Gefährdung durch AKWs
6. Juli 2025
10 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A ist empört. Sie hat gerade die Nachricht erhalten, dass in ihrer Nähe ein Atomkraftwerk gebaut werden soll. Sie dachte, das wäre verboten. Das ist doch viel zu gefährlich für die Gesundheit! So viele Schutzmaßnahmen kann der Staat doch gar nicht vornehmen.
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Einordnung des Falls
Gefährdung durch AKWs
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der sachliche Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG) ist eröffnet.
Ja!
2. Bei einer solchen Gefahr ist eine Rechtfertigung ausgeschlossen. Der Staat darf das Atomkraftwerk also nicht bauen.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Es liegt ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der A vor. Ausreichend ist die Gefährdung durch denkbare Schädigungen.
Ja, in der Tat!
4. Die Abwägung des Gesetzgebers darf auch ergeben, dass das Kraftwerk gebaut werden darf.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Hamburger Michel
15.9.2020, 13:30:43
Gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 AtG werden jedoch für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität und von Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe keine Genehmigungen mehr erteilt.

Lukas_Mengestu
1.11.2021, 19:10:03
Fair enough und schöner Punkt! Wobei auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Nutzung von Kernenergie nun ja wieder et
was Bewegung kommt ;-)
Miriam
22.7.2024, 10:42:55
Könnte man hier auch argumentieren, dass kein Eingriff vorliegt, weil die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen
Gefahrgering ist? In einem vorherigen Fall bei dem Recht auf Leben, bei dem Atomwaffen stationiert werden sollten wurde ein Eingriff verneint, weil es von weiteren Faktoren abhängt, ob tatsächlich eine
Gefahrentsteht und das bloße Dasein der Atomwaffen noch keine
Gefahrdarstellt. Wäre das hier dann nicht das gleiche? Ja, es gibt ein paar Vorfälle, in denen eine
Gefahrentstanden ist aber es gibt auch viele Kraftwerke die nie eine
Gefahrdargestellt haben. Mal sehr überspitzt gesagt, wenn man einen Eingriff bejaht bei allem, was potenziell eine
Gefahrdarstellen könnte, würde ja auch die Erlaubnis Autos oder Flugzeuge Herzustellen einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellen.

Claroushka
26.8.2024, 16:18:19
Ich würde auch gerne mehr zur genauen Abgrenzung gegenüber dem Fall mit den stationierten Atomwaffen wissen. Mir ist nicht klar, wo hier die Grenze/ der Unterschied liegt?
annsophie.mzkw
30.9.2024, 15:16:35
Ich vermute, dass hier ein Eingriff bejaht wurde, weil das AKW „in der Nähe“ gebaut werden soll und somit ein enger räumlicher Zusammenhang gegeben ist und damit gerade nicht nur eine fernliegende Gesundheits
gefahrfür die betroffenen Anwohner gegeben ist.
annsophie.mzkw
30.9.2024, 15:17:59
Im Rahmen der Rechtfertigung kann man dann aber ja immer noch zu dem Ergebnis kommen, dass der Bau des AKW zulässig und der Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Anwohner damit gerechtfertigt ist.
hagenhubl
1.12.2024, 10:41:23
Das ist aber nicht mit Autos und Flugzeugen vergleichbar. Hier kann jeder selbst entscheiden, ob er einsteigt oder nicht.
Birdnerd
13.12.2024, 10:35:20
Ich musste auch an Autos denken. Dabei hat es bei den Autos auch nichts damit zu tun ob man einsteigt oder nicht, wie @[hagenhubl](233869) meint. Eine
Gefahrfür andere Menschen sind sie dennoch. Und Autounfälle passieren ja sehr häufig, wogegen es wenig Reaktorunfälle gibt. Ich wüsste gerne, wieso das hier einen Eingriff darstellt, aber andere Dinge wie Auto fahren oder Atomwaffenstationierung eben nicht. Sehe da eigentlich keinen Unterschied, bis auf, dass Reaktorunfälle wirklich selten sind.

Tabasco
16.6.2025, 13:46:54
Wenn ich das richtig verstanden habe, stellt die Stationierung von Atomwaffen keinen Eingriff dar, weil eine mögliche
Gefahr– etwa die Tatsache, dass der Ort dadurch zum Angriffsziel wird – von anderen Staaten ausgeht. Ein Eingriff würde jedoch voraussetzen, dass der
Schadendurch eigenes staatliches Handeln verursacht wird. Bei einem Atomkraftwerk (AKW) ist die Lage hingegen anders: Hier hängt es nicht vom Verhalten anderer Staaten ab, ob ein
Schadeneintritt, sondern vielmehr von den Schutzmaßnahmen, die der Staat selbst für das AKW trifft. Ich denke also, es kommt hier sozusagen auf eine Abgrenzung zwischen fremdverursachter
Gefahr(z. B. Angriff durch einen anderen Staat wegen der Atomwaffenstationierung) und eigenverantwortlich (also staatlich) beherrschbarer
Gefahr(z. B. Unfallrisiko beim Betrieb eines AKWs, das durch staatliche Schutzmaßnahmen beeinflusst werden kann). Bei Gefährdungen durch die private Nutzung von Autos oder Flugzeugen liegt grundsätzlich kein Eingriff durch den Staat vor, wenn es zu Schäden kommt. Der Staat verursacht diese
Gefahren ja logischerweise nicht selbst (kein aktives Tun), sondern ermöglicht lediglich durch gesetzliche Regelungen die private Nutzung des Straßen- bzw. Luftverkehrs. Er selber setzt das Risiko also nicht unmittelbar, sondern kontrolliert und begrenzt es durch Schutzmaßnahmen (z.B. Führer-/ Pilotenschein, TÜV, Verkehrsregeln, Blitzer, usw.). Hat der Staat also genügend Schutzmaßnahmen getroffen, liegt kein Grundrechtseingriff vor; vielmehr realisiert sich dann nur das allgemeine Lebensrisiko im Straßen- oder Luftverkehr. Würde der Staat dagegen z.B. darauf verzichten, Schutzvorkehrungen zu treffen, könnte das einen Verstoß gegen seine grundrechtliche
Schutzpflichtaus Art. 2 Abs. 2 GG darstellen. In dem Fall läge aber keine Eingriffsmaßnahme, sondern eine Grundrechtsverletzung durch Unterlassen vor. Aber ich bin mir auch nicht wirklich sicher, ob meine Erklärung stimmt 😅

Tabasco
16.6.2025, 14:06:30
*ergänzend zu meinem vorherigen thread* Beim Bau oder der Genehmigung eines Atomkraftwerks handelt der Staat aktiv und schafft dadurch selbst eine
konkrete Gefahrenquelle für Leben und Gesundheit. Das ist ein möglicher Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG, weil das Risiko durch staatliches Handeln entsteht. —> Der Staat weiß ja, dass ein AKW von Natur aus ein sehr hohes
Gefahrenpotenzial besitzt und entscheidet sich trotzdem aktiv für den Bau davon. Es ist also kein allgemeines Lebensrisiko mehr Bei Autos oder Flugzeugen dagegen erlaubt der Staat nur die private Nutzung, trifft aber Schutzmaßnahmen (z. B. Führerschein, TÜV). Kommt es hier zu Schäden, liegt kein staatlicher Eingriff vor, sondern es realisiert sich ein allgemeines Lebensrisiko, die auf individuelle Fahrfehler zurückzuführen sind.