Landesrecht (im Aufbau)

Polizei- und Ordnungsrecht Hamburg

Grundlagen

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Senat erlässt dieses mal eine Leinenzwang-Verordnung für alle Hunde ungeachtet ihrer Gefährlichkeit. Der H, der einen kleinen Pudel hält und gegen die Verordnung verstößt, wird durch die Polizei sofort des Ortes verwiesen.

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Einordnung des Falls

Wiederholungsfall zum Zusammenspiel verschiedener Handlungsformen (2)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Verweisung von dem Ort ist auf§ 1 Abs. 1 SOG zu stützen.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 1 Abs. 1 SOG enthält die Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Verordnungen zur Gefahrenabwehr. Die Verweisung wurde zwar zur Durchsetzung der in der Verordnung begründeten abstrakten Ge- und Verbote ausgesprochen, dieses Handeln ist jedoch von § 1 Abs. 1 SOGnicht umfasst. Ermächtigungsgrundlage für eine vorübergehende Verweisung von einem Ort ist § 12a SOG (Platzverweisung). Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sperrt eine solche spezielle Ermächtigungsgrundlage den Rückgriff auf die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG. Die auf die besonderen Ermächtigungsgrundlagen des SOG gestützten Maßnahmen werden als polizeiliche Standardmaßnahmen bezeichnet.
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2. Die Platzverweisung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG.

Ja, in der Tat!

Ein Verwaltungsakt liegt vor, wenn die Platzverweisung die Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt. Insbesondere müsste ihr Regelungscharakter zukommen. Dies ist der Fall, wenn die Platzverweisung ihrem objektiven Gehalt nach darauf gerichtet ist, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen. Mit der Platzverweisung wird dem H verbindlich der Aufenthalt in dem Park verboten. Es handelt sich folglich um eine Regelung und da auch die weiteren Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt sind um einen Verwaltungsakt, dessen Aufhebung mittels der Anfechtungsklage begehrt werden kann.

3. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt nur für polizeiliche Einzelfallmaßnahmen. Die Leinenzwang-Verordnung muss sich folglich nicht daran messen lassen.

Nein!

Ungeachtet der einfachrechtlichen Positivierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, ist er bereits dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zu entnehmen. Er gilt für das gesamte staatliche Handeln. Auch die Leinenzwang-Verordnung muss sich folglich an ihm messen. In unserem Fall wird nicht zwischen verschiedenen Hundearten differenziert, sodass der (auch abstrakt) ungefährliche Pudel ebenso erfasst ist, wie größere und abstrakt gefährliche Hunde. Die Verordnung verstößt somit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und ist daher rechtswidrig. Zugleich kann man hierin einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sehen.

4. Die Rechtswidrigkeit der Verordnung hätte H vor der Platzverweisung feststellen lassen müssen. Auch wenn sie rechtswidrig ist, hilft ihm das nun nicht mehr. Das Recht ist für die Wachen da!

Nein, das ist nicht der Fall!

Dies wäre richtig, wenn die Verordnung trotz Rechtswidrigkeit - wie bei Verwaltungsakten - wirksam bliebe. Diese Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Wirksamkeit ist jedoch gerade ein (verwaltungsaktspezifischer) Ausnahmefall. Sie ergibt sich aus § 43 Abs. 2 und 3 VwVfG. Für Gesetze gilt jedoch grundsätzlich das Nichtigkeitsdogma. Es besagt, dass eine gegen höherrangiges Recht verstoßende Rechtsnorm die ipso-iure-Nichtigkeit, also Nichtigkeit kraft Gesetzes, zur Folge hat. Diese Wirkung tritt ex tunc ein. Die ex tunc eintretende Nichtigkeit führt dazu, dass H nicht die öffentliche Sicherheit stört. Der Verwaltungsakt ist damit rechtswidrig und verletzt H in seinen Rechten. Das Nichtigkeitsdogma ist mittlerweile weit eingeschränkt. Im Baurecht etwa führt § 214 BauGB dazu, dass rechtswidrige Bebauungspläne nicht per se nichtig sind.

5. Die Platzverweisung ist rechtswidrig und verletzt den H in seinen Rechten.

Ja, in der Tat!

Gemäß § 12a SOG darf eine Person zur Gefahrenabwehr vorübergehend von einem Ort verwiesen werden. Dies meint nichts anderes, als dass die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet oder gestört sein muss (vgl. § 3 Abs. 1 SOG). Verneint man die Rechtmäßigkeit der Verordnung bestehen für eine solche Gefahr oder Störung jedoch keine Anhaltspunkte. Die Platzverweisung ist rechtswidrig und verletzt den H in seinen Rechten. Mit guten Argumenten ließe sich außerdem vertreten, dass eine sofortige Platzverweisung ohne vorherige Aufklärung über die Verordnung in diesem Fall nicht angemessen ist und daher gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 4 SOG) verstößt. Da bereits der Tatbestand des § 12a SOG nicht vorliegt kommt es hierauf jedoch nicht an.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JANRE

JanRep

5.3.2024, 11:37:45

Besteht wegen der unwirksamen Verordnung auch bei einem gefährlichen Hund keine Gefahr mehr?


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