Öffentliches Recht

Grundrechte

Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)

Der Reiten im Walde Fall: examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs-Illustration zum Reiten im Walde Fall: Der Berliner Senat erlässt eine Regelung, nach der Skateboard-Fahren nur noch in Skate-Parks erlaubt, auf öffentlichen Wegen dagegen verboten sein soll.
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Klassisches Klausurproblem

Der Berliner Senat erlässt eine Regelung, nach der Skateboard-Fahren nur noch in Skate-Parks erlaubt, auf öffentlichen Wegen dagegen verboten sein soll. Skaterin S fühlt sich in ihren Grundrechten beeinträchtigt.

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Einordnung des Falls

Der Berliner Senat erlässt eine Regelung, nach der Skateboard-Fahren nur noch in Skate-Parks erlaubt, auf öffentlichen Wegen dagegen verboten sein soll. Art. 2 Abs. 1 GG schützt - in gewissen Grenzen - die freie Entfaltung der Persönlichkeit jeder Grundrechtsträgerin. Eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit liegt vor, wenn die untersagte Handlung in den Schutzbereich des Grundrechts fällt. Art. 2 Abs. 1 GG schützt als Auffanggrundrecht jedes beliebige menschliche Tun und Lassen. Die Regelung, wonach Skateboard-Fahren nur noch in Skate-Parks erlaubt, auf öffentlichen Wegen dagegen verboten ist, beeinträchtigt S in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist die Persönlichkeit der S verfassungsrechtlich geschützt?

Ja!

Art. 2 Abs. 1 GG schützt - in gewissen Grenzen - die freie Entfaltung der Persönlichkeit jeder Grundrechtsträgerin. Als natürliche Person ist S Trägerin von Grundrechten. Somit ist ihre Persönlichkeit im Rahmen ihrer Entfaltung von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.
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2. Sind Handlungen der S gemäß Art. 2 Abs. 1 GG nur verfassungsrechtlich geschützt, soweit sie ihrer Persönlichkeitsentfaltung dienen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Art. 2 Abs. 1 GG enthält - insofern über seinen Wortlaut hinaus - die sogenannte allgemeine Handlungsfreiheit. Sie wird als umfassende Freiheitsgarantie und als Auffanggrundrecht verstanden. Der Schutzbereich ist deshalb im weitesten Sinne und thematisch universal auszulegen. Demnach umfasst er jedes beliebige menschliche Tun und Lassen. Jedes beliebige Tun und Lassen erfasst alle Handlungen der S. Auch Handlungen, die mit der Persönlichkeitsentfaltung der S nichts zu tun haben, sind danach durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Früher wurde von Vertretern der sog. Persönlichkeitstheorie gefordert, den Schutzbereich auf den Kernbereich der Persönlichkeit zu reduzieren. Das BVerfG hat dieser These im Elfes-Urteil (BVerfGE 6, 32) jedoch eine Absage erteilt.

3. Beeinträchtigt die Regelung, wonach Skateboard-Fahren nur noch in Skate-Parks erlaubt, auf öffentlichen Wegen dagegen verboten ist, S in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG?

Ja, in der Tat!

Eine Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungsfreiheit liegt vor, wenn die untersagte Handlung in den Schutzbereich des Grundrechts fällt. Art. 2 Abs. 1 GG schützt als Auffanggrundrecht jedes beliebige menschliche Tun und Lassen. Das untersagte Skaten auf öffentlichen Wegen stellt ein menschliches Tun dar. Es fällt somit in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG. S ist damit in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen. Die Funktion der allgemeinen Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht hat zur Folge, dass es immer hinter spezielleren Freiheitsgrundrechten zurücktritt. Zum anderen zeichnet sich die allgemeine Handlungsfreiheit dadurch aus, dass sie relativ leicht eingeschränkt werden kann. Die Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 2 Abs. 1 GG behandeln wir im weiteren Verlauf des Kurses.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

1.2.2022, 08:48:08

Ich habe mir den weiten Schutzbereich immer mit der ursprünglichen Formulierung des parlamentarischen Rates gemerkt: “Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.” Diese hat lediglich aus sprachästhetischen Gründen ihren Weg ins Grundgesetz nicht gefunden. Der Aussagegehalt des Art. 2 I GG soll dennoch der gleiche sein.

suessmaus

suessmaus

5.6.2023, 17:39:04

Muss man die unterschiedlichen Theorien zum Schutzbereich des Art. 2 I GG darstellen und ggf. entscheiden? Was wäre dann die Begründung?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.6.2023, 16:17:14

Hallo suessmaus, der weite Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG entspricht der ganz herrschenden Meinung und muss insofern nicht vertieft problematisiert werden. Trotzdem zum Hintergrund: Das BVerfG hat den weiten Schutzbereich in der Elfes-Entscheidung vor allem damit mit dem Wortlaut der Norm begründet. Es sei nicht verständlich, wie bei einer Verengung des Schutzbereiches auf den Kern des Persönlichkeitsrechts die Ausübung gegen das Sittengesetz, die Rechte anderer oder sogar gegen die verfassungsmäßige Ordnung der freiheitlichen Demokratie verstoßen könnte. Dann wären die in Art. 2 Abs. 1 GG genannten Schranken aber völlig bedeutungslos. Daraus folge im Umkehrschluss ein weiter Schutzbereich. Schon Ende der 80er Jahre hat das BVerfG in seinem "Reiten im Walde" Beschluss es nicht mehr für nötig gehalten, diesen weiten Schutzbereich näher zu begründen und einfach auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen. Sofern Du Dich für die Gegenseite interessierst, ist das Sondervotum des Richter Grimms in dieser Entscheidung aber sehr interessant. Dieser hatte sich noch vehement für die Begrenzung des Schutzbereiches ausgesprochen: https://openjur.de/u/174362.ppdfhttps://openjur.de/u/174362.ppdf (RdNr. 112 ff.) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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