Vertraglicher Gerichtsstand (Art. 7 EuGVVO)

14. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die deutsche D lebt in Saarbrücken und engagiert die in Frankreich lebende Französin F, ihren teuren Teppich zu säubern. Die Säuberung in Ds Wohnung führt F mangelhaft aus. D möchte F verklagen.

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Einordnung des Falls

Vertraglicher Gerichtsstand (Art. 7 EuGVVO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist die EuGVVO anwendbar?

Ja!

Die EuGVVO ist auf Zivil- und Handelssachen anzuwenden (sachlich), die am 10.01.2015 oder danach eingeleitet wurden (zeitlich). Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich setzt grundsätzlich voraus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat hat (abgeleitet aus Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 EuGVVO). D könnte vertragliche Ansprüche gegen F geltend machen. Diese resultieren aus einem zivilrechtlichen Verhältnis zwischen beiden. Mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der Sachverhalt nach dem 10.01.2015 spielt. D würde also danach erst ein Verfahren einleiten (durch eine Klageeinreichung). F lebt in Frankreich, hat also ihren Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat. Der Anwendungsbereich der EuGVVO ist somit eröffnet.
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2. D kann F grundsätzlich beim allgemeinen Gerichtsstand in Frankreich verklagen (Art. 4 Abs. 1 EuGVVO).

Genau, so ist das!

Art. 4 EuGVVO regelt den sog. allgemeinen Gerichtsstand. Demnach kann ein Beklagter immer in seinem Wohnsitzstaat verklagt werden. Dies gilt unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Beklagten. Am allgemeinen Gerichtsstand können jegliche Arten von Ansprüchen geltend gemacht werden. D kann F also in Frankreich verklagen. Die Norm regelt also die internationale Zuständigkeit. Sie sagt noch nichts über die örtliche Zuständigkeit, also die Zuständigkeit des Gerichts innerhalb des Mitgliedsstaats aus.

3. Schließt der besondere Gerichtsstand des Vertrags eine Klage am allgemeinen Gerichtsstand aus?

Nein, das trifft nicht zu!

Die besonderen Gerichtsstände bestehen neben dem allgemeinen Gerichtsstand. Es handelt sich bei den Regelungen nicht um vorrangigen Spezialgesetze (leges speciales). Vielmehr werden hierdurch zusätzliche, konkurrierende Gerichtsstände begründet. Nachteil der besonderen Gerichtsstände ist, dass nur bestimmte Gruppen von Ansprüchen eingeklagt werden können. Am vertraglichen Gerichtsstand können also nur vertragliche Ansprüche geltend gemacht werden. Es besteht also keine Annexkompetenz bezüglich Ansprüche anderer Natur. Es ist aber natürlich denkbar, dass unterschiedliche besondere Gerichtsstände dasselbe Gericht für zuständig erklären.

4. Der Vertragsgerichtsstand stellt auf den Ort des Vertragsschlusses ab (vgl. Art. 7 Nr. 1 EuGVVO).

Nein!

Zunächst bedarf es eines abgeschlossenen Vertrages. Ein Vertrag setzt eine freiwillig eingegangene Verpflichtung einer Partei gegenüber der anderen Partei voraus. Der Vertragsgerichtsstand stellt dann auf den Erfüllungsort ab. Dieser wird ebenfalls verordnungsautonom definiert. Beim Kaufvertrag über bewegliche Sachen ist der Lieferort maßgeblich, beim Dienstleistungsvertrag der Erbringungsort. Fällt der vorliegende Vertrag nicht unter Art. 7 Nr. 1 lit. b) EuGVVO, ist auf den Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 lit. a) EuGVVO abzustellen. Zwischen D und F besteht ein Dienstvertrag. Der Erfüllungsort, also der Erbringungsort (vgl. Art. 7 Nr. 1 lit. b) EuGVVO) liegt in Deutschland.

5. D kann F also in Deutschland und in Frankreich verklagen.

Genau, so ist das!

Neben dem allgemeinen Gerichtsstand, der am Wohnsitz des Beklagten liegt, können auch besondere Gerichtsstände gegeben sein (Art. 7ff. EuGVVO). Die besonderen Gerichtsstände sind alternativ zu dem allgemeinen Gerichtsstand gegeben, schließen diesen also nicht aus. Neben dem allgemeinen Gerichtsstand ist auch der Vertragsgerichtsstand gegeben. Der allgemeine Gerichtsstand liegt am Wohnsitz der F in Frankreich. Der Vertragsgerichtsstand stellt jedoch auf den Erfüllungsort ab. Dieser ist hier in Deutschland.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Johannes Nebe

Johannes Nebe

15.6.2024, 19:53:56

Es muss leges speciales heißen, da das Adjektiv mitdekliniert wird. -- Ihr schreibt später, dass es sich bei der Teppichreinigung um einen Dienstvertrag handelt. Im Sinne des BGB könnte man das bezweifeln. Hier wird doch ein bestimmtes Ergebnis der Arbeit geschuldet wie bei einem Werkvertrag. Dass Art. 7 Nr. 1 lit. b Alt. 2 EuGVVO von der Erbringung von Dienstleistungen spricht, steht einem Werkvertrag nicht entgegen, denn die Erfüllung eines Werkvertrages kann auch als Dienstleistung bezeichnet werden. Nur weil meine Kfz-Werkstatt eine Dienstleistung erbringt, bei der sie an meinem Wagen neue Bremsklötze montiert, wird daraus kein Dienstvertrag. Oder übersehe ich etwas?

Paulah

Paulah

19.6.2024, 22:42:08

Die Auslegung des Dienstvertrags erfolgt nicht nach dem BGB, sondern muss europäisch-autonom ausgelegt werden. Nach europäisch-autonomer Auslegung ist ein Dienstvertrag eine bestimmte Tätigkeit gegen Entgelt. Darunter fallen auch Werkverträge.

Johannes Nebe

Johannes Nebe

20.6.2024, 07:21:24

Genau, @[Paulah](135148), daher sollte der Vertrag auch als Werkvertrag bezeichnet werden.

Paulah

Paulah

20.6.2024, 07:30:25

@Johannes Nebe Ich glaube nicht, weil der Werkvertrag kein Terminus im Europarecht ist, sondern die Verträge, die nach nationalem Recht Werkverträge heißen, fallen im Europarecht unter den Begriff Dienstvertrag.

Johannes Nebe

Johannes Nebe

24.6.2024, 09:42:41

Wir wollen das noch mal sortieren. Ich monierte, dass die Teppichreinigung hier als Dienstvertrag bezeichnet wird. Ich sah darin keinen Dienstvertrag, sondern einen Werkvertrag. Natürlich verwende ich hier diese Begriffe im Sinne des BGB, aber nur, damit wir eine Begriffsdefinition haben, auf deren Grundlage wir diskutieren können. Dass die EuGVVO-Vorschriften verordnungsautonom auszulegen sind, wissen wir. Wenn in Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO stünde, dass alle Verträge mit Dienstleistungen als Dienstvertrag bezeichnet werden, würde ich @[Paulah](135148) und den Jurafuchs-Text verstehen. In der Norm kommt der Begriff Dienstvertrag aber nicht vor. Es wird lediglich ausgeführt, dass am

Erfüllungsort

verklagt werden kann, wenn die vertragsgemäße Erbringung von Dienstleistungen in einem Mitgliedsstaat erbracht worden ist. Autonom ausgelegt heißt das, dass sowohl Dienstverträge (gem. BGB) als auch Werkverträge (gem. BGB) hierunter fallen können, denn bei beiden Vertragsarten werden Dienstleistungen erbracht. Folglich ist es nicht hilfreich, sondern unnötig, bei der Teppichreinigung von einem Dienstvertrag zu sprechen. Es ist nämlich keiner -- auch nicht nach der EuGVVO.

Foxxy

Foxxy

31.8.2024, 11:58:32

Hallo Johannes Nebe, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

25.8.2024, 16:38:51

Ich tue mich schwer mit dem Maßstab zu Frage 1, wo der räumlich-persönliche Anwendungsbereich aus Art. 4 bis 6 EuGVVO abgeleitet wird. Das dortige Kap. II regelt die Gerichtszuständigkeit, nicht den Anwendungsbereich, der nämlich unter Kap. I fällt. Soweit ich lese, ist es eine "ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung" der EuGVVO, dass das angerufene Gericht in einem Mitgliedstaat der Verordnung liegt (BeckOK ZPO/Antomo, Brüssel-Ia-VO Art. 1, Rn. 11).


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