Religiöse Verpflichtung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Muslimin M feiert das islamische Opferfest. Da es unter der Woche stattfindet, erscheint sie an zwei Tagen nicht zur Arbeit. Arbeitgeber A will M für diese Fehlzeit keinen Lohn zahlen.

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Einordnung des Falls

Religiöse Verpflichtung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein persönlicher Grund liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich und rechtlich nicht in der Lage ist, die Arbeitsleistung zu erbringen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein persönlicher Grund, der den Arbeitnehmer an der Erbringung der Arbeitsleistung hindert, liegt zum einen vor, wenn die Erfüllung der Arbeitspflicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist (§ 275 Abs.1 BGB) oder dem Arbeitnehmer unzumutbar ist (§ 275 Abs.3 BGB). Zum anderen aber auch, wenn der Arbeitnehmer aufgrund einer anderen, höherrangigen Verpflichtung an der Erbringung seiner Dienste gehindert ist (Pflichtenkollision).
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2. Aufgrund der religiösen Verpflichtung zur Teilnahme am islamischen Opferfest kann M eine Freistellung unter Fortzahlung des Lohns verlangen (§ 616 Abs.1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Als in der Person liegender Grund ist zwar auch die Erfüllung religiöser Pflichten anerkannt. Jedoch besteht keine Lohnfortzahlungspflicht bei unterbliebener Arbeitsleistung infolge der Teilnahme an kirchlichen Festen, die nicht auf einen gesetzlichen Feiertag fallen. Vielmehr ist eine Abwägung zwischen den durch Art. 4 GG geschützten Arbeitnehmerinteressen und den durch Art. 12, 14 GG geschützten Arbeitgeberbelangen vorzunehmen. Diese ergibt regelmäßig lediglich einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung, sofern der Arbeitnehmer die Verhinderung rechtzeitig anzeigt. M hat ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 275 Abs.3 BGB). Damit ist ihr die Teilnahme am Opferfest möglich. Jedoch entfällt As Vergütungspflicht (§ 326 Abs.1 S.1 BGB). Ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 S.1 BGB besteht nicht. Dies verstößt nicht gegen Art. 4 GG, denn danach muss die Religionsausübung nicht völlig belastungsfrei möglich sein.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Denislav Tersiski

Denislav Tersiski

11.9.2023, 16:05:00

Wieso steht im Grüneberg § 616, RN. 7, dass die Erfüllung religiöser Pflichten ein Verhinderungsgrund sei?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.10.2023, 09:32:28

Hallo Denislav, in dieser Absolutheit ist dies in der Tat missverständlich. Das BAG-Urteil, auf das in der von Dir zitierten Randnummer verwiesen wird (BAG NJW 1983, 2600), beschäftigt sich in erster Linie mit der kirchlichen Eheschließung. Daneben sind vom BAG zB auch die Erstkommunion oder Konfirmation der Kinder anerkannt. In allen drei Fällen handelt es sich allerdings zugleich auch um „besondere Familienereignisse“. Sonstige religiöse Feste, die - je nach Bundesland - nicht auf einen Feiertag fallen (zB im Christentum: Buß- und Bettag, Mariä Himmelfahrt, Fronleichnam) sollen dagegen keinen Anspruch auf bezahlte Freistellung begründen. Allerdings soll in diesen Fällen einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung oder zumindest auf Gewährung von Urlaub bestehen (vgl. MüKoBGB/Henssler, 9. Aufl. 2023, BGB § 616 Rn. 53). Dies betrifft natürlich insbesondere Angehörige von nicht-christlichen Religionen, deren Feste nie auf einen Feiertag fallen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MAT

Matschegenga

12.3.2024, 17:33:41

Ich verstehe nicht, warum man das Merkmal „in seiner Person liegenden Grund“ hier normativ auslegt und darüber nach Interessenabwägung den Anspruch scheitern lässt. In den vorangehenden Fällen hat nichts auf eine solche normative Auslegung hingedeutet. Würde der Anspruch nicht ohnehin am Merkmal „ohne Verschulden“ scheitern?


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