt Raum zur Interpretation - wie reduziere ich denn jemandes Einfluss auf Null? Sowas möchte man sich gar nicht ausmalen - sowas darf mMn zu Recht nicht toleriert werden. Das Risiko, dass eine Aussage Volksverhetzung darstellt, trägt mMn der Äußernde, ich denke es ist sehr sehr leicht, ein Missfallen über eine Person zu äußern, die sich noch innerhalb der Meinungsfreiheit bewegt.
Doli
27.6.2023, 09:40:44
Die Äußerung über Christen steht nicht im Lichte einer jahrhundertelangen Feinseligkeit gegenüber diesen und trägt damit nicht die Gefahr in sich, den Diskurs ins Unfriedliche kippen zu lassen. Aka wegen dem Kommentar zündet niemand eine Kirche an. Juden werden aber noch immer auf offener Straße angegangen und Synagogen angegriffen / jüdische Friedhöfe geschändet etc, wozu die Meinungsäußerung beitragen könnte
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Sambajamba10
7.8.2023, 14:12:16
Auch ich würde gerne kurz meine Vorredner flankieren. Neben ihren Punkten ist es mMn auch angezeigt, den Begriff "Funktionär" hier einmal näher zu beleuchten. Glauben wir wirklich, dass ein Linker den Christen als Funktionär bezeichnen würde. Oder glauben wir nicht eher, dass Funktionär besonders wirtschaftlich denkend konnotiert ist. Demnach zielt die Bezeichnung "Juden-Funktionär" auf ein eindeutiges Gedankengut, was verschwörungsideologisch, leider seit Ewigkeiten verbreitet und falsch ist. Es ist also festzustellen, dass "Christen-Funktionär" nicht mal ungefähr die gleiche Wirkung mitsichbringt.
![nullumcrimen](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__ldbjczxhtztcefcoxvpeb.jpeg%3Ftype%3Draw&w=3840&q=75)
nullumcrimen
13.5.2024, 22:00:25
Ich glaub du vergisst die Aussage in den Kontext zu stellen. Weder geht eine linksextremistische Gesinnung mit Christen-Hass einher, wie es bei nationalsozialistischen Denkweisen und Judentum der Fall ist, noch gibt es einen derartig gravierenden historischen Kontext ( zumindest wäre mir nicht bekannt, dass linksextreme einen Völkermord an Christen begangen haben... )