Satirische Werbung erlaubt (Fall Weselsky "Mitarbeiter des Monats")


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Durch den Streik einer Lokführergewerkschaft kommt es bundesweit zu Bahnausfällen. Die Autovermietung Sixt lässt Plakate mit dem Schriftzug "Mitarbeiter des Monats" und dem Gesicht von Gewerkschaftsführer Weselsky drucken. Der klagt auf Unterlassung und Zahlung von Lizenzgebühren.

Einordnung des Falls

Satirische Werbung erlaubt (Fall Weselsky "Mitarbeiter des Monats")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In dem Privatrechtsverhältnis zwischen Weselsky (W) und Sixt (S) finden die Grundrechte des Grundgesetzes unmittelbar Anwendung.

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Nein!

Unmittelbare Anwendung finden die Grundrechte historisch nur als Abwehrrechte gegen den Staat (status negativus). Das Grundgesetz statuiert jedoch auch eine objektiv-rechtliche Werteordnung (Lüth-Urteil). Im Rahmen dessen können Grundrechtspositionen die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe vorgeben und so mittelbare Drittwirkung entfalten.

2. Das Recht am eigenen Bild wird vom Gesetz geschützt. Es teilt sich in Bestandteile, die dem Schutz ideeller Interessen dienen und solche, die vermögensrechtlicher Natur sind.

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Genau, so ist das!

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR) (Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Recht am eigenen Bild. Insofern gewährleistet es dem Einzelnen Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten, soweit es um die Anfertigung und Verwendung von Fotografien seiner Person durch andere geht. Es wird einfachgesetzlich durch die §§ 22f. KUG konkretisiert. Grundsätzlich dürfen die Bilder einer Person nur mit Einwilligung veröffentlicht werden (§ 22 S. 1 KUG). Eine Ausnahme gilt dann, wenn die Bilder dem Bereich der Zeitgeschichte zuzordnen sind (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht entgegenstehen (§ 23 Abs. 2 KUG).

3. Wegen der Bahnausfälle wird über den Streik in den Medien ausführlich gestritten. W tritt dabei wiederholt im Fernsehen auf. Bilder von W gehören daher zum Bereich der Zeitgeschichte.

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Ja, in der Tat!

Der Begriff der Zeitgeschichte ist vom Informationsinteresse der Öffentlichkeit her zu bestimmen. Die Funktionsfähigkeit der Bahn ist von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. W wurde durch seine Auftritte im Fernsehen zum Gesicht des Streiks. Grundsätzlich ist der Bereich der Zeitgeschichte damit eröffnet. Zu beachten ist aber auch das Telos der Norm. Geregelt wird der Vorrang des Informationsinteresses vor den Interessen des Abgebildeten. Die Plakatwerbung müsste dem Informationsinteresse also auch so dienen, dass dieser Vorrang gerechtfertigt ist. Dazu ist eine umfassende Abwägung der verschiedenen Grundrechtspositionen vorzunehmen.

4. Bei der Auslegung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ist Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG der S und das Informationsinteresse der Allgemeinheit zu berücksichtigen, obwohl sie mit den Plakaten kommerzielle Interessen verfolgt.

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Ja!

Der Schutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erstreckt sich auch auf kommerzielle Meinungsäußerungen und reine Wirtschaftswerbung, die einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat inklusive der Veröffentlichung eines Bildes, das die Meinungsäußerung transportiert oder ergänzt. Es darf aber nicht ausschließlich zur Ausnutzung des Werbewertes einer Person verwendet werden. Maßgeblich bei der Beurteilung ist die Sicht des Durchschnittslesers. Hier steht der satirisch-kommentierende Charakter der Plakate im Vordergrund. Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit ist eröffnet, die Plakate befriedigen (auch) das Informationsinteresse der Allgemeinheit.

5. W wird verunglimpft. Die ideellen Bestandteile seines APR aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG werden daher verletzt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Das APR aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art.1 Abs. 1 GG entfaltet seinen Schutz auch gegenüber öffentlichen Zuschreibungen, sofern diesen Bedeutung für die Persönlichkeit zukommt und deren Bild in der Öffentlichkeit nachteilig beeinflusst (vgl. BVerfGE 99, 185). Es schützt auch vor falscher und tatsachenwidriger Vereinnahmung. Dadurch, dass W in ironischer Weise als besonders wertvoller Mitarbeiter der S dargestellt wird, entsteht für einen durchschnittlichen Leser jedoch nicht der Eindruck, W stünde tatsächlich in einer Verbindung mit S.

6. W ist aber im vermögensrechtlichen Bestandteil seines APR beeinträchtigt. Dieser genießt den gleichen Schutz wie der ideelle Bestandteil und ist von gleichem Rang wie die Meinungsfreiheit der S.

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Nein, das trifft nicht zu!

Dazu das Berufungsgericht (OLG Dresden): "Während die Persönlichkeitsrechte, soweit sie dem Schutz ideeller Interessen dienen, zum verfassungsrechtlich gewährten Kern der Persönlichkeitsentfaltung gehören, ist der Schutz der vermögensrechtlichen Bestandteile der Persönlichkeitsrechte lediglich zivilrechtlich begründet. Den nur einfachrechtlich geschützten vermögensrechtlichen Bestandteilen des Persönlichkeitsrechts kommt gegenüber der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit grundsätzlich kein Vorrang zu." Vermögensrechtlich sei W im Übrigen kein Schaden entstanden, da er durch den Streik derart unbeliebt sei, dass niemand mit ihm werben wolle.

7. In die Abwägung ist auch die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) des W aufzunehmen, weil dieser in seiner Funktion als Gewerkschaftsführer verspottet wird.

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Nein!

Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) gewährleistet die (staats-)freie und eigenverantwortliche Aushandlung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch die Beteiligten. Dazu gehört auch das Recht auf Streiks. Durch die Meinungsäußerung der S wird W in seiner Möglichkeit zu streiken jedoch nicht beeinträchtigt.

8. In der Abwägung überwiegen die grundrechtlich geschützten Interessen von W. Seiner Klage ist damit stattzugeben.

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Nein, das ist nicht der Fall!

W unterlag vor dem OLG Dresden und dem BGH. Die Ausführungen der Gerichte wurden vom BVerfG nicht beanstandet. V.a. die unterschiedliche Reichweite von vermögensrechtlichen und ideellen Bestandteilen des APR werden vom BVerfG nicht bemängelt. "Verfassungsrechtliches und zivilrechtliches Persönlichkeitsrecht sind nicht identisch.". Das hat sogar Effekt auf die Gerichtsorganisation: der deliktsrechtliche BGH-Senat ist iRv Persönlichkeitsrechtsverletzungen zuständig für Ansprüche auf Geldentschädigung, während die Verletzung kommerziell verwendeter Persönlichkeitsrechte in den Zuständigkeitsbereich des Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechts-Senats fallen.

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