Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Wirksamkeit von Verwaltungsakten

Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben

Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Studentin S stellt bei der zuständigen Behörde einen BAföG-Antrag. Diesem Antrag wird jedoch nicht entsprochen. Daraufhin legt S Widerspruch ein. Die Behörde hilft dem Widerspruch nicht ab und schickt S den Widerspruchsbescheid per einfacher Post.

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Einordnung des Falls

Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. In bestimmten Fällen ist die Bekanntgabe durch förmliche Zustellung erforderlich.

Genau, so ist das!

In bestimmten Fällen ist eine förmliche Zustellung geboten. Dann gilt nicht mehr der § 41 VwVfG, sondern nur das jeweilige Verwaltungszustellungsrecht (vgl. § 41 Abs. 5 VwVfG). Für Bundesbehörden, bundesunmittelbare Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und Landesfinanzbehörden gilt das Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) des Bundes (§ 1 Abs. 1 VwZG). Danach ist die förmliche Zustellung immer dann erforderlich, wenn ein Gesetz oder eine behördliche Anordnung dies vorsieht (§ 1 Abs. 2 VwZG). Verschiedene Zustellungsarten ergeben sich aus §§ 3, 4, 5, 5a, 9, 10 VwZG.
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2. Der Widerspruchsbescheid an S hätte förmlich zugestellt werden müssen.

Ja, in der Tat!

Die förmliche Zustellung immer dann erforderlich, wenn ein Gesetz oder eine behördliche Anordnung dies vorsieht (§ 1 Abs. 2 VwZG).Die VwGO bestimmt, dass jeder Widerspruchsbescheid förmlich im Sinne des VwZG zuzustellen ist (§ 73 Abs. 3 S. 1 und 2 VwGO). Das heißt, dass bei einem Widerspruchsbescheid auch dann nach dem VwZG zuzustellen ist, wenn eine Landesbehörde handelt. Hier genügt eine „einfache“ Bekanntmachung also nicht.Weitere Beispiele für Fälle, in denen die förmliche Zustellung gesetzlich vorgeschrieben ist, finden sich in § 50 Abs. 1 S. 2 OWiG, § 70 Abs. 1 BauGB, § 122 Abs. 5 AO und § 10 Abs. 7 BImSchG.

3. Die fehlerhafte Bekanntgabe ist hier jedenfalls durch die tatsächliche Kenntnis der S geheilt (§ 8 VwZG). Ist der Widerspruchsbescheid deswegen nach allen Ansichten wirksam?

Ja!

Ist eine förmliche Zustellung vorgesehen, muss für die Wirksamkeit des Verwaltungsakts die Zustellung wirksam sein (h.L.). Eine nicht ordnungsgemäße Zustellung ist grundsätzlich heilbar, wenn der Bescheid tatsächlich zugegangen ist (§ 8 VwZG). Dann ist der Verwaltungsakt bekanntgegeben und damit wirksam. Nach a.A. kommt es für die Wirksamkeit des Verwaltungsakts nur darauf an, ob die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG vorliegen.S hat tatsächlich Kenntnis vom Widerspruchsbescheid erlangt. Dieser ist also nach beiden Ansichten wirksam. Eine Heilung nach § 8 VwZG scheidet aus, wenn es an der Zustellung mangels Zustellungswillens gänzlich fehlt und damit die Zustellung unwirksam ist.

4. Hier wurde S der Widerspruchsbescheid nicht förmlich zugestellt. Besteht in der Lit. und Rspr. Einigkeit darüber, dass der Verwaltungsakt in diesen Fällen unwirksam ist?

Nein, das trifft nicht zu!

Damit ein Verwaltungsakt wirksam ist, muss er wirksam bekanntgegeben werden (§ 43 VwVfG). Sofern über § 41 Abs. 5 VwVfG eine förmliche Zustellung erforderlich ist, ist umstritten, ob sich eine fehlerhafte Zustellung auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts auswirken. Nach der h.M. in der Lit. führt eine fehlerhafte Zustellung dazu, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam wird. Die Zustellung sei ein Aliud zur „einfachen“ Zustellung nach § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Nach der – hauptsächlich in der Rspr. – vertretenen Gegenansicht, wird ein Verwaltungsakt auch bei fehlerhafter Zustellung wirksam, sofern die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG vorliegen. Die Regeln über die förmliche Zustellung sei nur ein „Plus“ zur einfachen Bekanntgabe. Die förmliche Zustellung diene allein der Beweisbarkeit der Bekanntgabe.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

REA🇺🇦

RealOmnimodo 🇺🇦

3.11.2021, 11:31:04

Ich verstehe das nicht ganz. Die

Behörde

hatte einen Bekanntwillen. Ist es etwas anderes als der „Zustellungswille“? Zwar hat die

Behörde

bewusst gegen die vorgeschriebene Form verstoßen, dieser Verstoß müsste doch aber eigentlich nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.11.2021, 12:40:28

Hallo omnimodo facturus, vielen Dank für die Frage. "Bekanntgabewillen" und "Zustellungswillen" unterscheiden sich tatsächlich. Denn der Zustellungswillen bezeichnet den Willen, die formgerechte Zustellung anzustreben. Fehlt es an diesem Bestreben, so kommt eine Heilung nach § 8 VwVzG nicht in Betracht (so jüngst auch im Zivilrecht nochmal der BGH zur Parallelnorm § 189 ZPO, BGH NJW 2021, 2660). Bekanntgabewillen umfasst dagegen den Willen der

Behörde

, 1) ob, 2) wann und 3) an wen ein VA bekanntgegeben wird. § 46 VwVfG hilft uns bei fehlendem Zustellungswillen leider nicht weiter. Denn dieser greift nur, soweit ein wirksamer, aber rechtswidriger, Verwaltungsakt existiert. Dies setzt aber eine wirksame Bekanntgabe voraus, denn die Bekanntgabe ist quasi die Geburt des VA (§ 43 Abs. 1 VwVfG). Davor existiert er rechtlich nicht. Soweit § 46 VwVfG insoweit von Formfehlern spricht, ist dies etwas missverständlich. Dabei geht es in erster Linie um Verstöße gegen § 37 Abs. 2 und 3 VwVfG, nicht aber über Verstöße gegen die Bekanntgabe. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ASA

asanzseg

5.4.2023, 15:33:27

@[Lukas Mengestu](136780). Ja gut, aber dann passt die Antwort auch nicht bzw. Ist ungenau. Du sagst hier (richtig) dass die Bekanntgabe die Geburt des VA ist und demnach wirksamkeitserfordernis. Die Bekanntgabe kann best. Formerfordernissen gebunden sein (wie hier die

förmliche Zustellung

). Widerrum für die Zustellung ist erforderlich, dass (1) tatsächlich die Form der Zustellung eingehalten wurde (2) die Zustellung i.S.E. Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Adressaten (3) Zustellungswille der

Behörde

. Die Form kann geheilt werden und lässt die Zustellung und demnach auch die Bekanntgabe nicht unwirksam werden sondern betrifft nur die „Ordnungsgemäßheit“ als formelle Voraussetzung. Ihr widerspricht diesem Gedanken in der Lösung. Ihr sagt: „Eine nicht ordnungsgemäße, aber wirksame Zustellung ist . grundsätzlich heilbar, wenn der Bescheid tatsächlich zugegangen ist (§

8 VwZG

). Eine Heilung scheidet allerdings aus, wenn es an der Zustellung mangels Zustellungswillens gänzlich fehlt und damit die Zustellung unwirksam ist. So liegt es auch hier. Denn der Widerspruchsbescheid wurde durch einen bewusst unförmlichen Brief bekanntgegeben. - In jedem Fall beginnen hier dann die Rechtsbehelfsfristen nicht zu laufen. —„ Der letzte letzte Satz lässt den Schluss zu, dass der VA wirksam sei, und lediglich die Frist hemmt. Dies ist aber - anders als bei der mangelnden Bekanntgabe bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung- gerade nicht der Fall weil es hier m.M.n. Gänzlich an einer Bekanntgabe fehlt und somit der Verwaltungsakt nicht wirksam sein kann, außer die

Behörde

erlässt einen neuen - mit Zustellungswillen- durch

förmliche Zustellung

erlassenen VA. Sonst macht das ganze ja keinen Sinn. Verneint man die Wirksamkeit des VA mangels Bekanntgabe widerrum mangels Zustellungswillen der

Behörde

, und lässt nur die Frist hemmen, dann ist ja die „Geburt des VA“ ja trotzdem erfolgt….

Spyce

Spyce

7.7.2023, 14:10:57

Gefragt wird doch bloß, ob der Bescheid wirksam ist. Dafür ist doch nach § 43 I 1 VwVfG lediglich die Bekanntgabe (als Unterscheidung zur ordnungsmäßigen Bekanntgabe) relevant. Hier wird der S der Inhalt auch mit ! Bekanntgabewille ! der

Behörde

eröffnet. Ob Zustellungswille und Heilung nach §

8 VwZG

vorliegen, ist dann eine Frage der ordnungsmäßigen Bekanntgabe, wobei ein dortiger Mangel aber (außer Fall von

§ 44 VwVfG

) nicht zur Unwirksamkeit führt. Der Bescheid selbst ist also bekanntgegeben worden und somit wirksam. Dies vertritt Detterbeck Verwaltungsrecht AT Rn. 581 ff. ebenfalls, denn ihr ja auch selbst zitiert habt.

CR7

CR7

7.8.2023, 18:35:29

Schließe mich hier an

MLENA

MLena

2.10.2023, 12:23:55

Ich habe mir die Frage gerade auch gestellt, könnte bitte noch ein Moderator Licht ins Dunkel bringen? :)

MUR

Muriz

6.10.2023, 13:37:08

Das verwirrt mich auch

Falsus Prokuristor

Falsus Prokuristor

1.4.2024, 17:17:47

Bitte einmal aufklären, vielen Dank!

Ala

Ala

4.6.2024, 13:59:57

Leider immer noch nicht aufgeklärt - bitte Rückmeldung!

STE

Stella2244

12.6.2024, 16:00:20

Ich denke das wird alles erst in der formellen

Rechtmäßigkeit

relevant

JUDI

judith

25.7.2024, 13:12:46

Auch wenn der Thread schon etwas älter ist, würde ich mich auch über eine Rückmeldung von einem Moderator freuen

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

25.7.2024, 17:55:56

Hallo in die Runde und danke für die Nachfrage @[Spyce](156540). § 41 Abs. 1 bis Abs. 4 VwVfG regelt die Bekanntgabe, sofern keine besonderen Vorschriften vorgehen. Nach § 41 Abs. 5 VwVfG bleiben die Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts mittels Zustellung unberührt. Diese Norm stellt also zunächst einmal klar, dass es sich bei der Zustellung um eine besondere Form der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts handelt und dass die entsprechenden Vorschriften über die Zustellung von Verwaltungsakten (in unserem Fall hier das VwZG) den Vorschriften des VwVfG vorgehen. Für die Bekanntgabe gelten also besondere Voraussetzungen, nämlich die der jeweils gewählten Zustellungsform. Eure Nachfragen sind insofern berechtigt, als dass umstritten ist, wie sich eine fehlerhafte Zustellung auf die Wirksamkeit des Verwaltungsakts auswirkt. Die wohl h.M. in der Lit. vertritt die Ansicht, dass für Fehler bei der Zustellung dasselbe gilt, wie bei Fehlern der „einfachen“ Bekanntgabe nach § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Begründet wird dies damit, dass die Zustellung als Aliud an die Stelle der „einfachen“ Bekanntgabe tritt. Nach dieser Ansicht führt eine fehlerhafte Zustellung also dazu, dass der Verwaltungsakt nicht wirksam wird (so wie hier in der Aufgabe dargestellt). Siehe dazu z.B. Stelkens/Bonk/Sachs/U, VwVfG, 10. Aufl. 2022,§ 41 RdNr. 200. Die andere Ansicht, die vor allem in der Rspr. vertreten wird, erklärt den fehlerhaft zugestellten Verwaltungsakt für äußerlich wirksam, wenn zumindest die Voraussetzungen der einfachen Bekanntgabe nach § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG erfüllt sind, d.h. der Verwaltungsakt mit Wissen und Wollen der

Behörde

dem Adressaten zugeht. Nach dieser Auffassung seien die Zustellungsvoraussetzungen lediglich ein Plus gegenüber der Bekanntgabe, das allein die Beweisbarkeit des Zugangszeitpunkts bezwecke. Die Ansichten kommen nur in den Fällen zu verschiedenen Ergebnissen, wo die Zustellung zwar die Anforderungen einer einfachen Bekanntgabe aus § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG erfüllt, die Zustellung aber fehlerhaft und auch keine Heilung des Fehlers eingetreten ist. Dies wird selten vorkommen, da in den meisten Fällen eine Heilung anzunehmen ist, wenn die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG vorliegen. Man schneidet sich in der Falllösung also einen „Schlenker“ ab, wenn man der Rspr. folgt. Geschickt könnte man beide Auffassungen kurz darstellen und dann feststellen, dass jedenfalls Heilung des Zustellungsfehlers vorliegt und der Verwaltungsakt deswegen wirksam ist. Die Ansicht der Rspr. kam in unserer Aufgabe aber in der Tat zu kurz, ich habe das jetzt ergänzt und die Aufgabe überarbeitet. Einen guten Gesamtüberblick über die Thematik der Zustellung findet Ihr bei Struzina/Kaiser: Die Zustellung von Verwaltungsakten in der Fallbearbeitung, JA 2020, 27. Ich hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen! Viele Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team


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