Öffentliches Recht
Verwaltungsrecht AT
Wirksamkeit von Verwaltungsakten
Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Studentin S stellt bei der zuständigen Behörde einen BAföG-Antrag. Diesem Antrag wird jedoch nicht entsprochen. Daraufhin legt S Widerspruch ein. Die Behörde hilft dem Widerspruch nicht ab und gibt der S versehentlich durch einen unförmlichen Brief den Widerspruchsbescheid bekannt.
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Einordnung des Falls
Standardfall: "Normale" Bekanntmachung, obwohl gesetzlich die förmliche Zustellung vorgeschrieben
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. In bestimmten Fällen ist die Bekanntgabe durch förmliche Zustellung erforderlich.
Genau, so ist das!
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2. Der Widerspruchsbescheid an S hätte förmlich zugestellt werden müssen.
Ja, in der Tat!
3. Der Widerspruchsbescheid an S ist mangels förmlicher Zustellung unwirksam.
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
frausummer
2.7.2021, 15:28:05
Wie kann ich mir das in der Praxis vorstellen? Die
Behördewird ja wohl kaum zugeben, bewusst falsch zugestellt zu haben, sodass die Zustellung doch stets geheilt ist und der VA als bekanntgegeben gilt😅
Lukas_Mengestu
2.7.2021, 16:14:27
Hallo Frausummer, in der Tat wird in der Regel eine entsprechende Heilung vorliegen. Allerdings hat dies natürlich zur Folge, dass erst mit dem Eintritt der Heilung die Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt. Ein Fall, in dem man den Zustellungswillen wohl verneinen könnte, wäre zB die Versendung eines bloßen Entwurfs, der auch entsprechend gekennzeichnet ist. Daneben hat die
Behördenatürlich auch ein Problem, wenn sich der Empfänger darauf beruft, dass er den Brief nie erhalten hat. Denn nach § 41 Abs. 2 S. 3 VwVfG hat sie im Zweifel den entsprechenden Nachweis zu führen, dass der
Verwaltungsaktbekanntgegeben wurde. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lukas_Mengestu
2.7.2021, 16:25:20
*Kleiner Nachtrag: Ein Fall des fehlenden Zustellungswillen liegt auch in Konstellationen vor, in denen die
Behördedavon ausgeht, dass eine
förmliche Zustellungvorliegend nicht notwendig ist und eine formlose Bekanntgabe ausreicht. Dies ergibt sich oftmals aus dem Bescheid selbst, da in der Regel oben links die vorgesehene Zustellungsart vermerkt wird. Wenn also geplant ist, den Bescheid per Postzustellungsurkunde zu verschicken und dann gerät er versehentlich in den einfachen Postlauf, so kommt eine Heilung in Betracht. Hat die
Behördedagegen nie geplant eine
förmliche Zustellungdurchzuführen, so scheidet eine Heilung nach § 8 VwZG aus (vgl. hierzu auch BGH, NJW 2003, 1192).
Kerstin
8.8.2022, 17:43:46
Wenn bei Heilungen von Bekanntgaben immer der tatsächliche Zugang gilt, ist die gesetzliche Drei-Tages-Fiktion dann unbeachtlich? Wenn der Brief am 01.02 aufgegeben wird und am 02.02 zugeht, gilt der 02.02 als Bekanntgabe nicht der 04.02?
simon175
10.5.2024, 18:27:10
Die Formulierung "der Zustellungswille ist grundsätzlich nicht zu verneinen" verwirrt mich sehr. Zum einen gibt der
Wortlautdes § 8 VwZG einen solchen Rückschluss nicht her, zum anderen ist die
Behördeauch nicht verpflichtet die aus § 73 III S. 1 VwGO erforderliche Begründung und Rechtsmittelbelehrung nachholen. Gerade der letzte Punkt unterscheidet sich wesentlich zum Verfahrensfehler der Anhörung, die grundsätzlich geheilt werden kann, falls sie nachgeholt wird. Der Gesetzgeber wollte offenbar mit § 73 III S. 1 VwGO bewirken, dass der Adressat des Widerspruchsbescheids durch die Begründung die Entscheidung der
Behördenachvollziehen kann und sich mit einer Rechtsmittelbelehrung weiter schützen kann. Ich verstehe nicht, warum der Zustellungswille der
Behördein diesem Fall so schwer gewichtet wird, dass dadurch die gesetzlichen Formerfordernisse überwunden werden. Dass zusätzlich die
Klagefristder Anfechtungsklage nach § 74 I VwGO anfängt zu laufen, finde ich besonders bedenklich, weil der durchschnittliche Bürger ohne Rechtsmittelbelehrung im Zweifel nicht über solche Rechtsfolgen aufgeklärt wird. Vielleicht könntet ihr diese Problematik anders erklären oder begründen. Danke.
Maximilian Puschmann
12.5.2024, 14:46:18
Hallo Simon175, an der Formulierung würde ich mich nicht zu sehr aufhängen, und die ist auch nicht die Begründung, weswegen eine nicht ordnungsgemäße Bekanntgabe grundsätzlich geheilt werden kann. Es geht nur darum, dass eine Heilung ausscheidet, wenn die
Behördegar nicht zustellen wollte. Beispielsweise wenn ein Schreiben aus Versehen verschickt wurde. Dass bei einer Verletzung von Zustellungsvorschriften eine Heilung grundsätzlich möglich ist, steht wortwörtlich im § 8 VwZG: "(...) oder ist es unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt es als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist." Auch deine Argumentation mit der fehlenden Rechtsmittelbelehrung nach § 73 III S.1 VwGO läuft etwas fehl, da dies nach § 58 II VwGO auch nur zu dem Start einer verlängerten 1-jährigen Rechtsbehelfsfrist führt, welche mit Zustellung anfängt zu laufen. Dementsprechend ist eine analoge Verwendung des § 58 II VwGO aufgrund einer planwidrigen Regelungslücke in der VwZG und einer vergleichbaren Interessenlage zu folgen. Deine Bedenken, dass der Bürger ansonsten nicht weiß, was er tun soll, kann ich verstehen, jedoch hat hier der Gesetzgeber sich eindeutig für die Rechtssicherheit entschieden. Ansonsten könnten Entscheidungen noch Jahrzehnte später angefochten werden. Dieses Prinzip durchzieht das
Verwaltungsrecht, was auch der Grund ist, weswegen rechtswidrige, unangefochtene
Verwaltungsakte in Bestandskraft erwachsen und nicht mehr angefochten werden können. Beste Grüße Max - für das Jurafuchs-Team