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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Einzelhändler E installiert heimlich Videokameras in Verkaufsräumen. Bei Videoauswertung sieht er, wie Kassierer K sich mehrfach Zigaretten einsteckt. E kündigt K fristlos. Anlass für Überwachung seien Inventurverluste, wohl aufgrund von Mitarbeiterdiebstählen, gewesen. Konkrete Verdachtsmomente gegen K lagen nicht vor.

Einordnung des Falls

Verdeckte Überwachung öffentlich zugänglicher Räume

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Den E trifft eine umfassende Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf den „wichtigen Kündigungsgrund“.

Genau, so ist das!

Der Kündigende muss das Vorliegen des wichtigen Grundes, die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, die Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist, den form- und fristgerechten Zugang der Kündigung und die fehlerfreie Anhörung des Betriebsrats darlegen und beweisen (umfassende Darlegungs- und Beweislast). Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden (§ 286 ZPO). Sofern ein Beweismittel rechtswidrig beschafft wurde (Beweiserhebungsverbot), kann daraus ein Beweisverwertungsverbot resultieren.

2. Die heimliche Videoaufnahme am Arbeitsplatz ist aufgrund des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht stets rechtswidrig und somit unzulässig.

Nein, das trifft nicht zu!

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird nicht schrankenlos gewährleistet. Ein Eingriff kann durch Wahrnehmung schutzwürdiger Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Im Einzelfall ist das Interesse an funktionstüchtiger Rechtspflege mit dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts abzuwägen (umfassende Güterabwägung), wobei zum schlichten Beweisinteresse des Arbeitgebers weitere Aspekte hinzukommen müssen. Danach ist heimliche Videoüberwachung zulässig, wenn (1) ein konkreter Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen schweren Verfehlung besteht, (2) weniger einschneidende Maßnahmen zur Aufklärung nicht zur Verfügung stehen und (3) die Videoüberwachung insgesamt verhältnismäßig ist.

3. Die heimliche Videoaufnahme ist hier mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) des K vereinbar und damit rechtmäßig.

Nein!

Eine heimliche Videoüberwachung ist zulässig und mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vereinbar, wenn (1) der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen schweren Verfehlung besteht, (2) weniger einschneidende Maßnahmen zur Aufklärung nicht zur Verfügung stehen und (3) die Videoüberwachung insgesamt verhältnismäßig ist. Der Verdacht beschränkt sich hier auf die allgemeine Mutmaßung, dass eine Straftat begangen wurde. Diese bloße Vermutung, dass wohl Mitarbeiterdiebstähle erheblichen Einfluss auf Inventurverluste gehabt hätten, reicht mangels konkreter Verdachtsmomente nicht aus. Somit fehlt bereits ein konkreter Verdacht. Damit hat E rechtswidrig in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des K eingegriffen. Wegen unrechtmäßiger Beweiserhebung sind die Videoaufzeichnungen im Prozess auch nicht verwertbar. Dazu später mehr.

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D34

D34

12.2.2024, 19:05:21

Mir fehlt hier ein wenig die

Konkretisierung

, dass die Kameras spezifisch auf den Mitarbeiter gerichtet sind. Ich weiß, dass grundsätzlich die Zeichnungen Teil des Sachverhalts sind, aber das ist doch etwas unspezifisch. Das verdeckte Aufzeichnen dürften ja bei erheblichen Inventarverlusten, egal aus welcher Sphäre in den Verkaufsräumen verhältnismäßig sein, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.2.2024, 14:12:45

Hallo D34, in der Tat können Inventurverluste grundsätzlich dazu geeignet sein, eine verdeckte Überwachung zu rechtfertigen. Im konkreten Fall hatte es dem BGH aber an den hierfür notwendigen Anhaltspunkten gefehlt, weswegen es die Sache schon deshalb zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das LAG zurückverwies. Dies haben wir im Sachverhalt durch die Angabe "konkrete Verdachtsmomente gegen K lagen nicht vor" eingearbeitet. Daneben könnte man zudem fragen, ob nicht auch eine offene Videoüberwachung als weniger einschneidende Aufklärungsmaßnahme in Betracht gekommen wäre. Sofern tatsächlich Anhaltspunkte vorliegen, die für die Mitarbeiter als Täter sprechen, dürfte die offene Überwachung allerdings in der Tat ausscheiden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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