Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
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Jurastudium und Referendariat.
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Studentin S stellt bei der zuständigen Behörde einen BAföG-Antrag. Diesem Antrag wird jedoch nicht entsprochen. Daraufhin legt S Widerspruch ein. Die Behörde hilft dem Widerspruch nicht ab und gibt der S durch einen bewusst unförmlichen Brief den Widerspruchsbescheid bekannt.
Einordnung des Falls
Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. In bestimmten Fällen ist die Bekanntgabe durch förmliche Zustellung erforderlich.
Genau, so ist das!
2. Der Widerspruchsbescheid an S hätte förmlich zugestellt werden müssen.
Ja, in der Tat!
3. Der Widerspruchsbescheid an S ist trotz der fehlenden förmlichen Zustellung wirksam.
Nein!
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RealOmnimodo 🇺🇦
3.11.2021, 11:31:04
Ich verstehe das nicht ganz. Die Behörde hatte einen Bekanntwillen. Ist es etwas anderes als der „Zustellungswille“? Zwar hat die Behörde bewusst gegen die vorgeschriebene Form verstoßen, dieser Verstoß müsste doch aber eigentlich nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein?
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Lukas_Mengestu
3.11.2021, 12:40:28
Hallo
omnimodo facturus, vielen Dank für die Frage. "Bekanntgabewillen" und "Zustellungswillen" unterscheiden sich tatsächlich. Denn der Zustellungswillen bezeichnet den Willen, die formgerechte Zustellung anzustreben. Fehlt es an diesem Bestreben, so kommt eine Heilung nach § 8 VwVzG nicht in Betracht (so jüngst auch im Zivilrecht nochmal der BGH zur Parallelnorm § 189 ZPO, BGH NJW 2021, 2660). Bekanntgabewillen umfasst dagegen den Willen der Behörde, 1) ob, 2) wann und 3) an wen ein VA bekanntgegeben wird. § 46 VwVfG hilft uns bei fehlendem Zustellungswillen leider nicht weiter. Denn dieser greift nur, soweit ein wirksamer, aber rechtswidriger, Verwaltungsakt existiert. Dies setzt aber eine wirksame Bekanntgabe voraus, denn die Bekanntgabe ist quasi die Geburt des VA (§ 43 Abs. 1 VwVfG). Davor existiert er rechtlich nicht. Soweit § 46 VwVfG insoweit von Formfehlern spricht, ist dies etwas missverständlich. Dabei geht es in erster Linie um Verstöße gegen § 37 Abs. 2 und 3 VwVfG, nicht aber über Verstöße gegen die Bekanntgabe. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
asanzseg
5.4.2023, 15:33:27
@[Lukas Mengestu](136780). Ja gut, aber dann passt die Antwort auch nicht bzw. Ist ungenau. Du sagst hier (richtig) dass die Bekanntgabe die Geburt des VA ist und demnach wirksamkeitserfordernis. Die Bekanntgabe kann best. Formerfordernissen gebunden sein (wie hier die förmliche Zustellung). Widerrum für die Zustellung ist erforderlich, dass (1) tatsächlich die Form der Zustellung eingehalten wurde (2) die Zustellung i.S.E. Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Adressaten (3) Zustellungswille der Behörde. Die Form kann geheilt werden und lässt die Zustellung und demnach auch die Bekanntgabe nicht unwirksam werden sondern betrifft nur die „Ordnungsgemäßheit“ als formelle Voraussetzung. Ihr widerspricht diesem Gedanken in der Lösung. Ihr sagt: „Eine nicht ordnungsgemäße, aber wirksame Zustellung ist . grundsätzlich heilbar, wenn der Bescheid tatsächlich zugegangen ist (§ 8 VwZG). Eine Heilung scheidet allerdings aus, wenn es an der Zustellung mangels Zustellungswillens gänzlich fehlt und damit die Zustellung unwirksam ist. So liegt es auch hier. Denn der Widerspruchsbescheid wurde durch einen bewusst unförmlichen Brief bekanntgegeben. - In jedem Fall beginnen hier dann die Rechtsbehelfsfristen nicht zu laufen. —„ Der letzte letzte Satz lässt den Schluss zu, dass der VA wirksam sei, und lediglich die Frist hemmt. Dies ist aber - anders als bei der mangelnden Bekanntgabe bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung- gerade nicht der Fall weil es hier m.M.n. Gänzlich an einer Bekanntgabe fehlt und somit der Verwaltungsakt nicht wirksam sein kann, außer die Behörde erlässt einen neuen - mit Zustellungswillen- durch förmliche Zustellung erlassenen VA. Sonst macht das ganze ja keinen Sinn. Verneint man die Wirksamkeit des VA mangels Bekanntgabe widerrum mangels Zustellungswillen der Behörde, und lässt nur die Frist hemmen, dann ist ja die „Geburt des VA“ ja trotzdem erfolgt….
![Spyce](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__gaqympndeefnrtrgcjzfw.jpeg%3Ftype%3Draw&w=3840&q=75)
Spyce
7.7.2023, 14:10:57
Gefragt wird doch bloß, ob der Bescheid wirksam ist. Dafür ist doch nach § 43 I 1 VwVfG lediglich die Bekanntgabe (als Unterscheidung zur ordnungsmäßigen Bekanntgabe) relevant. Hier wird der S der Inhalt auch mit ! Bekanntgabewille ! der Behörde eröffnet. Ob Zustellungswille und Heilung nach § 8 VwZG vorliegen, ist dann eine Frage der ordnungsmäßigen Bekanntgabe, wobei ein dortiger Mangel aber (außer Fall von § 44 VwVfG) nicht zur Unwirksamkeit führt. Der Bescheid selbst ist also bekanntgegeben worden und somit wirksam. Dies vertritt Detterbeck Verwaltungsrecht AT Rn. 581 ff. ebenfalls, denn ihr ja auch selbst zitiert habt.
![CR7](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__dywyyccdlqqvmidbwslki.jpeg%3Ftype%3Draw&w=3840&q=75)
CR7
7.8.2023, 18:35:29
Schließe mich hier an
MLena
2.10.2023, 12:23:55
Ich habe mir die Frage gerade auch gestellt, könnte bitte noch ein Moderator Licht ins Dunkel bringen? :)
Muriz
6.10.2023, 13:37:08
Das verwirrt mich auch
Falsus Prokuristor
1.4.2024, 17:17:47
Bitte einmal aufklären, vielen Dank!
![Ala](/_next/image?url=https%3A%2F%2Fwissen.jurafuchs.de%2Fimage%2F%25252Fassets%25252Fsecure%25252Fusers%25252Favatar__zikcfdotpfstslbrnljcw.jpeg%3Ftype%3Draw&w=3840&q=75)
Ala
4.6.2024, 13:59:57
Leider immer noch nicht aufgeklärt - bitte Rückmeldung!
Stella2244
12.6.2024, 16:00:20
Ich denke das wird alles erst in der formellen Rechtmäßigkeit relevant