Öffentliches Recht
Verwaltungsrecht AT
Wirksamkeit von Verwaltungsakten
Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Studentin S stellt bei der zuständigen Behörde einen BAföG-Antrag. Diesem Antrag wird jedoch nicht entsprochen. Daraufhin legt S Widerspruch ein. Die Behörde hilft dem Widerspruch nicht ab und schickt S den Widerspruchsbescheid per einfacher Post.
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Einordnung des Falls
Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. In bestimmten Fällen ist die Bekanntgabe durch förmliche Zustellung erforderlich.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Widerspruchsbescheid an S hätte förmlich zugestellt werden müssen.
Ja, in der Tat!
3. Die fehlerhafte Bekanntgabe ist hier jedenfalls durch die tatsächliche Kenntnis der S geheilt (§ 8 VwZG). Ist der Widerspruchsbescheid deswegen nach allen Ansichten wirksam?
Ja!
4. Hier wurde S der Widerspruchsbescheid nicht förmlich zugestellt. Besteht in der Lit. und Rspr. Einigkeit darüber, dass der Verwaltungsakt in diesen Fällen unwirksam ist?
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
RealOmnimodo 🇺🇦
3.11.2021, 11:31:04
Ich verstehe das nicht ganz. Die
Behördehatte einen Bekanntwillen. Ist es etwas anderes als der „Zustellungswille“? Zwar hat die
Behördebewusst gegen die vorgeschriebene Form verstoßen, dieser Verstoß müsste doch aber eigentlich nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein?
Lukas_Mengestu
3.11.2021, 12:40:28
Hallo omnimodo facturus, vielen Dank für die Frage. "Bekanntgabewillen" und "Zustellungswillen" unterscheiden sich tatsächlich. Denn der Zustellungswillen bezeichnet den Willen, die formgerechte Zustellung anzustreben. Fehlt es an diesem Bestreben, so kommt eine Heilung nach § 8 VwVzG nicht in Betracht (so jüngst auch im Zivilrecht nochmal der BGH zur Parallelnorm § 189 ZPO, BGH NJW 2021, 2660). Bekanntgabewillen umfasst dagegen den Willen der
Behörde, 1) ob, 2) wann und 3) an wen ein VA bekanntgegeben wird. § 46 VwVfG hilft uns bei fehlendem Zustellungswillen leider nicht weiter. Denn dieser greift nur, soweit ein wirksamer, aber rechtswidriger, Verwaltungsakt existiert. Dies setzt aber eine wirksame Bekanntgabe voraus, denn die Bekanntgabe ist quasi die Geburt des VA (§ 43 Abs. 1 VwVfG). Davor existiert er rechtlich nicht. Soweit § 46 VwVfG insoweit von Formfehlern spricht, ist dies etwas missverständlich. Dabei geht es in erster Linie um Verstöße gegen § 37 Abs. 2 und 3 VwVfG, nicht aber über Verstöße gegen die Bekanntgabe. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
asanzseg
5.4.2023, 15:33:27
@[Lukas Mengestu](136780). Ja gut, aber dann passt die Antwort auch nicht bzw. Ist ungenau. Du sagst hier (richtig) dass die Bekanntgabe die Geburt des VA ist und demnach wirksamkeitserfordernis. Die Bekanntgabe kann best. Formerfordernissen gebunden sein (wie hier die
förmliche Zustellung). Widerrum für die Zustellung ist erforderlich, dass (1) tatsächlich die Form der Zustellung eingehalten wurde (2) die Zustellung i.S.E. Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Adressaten (3) Zustellungswille der
Behörde. Die Form kann geheilt werden und lässt die Zustellung und demnach auch die Bekanntgabe nicht unwirksam werden sondern betrifft nur die „Ordnungsgemäßheit“ als formelle Voraussetzung. Ihr widerspricht diesem Gedanken in der Lösung. Ihr sagt: „Eine nicht ordnungsgemäße, aber wirksame Zustellung ist . grundsätzlich heilbar, wenn der Bescheid tatsächlich zugegangen ist (§
8 VwZG). Eine Heilung scheidet allerdings aus, wenn es an der Zustellung mangels Zustellungswillens gänzlich fehlt und damit die Zustellung unwirksam ist. So liegt es auch hier. Denn der Widerspruchsbescheid wurde durch einen bewusst unförmlichen Brief bekanntgegeben. - In jedem Fall beginnen hier dann die Rechtsbehelfsfristen nicht zu laufen. —„ Der letzte letzte Satz lässt den Schluss zu, dass der VA wirksam sei, und lediglich die Frist hemmt. Dies ist aber - anders als bei der mangelnden Bekanntgabe bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung- gerade nicht der Fall weil es hier m.M.n. Gänzlich an einer Bekanntgabe fehlt und somit der Verwaltungsakt nicht wirksam sein kann, außer die
Behördeerlässt einen neuen - mit Zustellungswillen- durch
förmliche Zustellungerlassenen VA. Sonst macht das ganze ja keinen Sinn. Verneint man die Wirksamkeit des VA mangels Bekanntgabe widerrum mangels Zustellungswillen der
Behörde, und lässt nur die Frist hemmen, dann ist ja die „Geburt des VA“ ja trotzdem erfolgt….
Spyce
7.7.2023, 14:10:57
Gefragt wird doch bloß, ob der Bescheid wirksam ist. Dafür ist doch nach § 43 I 1 VwVfG lediglich die Bekanntgabe (als Unterscheidung zur ordnungsmäßigen Bekanntgabe) relevant. Hier wird der S der Inhalt auch mit ! Bekanntgabewille ! der
Behördeeröffnet. Ob Zustellungswille und Heilung nach §
8 VwZGvorliegen, ist dann eine Frage der ordnungsmäßigen Bekanntgabe, wobei ein dortiger Mangel aber (außer Fall von
§ 44 VwVfG) nicht zur Unwirksamkeit führt. Der Bescheid selbst ist also bekanntgegeben worden und somit wirksam. Dies vertritt Detterbeck Verwaltungsrecht AT Rn. 581 ff. ebenfalls, denn ihr ja auch selbst zitiert habt.
CR7
7.8.2023, 18:35:29
Schließe mich hier an
MLena
2.10.2023, 12:23:55
Ich habe mir die Frage gerade auch gestellt, könnte bitte noch ein Moderator Licht ins Dunkel bringen? :)
Muriz
6.10.2023, 13:37:08
Das verwirrt mich auch
Falsus Prokuristor
1.4.2024, 17:17:47
Bitte einmal aufklären, vielen Dank!
Ala
4.6.2024, 13:59:57
Leider immer noch nicht aufgeklärt - bitte Rückmeldung!
Stella2244
12.6.2024, 16:00:20
judith
25.7.2024, 13:12:46
Auch wenn der Thread schon etwas älter ist, würde ich mich auch über eine Rückmeldung von einem Moderator freuen
Linne_Karlotta_
25.7.2024, 17:55:56
Hallo in die Runde und danke für die Nachfrage @[Spyce](156540). § 41 Abs. 1 bis Abs. 4 VwVfG regelt die Bekanntgabe, sofern keine besonderen Vorschriften vorgehen. Nach § 41 Abs. 5 VwVfG bleiben die Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts mittels Zustellung unberührt. Diese Norm stellt also zunächst einmal klar, dass es sich bei der Zustellung um eine besondere Form der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts handelt und dass die entsprechenden Vorschriften über die Zustellung von Verwaltungsakten (in unserem Fall hier das VwZG) den Vorschriften des VwVfG vorgehen. Für die Bekanntgabe gelten also besondere Voraussetzungen, nämlich die der jeweils gewählten Zustellungsform. Eure Nachfragen sind insofern berechtigt, als dass umstritten ist, wie sich eine fehlerhafte Zustellung auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts auswirkt. Die wohl h.M. in der Lit. vertritt die Ansicht, dass für Fehler bei der Zustellung dasselbe gilt, wie bei Fehlern der „einfachen“ Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Begründet wird dies damit, dass die Zustellung als Aliud an die Stelle der „einfachen“ Bekanntgabe tritt. Nach dieser Ansicht führt eine fehlerhafte Zustellung also dazu, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam wird (so wie hier in der Aufgabe dargestellt). Siehe dazu z.B. Stelkens/Bonk/Sachs/U, VwVfG, 10. Aufl. 2022,§ 41 RdNr. 200. Die andere Ansicht, die vor allem in der Rspr. vertreten wird, erklärt den fehlerhaft zugestellten Verwaltungsakt für äußerlich wirksam, wenn zumindest die Voraussetzungen der einfachen Bekanntgabe nach § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG erfüllt sind, d.h. der Verwaltungsakt mit Wissen und Wollen der
Behördedem Adressaten zugeht. Nach dieser Auffassung seien die Zustellungsvoraussetzungen lediglich ein Plus gegenüber der Bekanntgabe, das allein die Beweisbarkeit des Zugangszeitpunkts bezwecke. Die Ansichten kommen nur in den Fällen zu verschiedenen Ergebnissen, wo die Zustellung zwar die Anforderungen einer einfachen Bekanntgabe aus § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG erfüllt, die Zustellung aber fehlerhaft und auch keine Heilung des Fehlers eingetreten ist. Dies wird selten vorkommen, da in den meisten Fällen eine Heilung anzunehmen ist, wenn die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG vorliegen. Man schneidet sich in der Falllösung also einen „Schlenker“ ab, wenn man der Rspr. folgt. Geschickt könnte man beide Auffassungen kurz darstellen und dann feststellen, dass jedenfalls Heilung des Zustellungsfehlers vorliegt und der Verwaltungsakt deswegen wirksam ist. Die Ansicht der Rspr. kam in unserer Aufgabe aber in der Tat zu kurz, ich habe das jetzt ergänzt und die Aufgabe überarbeitet. Einen guten Gesamtüberblick über die Thematik der Zustellung findet Ihr bei Struzina/Kaiser: Die Zustellung von Verwaltungsakten in der Fallbearbeitung, JA 2020, 27. Ich hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen! Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team