Eintritt in bestehendes Unternehmen eines Kaufmanns / Haftung der entstandenen Gesellschaft, § 28 Abs. 1 S. 1 HGB (Dauerschuldverhältnis)


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Die im Handelsregister eingetragene Boutique-Inhaberin A gründet mit B und C die ABC-KG. A bringt ihre Boutique als Einlage ein und wird Kommanditistin. Die von A für die Boutique gemieteten Geschäftsräume werden von der ABC-KG beibehalten. Vermieter V wendet sich nach Gründung der ABC-KG wegen rückständiger Miete an A.

Einordnung des Falls

Eintritt in bestehendes Unternehmen eines Kaufmanns / Haftung der entstandenen Gesellschaft, § 28 Abs. 1 S. 1 HGB (Dauerschuldverhältnis)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die ABC-KG haftet für die Altverbindlichkeiten aus A‘s früherem Handelsgeschäft (§ 28 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja, in der Tat!

Wird (1) ein bestehendes Handelsgeschäft (2) bei der Gründung einer Personenhandelsgesellschaft (3) in diese eingebracht und anschließend (4) von ihr fortgeführt, haftet die entstandene Gesellschaft für die Verbindlichkeiten, die im früheren Betrieb des Kaufmanns begründet wurden (§ 28 Abs. 1 S. 1 HGB) (=gesetzlicher Schuldbeitritt), (5) sofern kein Haftungsausschluss greift (§ 28 Abs. 2 HGB). A hat die Kaufmannseigenschaft spätestens mit Handelsregistereintragung erlangt (§§ 2 S.1, 5 HGB). Ihre Boutique ist daher ein Handelsgeschäft, § 28 Abs. 1 S. 1 HGB. Dieses hat A als Einlage bei der Gründung der ABC-KG, einer Personenhandelsgesellschaft (§ 161 Abs. 1 HGB), eingebracht. Ein Haftungsausschluss greift nicht (§ 28 Abs. 2 HGB).

2. Die rückständige Miete aus der Zeit, in der A alleinige Inhaberin des Unternehmens war, ist eine Altverbindlichkeit, für welche die ABC-KG haftet (§ 28 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja!

Die neue Gesellschaft haftet für sämtliche betriebsbezogene Verbindlichkeiten, deren Rechtsgrund bereits durch den früheren Inhaber gelegt worden ist (Altverbindlichkeiten) (§ 28 Abs. 1 S. 1 HGB). Umfasst sind vertragliche und gesetzliche Ansprüche. Die Haftung ist nicht auf das Betriebsvermögen des übernommenen Unternehmens beschränkt. Der Mietvertrag über die Geschäftsräume ist ein bereits vor Unternehmensübertragung begründetes, unternehmensbezogenes Dauerschuldverhältnis. Der Rechtsgrund der Mietzinsforderungen wurde daher schon vor Übertragung der Boutique gelegt. Die Teilansprüche für die Mietzeit vor Unternehmensübertragung sind zudem bereits vorher fällig geworden (§§ 579, 556b Abs. 1 BGB).

3. Die ABC-KG wurde mit Einbringung der Boutique zum neuen Vertragspartner des Vermieters (§ 28 Abs. 1 HGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Gesellschaft tritt durch Übernahme eines Unternehmens nicht automatisch in bestehende Vertragsverhältnisse ein. Zwar haftet die Gesellschaft für Altverbindlichkeiten (§ 28 Abs. 1 S. 1 HGB). Mit der Möglichkeit, an die neue Gesellschaft zu leisten, geht jedoch nicht gleichzeitig ein Forderungsübergang einher (§ 28 Abs. 1 S. 2 HGB). Ein gesetzlicher Vertragsübergang wird durch § 28 Abs. 1 HGB daher nicht bewirkt. Auch nach den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln widerspricht ein solcher Vertragsübergang auf einen neuen Mieter ohne Mitwirkung des Vermieters den Grundsätzen der Vertragsfreiheit.

4. Die ABC-KG haftet auch für nach Unternehmensübertragung fällig werdende Mietzinsansprüche (§ 28 Abs. 1 S. 1 HGB).

Ja, in der Tat!

Der Mietvertrag wurde vor Unternehmensübertragung geschlossen und der Rechtsgrund für die Mietzinsforderungen damit gelegt. Es handelt sich also auch bei den erst nach Übertragung des Unternehmens fällig werdenden Ansprüchen um Altverbindlichkeiten, für welche die ABC-KG in konsequenter Anwendung des § 28 Abs. 1 S. 1 HGB haftet. Ein paar Stimmen in der Literatur halten eine teleologische Reduktion der Vorschrift für erforderlich. Danach soll die entstandene Gesellschaft für zukünftig fällig werdende Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen nur dann haften, wenn sie auch die Gegenleistung beanspruchen kann.

5. A haftet persönlich und unbeschränkt für die Verbindlichkeiten der ABC-KG (§ 171 Abs. 1 HGB).

Nein!

Ein Kommanditist haftet für Gesellschaftsschulden nur bis zur Höhe der im Gesellschaftsvertrag bestimmten Haftsumme. Soweit diese geleistet ist, ist die Haftung ausgeschlossen (§ 171 Abs. 1 HGB). Die Haftsumme ist von der im Verhältnis zu den Gesellschaftern zu leistenden Pflichteinlage zu unterscheiden. Im Normalfall deckt sich die Haftsumme mit der Pflichteinlage. A hat vereinbarungsgemäß ihr Unternehmen als Pflichteinlage in die ABC-KG eingebracht. Mangels abweichender Vereinbarungen ist davon auszugehen, dass der objektive Wert dieser Pflichteinlage zur Zeit ihrer Leistung der Haftsumme entspricht. Demnach ist die „Einlage“ geleistet und A von der persönlichen Haftung ausgeschlossen (§ 171 Abs. 1 HGB).

6. V kann von A Zahlung der rückständigen Miete verlangen (§ 535 Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Neben der neuen Gesellschaft haftet der frühere Inhaber des Unternehmens als Gesamtschuldner (§§ 421ff. BGB) weiter. Nimmt der frühere Inhaber in der neuen Gesellschaft die Stellung eines Kommanditisten ein (§§ 171ff. HGB), ist seine Haftung für Altverbindlichkeiten jedoch zeitlich auf fünf Jahre ab Handelsregistereintragung der neuen Gesellschaft begrenzt (§ 26 Abs. 1. S 1 i.V.m. § 28 Abs. 3 S. 1 HGB). Zwar haftet A nicht als Kommanditistin für die Forderung des V gegen die ABC-KG. A ist jedoch nach wie vor Mieterin in dem mit V geschlossenen Mietvertrag und schuldet ihm als Gesamtschuldnerin neben der ABC-KG die Entrichtung der vereinbarten Miete (§ 535 Abs. 2 BGB). Ihre Nachhaftung ist zeitlich auf fünf Jahre begrenzt (§ 28 Abs. 3 HGB).

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IUS

iustus

26.5.2021, 19:43:43

Gibt es eigentlich gesetzlich geregelte Fälle einer Vertragsübernahme? :)

Delfinsohn

Delfinsohn

26.5.2021, 21:21:36

Moin Eine allgemeine gesetzliche Regelung zur Vertragsübernahme gibt es nicht. Es gibt aber vereinzelt in diese Richtung gehende Normen wie zB §§ 566 ff BGB, 581 II BGB und § 613a BGB. Ansonsten gibt es die Schuldübernahme (§ 414) und natürlich die Abtretung (§ 398 BGB). Diese sind aber streng von der Vertragsübernahme abzugrenzen, denn diese zeichnet sich durch den vollständigen Übergang der Position des Vertragspartners aus. Hoffe das hilft Ich finde es übrigens cool dass du dich nicht nur für BWL, sondern auch für Jura interessierst 👍

BY11

by1111

26.4.2022, 11:13:22

So ganz stimmt das nicht. Bei einer Umwandlung des Rechtsträgers im Rahmen des UmwG gehen die Vetragspositionen ipso iure auf den übernehmenden Rechtsträger über. Insofern findet hier eine Vertragsübernahme von Gesetzes wegen statt.

Blackpanther

Blackpanther

14.11.2022, 12:45:33

Was ist nach Ablauf der 5 Jahre? Wenn A weiterhin Mietvertragspartner ist, kann sie trotzdem weiter in Anspruch genommen werden. Nur von A als Kommanditistin der KG könnte nichts mehr verlangt werden, oder?

Nils

Nils

29.1.2024, 01:29:32

Der Veräußerer des Handelsgeschäfts haftet für die vor dem Übergang des Handelsgeschäfts auf den Dritten begründeten Geschäftsverbindlichkeiten (Altverbindlichkeiten) neben dem Erwerber als Gesamtschuldner unverändert weiter. Die Haftung des Erwerbers ist jedoch auf 5 Jahre beschränkt (§ 26 HGB). § 26 I 3 HGB ordnet wiederum die entsprechende Anwendung der Verjährungsregelungen an, sodass Ansprüche nicht mehr durchgesetzt werden können. So würde ich das für mich einordnen.

Nils

Nils

29.1.2024, 01:29:34

Der Veräußerer des Handelsgeschäfts haftet für die vor dem Übergang des Handelsgeschäfts auf den Dritten begründeten Geschäftsverbindlichkeiten (Altverbindlichkeiten) neben dem Erwerber als Gesamtschuldner unverändert weiter. Die Haftung des Erwerbers ist jedoch auf 5 Jahre beschränkt (§ 26 HGB). § 26 I 3 HGB ordnet wiederum die entsprechende Anwendung der Verjährungsregelungen an, sodass Ansprüche nicht mehr durchgesetzt werden können. So würde ich das für mich einordnen.

Dogu

Dogu

1.3.2024, 11:01:51

Bei der Aufgabe zum Betriebsübergang wird in der Musterlösung ausgeführt, dass die Forderungen für die Monatslöhne erst nach dem Stichtag des Übergangs entstehen, obwohl der Arbeitsvertrag bereits zuvor geschlossen wurde. Bei § 28 HGB aber führt Ihr aus, dass für das Entstehen der Verbindlichkeit entscheidend ist, wann der Rechtsgrund gelegt wurde. Dann müsste man doch auch beim 613a BGB darauf abstellen, dass der Arbeitsvertrag bereits vor Betriebsübergang abgeschlossen wurde, mithin also auch die Löhne, die ein Jahr nach Übergang fällig werden, von der gesamtschuldnerischen Haftung erfasst sind. Wie wird diese Unterscheidung bezüglich der Entstehung einer Forderung bei 613a BGB (Erbringung der Leistung) und 28 HGB (Zeitpunkt des Vertragsschlusses) dogmatisch begründet?


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