Öffentliches Recht

Grundrechte

Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 1, Abs. 3 GG)

Verhältnis zwischen Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit

Verhältnis zwischen Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Um in seinem neuen Job „anzukommen“, gründet A mit Arbeitskollegen einen Tennisverein. Sie beschließen eine Satzung und zahlen Jahresbeiträge. Zudem tritt A einer Gewerkschaft bei.

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Einordnung des Falls

Verhältnis zwischen Vereinigungsfreiheit und Koalitionsfreiheit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei dem Tennisverein handelt es sich um eine Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG.

Genau, so ist das!

Eine Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG ist ein Zusammenschluss mehrerer natürlicher oder juristischer Personen für eine gewisse Dauer zu einem gemeinsamen Zweck auf freiwilliger Basis bei Unterwerfung unter eine organisatorische Willensbildung. A hat sich freiwillig mit Arbeitskollegen, also mit mehreren Personen zusammengeschlossen zum gemeinsamen Zweck des Tennisspielens. An den Jahresbeiträgen wird deutlich, dass dies auf eine gewisse Dauer ausgelegt war. Ausweislich der Satzung haben sie sich einer gemeinsamen Willensbildung unterworfen, der Zusammenschluss weist ein Mindestmaß an Organisation auf. Damit liegt eine Vereinigung vor. Die obige verfassungsrechtliche Definition der Vereinigung i.S.d. Art. 9 Abs. 1 GG entspricht inhaltlich dem Begriff des Vereins i.S.d. § 2 Abs. 1 Vereinsgesetz.
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2. Auch bei der Gewerkschaft handelt es sich grundsätzlich um eine Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG.

Ja, in der Tat!

Eine Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG ist ein Zusammenschluss mehrerer natürlicher oder juristischer Personen für eine gewisse Dauer zu einem gemeinsamen Zweck auf freiwilliger Basis bei Unterwerfung unter eine organisatorische Willensbildung. In einer Gewerkschaft schließen sich typischerweise mehrere Personen auf eine gewisse Dauer zum gemeinsamen Zweck der Förderung der Arbeitsbedingungen zusammen. Typischerweise wird sich auch einer Satzung unterworfen und der Beitritt erfolgt freiwillig. Auch bei der Gewerkschaft handelt es sich somit um eine Vereinigung i.S.d. Art. 9 Abs. 1 GG.

3. Die Gewerkschaft stellt zudem eine Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG dar.

Ja!

Art. 9 Abs. 3 GG normiert einen Sonderfall der Vereinigung, deren Hauptzweck in der Förderung der Arbeitsbedingungen liegt. Eine solche Vereinigung wird als Koalitionen bezeichnet. Die Gewerkschaft ist eine Vereinigung (s.o.). Hauptzweck einer Gewerkschaft ist die Förderung der Arbeitsbedingungen. Bei der Gewerkschaft handelt es sich somit um eine Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG. Der Koalitionsbegriff hat nach hM noch weitere Voraussetzungen wie Gegnerfreiheit oder Unabhängigkeit. Für die Abgrenzung zu reinen Vereinigungen nach Art. 9 Abs. 1 GG spielt aber vor allem der besondere Zweck der Koalition eine Rolle.

4. Arbeitgeber G will As Betätigung in der Gewerkschaft unterbinden. Ist As Betätigung in der Gewerkschaft durch Art. 9 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützt?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Vereinigungsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 GG wird durch die Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG verdrängt, sofern deren Schutzbereich eröffnet ist. Dies ist der Fall, wenn nicht bloß irgendeine Vereinigung betroffen ist, sondern eine Koalition als Sonderfall der Vereinigung betroffen ist. Vorliegend ist mit der Gewerkschaft eine Koalition betroffen (s.o.). Art. 9 Abs. 1 GG wird somit von Art. 9 Abs. 3 verdrängt. As Betätigung in der Gewerkschaft ist damit nicht durch Art. 9 Abs. 1 GG, sondern durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. Darin kommt der besondere Schutz der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG in Betracht, die insbesondere nicht der Schranke aus Art. 9 Abs. 2 GG unterliegt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

15.3.2022, 09:19:43

Liebes Jurafuchs-Team, das ist wieder einmal ein sehr gelungener Überblick. :) Allerdings habe ich zwei Anmerkungen: 1. In der Subsumtion der ersten Aufgabe ist das Wort „freiwillig“ an die grammatikalisch falsche Stelle im Satz gerutscht. 2. In der vorletzten Aufgabe entsteht der Eindruck, als würde sich der Begriff „Koalition“ unmittelbar aus Art. 9 III GG ergeben. Könntet ihr vielleicht noch einmal klarstellen, dass dieser Begriff im Normtext nicht zu finden ist?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

15.3.2022, 11:37:01

Vielen Dank, QuiGonTim. Wir haben das in der Aufgabe klar-/richtiggestellt. Beste Grüße, Lukas- für das Jurafuchs-Team

Evan Bermel

Evan Bermel

2.8.2022, 11:27:42

Darf sich eine Koalition im Sinne des Art 9 Abs 3 GG gegen die Verfassungsmäßige Ordnung richten? Da es nicht unter der Schranke im Art 9 Abs 2 GG liegt.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.8.2022, 13:50:52

Hallo Evan Bermel, die Koalitionsfreiheit unterliegt verfassungsimmanenten Schranken, soweit sie mit anderen Rechtsgütern kollidiert, denen ebenfalls Verfassungsrang zukommt. Dazu zählen natürlich zunächst Grundrechte Dritter aber auch die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Grundsätze und ähnliches. Es besteht also nicht explizit die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung, diese ergibt sich aber aus den sich aus dem Grundgesetz ergebenden sonstigen Rechtsgütern mit Verfassungsrang. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

SL

slieser

7.1.2023, 23:52:18

Der Vertiefungshinweis ist etwas irritierend: in der Rspr des BVerfG wird Art. 9 Abs. 2 GG nicht als Schrankenregelung, sondern als Schutzbereichsbegrenzung gelesen. LG


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