Sittenwidrigkeit der Bürgschaft durch nahe Angehörige des Hauptschuldners


[...Wird geladen]

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Ehefrau F möchte sich mit einer Gärtnerei selbstständig machen. Hierzu möchte sie bei der D-Bank ein Darlehen in Höhe von €100.000 zu einem jährlichen Zins von 3% aufnehmen. D verlangt jedoch eine Sicherheit in Form einer Bürgschaft. Ehemann M verbürgt sich für F. M ist Hausmann und verfügt über eigenes Vermögen in Höhe von €2000.

Einordnung des Falls

Sittenwidrigkeit der Bürgschaft durch nahe Angehörige des Hauptschuldners

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Dem Bürgschaftsvertrag kann die Nichtigkeit aufgrund von Wucher entgegenstehen (§ 138 Abs. 2 BGB).

Nein!

Eine Nichtigkeit aufgrund Wucher setzt objektiv ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung voraus. Der Bürgschaftsvertrag ist jedoch ein einseitig verpflichtender Vertrag. Allein der Bürge verpflichtetet sich für eine fremde Verbindlichkeit einzustehen (§ 765 Abs. 1 BGB). Es fehlt an einer Gegenleistung. Ein Missverhältnis kann nicht vorliegen. Allein der M verpflichtet sich für die Verbindlichkeit der F in Höhe von €100.000 einzustehen. Die D-Bank erbringt keine Leistung an den M. Die Auskehrung der Darlehensvaluta basiert auf dem Darlehensvertrag mit F (§ 488 BGB).

2. Dem Bürgschaftsvertrag kann die Sittenwidrigkeit entgegenstehen (§ 138 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Sittenwidrigkeit ist gegeben, wenn das Rechtsgeschäft nach einer Gesamtwürdigung unvereinbar mit den Wertungen der Rechts- und Sittenordnung ist. Häufig werden Bürgschaften aufgrund persönlicher Beziehungen übernommen und sind durch Unerfahrenheit geprägt. Oftmals geht dies für den Bürgen mit einer finanziellen Überforderung einher. Nutzt der Gläubiger diese Situation in unsittlicher Weise aus, kommt eine Sittenwidrigkeit in Betracht (§ 138 Abs. 1 BGB). Nach dem BGH wird dieses Ausnutzungsbewusstsein widerleglich vermutet, wenn objektiv eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen vorliegt und ein besonderes persönliches Näheverhältnis zum Hauptschuldner besteht. Darüber hinaus gelten die allgemeinen Grundsätze der Sittenwidrigkeit.

3. M ist krass finanziell überfordert.

Ja, in der Tat!

Eine krasse finanzielle Überforderung ist anzunehmen, wenn zwischen dem Umfang der übernommenen Verpflichtung des Bürgen und seiner Leistungsfähigkeit ein grobes Missverhältnis besteht. Ein grobes Missverhältnis ist anzunehmen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die laufenden Zinsen der Hauptschuld aus dem pfändbaren Vermögen und Einkommen zu tilgen. Maßgebend ist eine wirtschaftliche Prognose im Zeitpunkt der Abgabe der Bürgschaftserklärung. M übernimmt die Bürgschaft für eine Verbindlichkeit in Höhe von €100.000. Das Vermögen des M beläuft sich auf €2000. Er verfügt über keine Einnahmequelle. Demnach kann voraussichtlich nichtmal die Zinsen in Höhe von 3.000€ zahlen. Der Umfang der Verpflichtung steht damit in einem groben Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit.

4. M übernahm die Bürgschaft aus emotionaler Abhängigkeit.

Ja!

Eine emotionale Verbundenheit zwischen Bürge und Hauptschuldner setzt ein besonderes Näheverhältnis voraus. Ein besonderes Näheverhältnis ist im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, in der Ehe und Lebenspartnerschaften zunehmen. M übernimmt die Bürgschaft seiner Ehefrau F. Zwischen ihnen besteht damit ein besonderes Näheverhältnis in Form der Ehe.

5. Die D-Bank verfügt über ein Ausnutzungsbewusstsein.

Genau, so ist das!

Ein Ausnutzungsbewusstsein wird bei finanziellen überfordernden Bürgschaften nahestehender Personen widerleglich vermutet (Beweislastumkehr). Der Gläubiger kann das Ausnutzungsbewusstsein widerlegen. Hierzu muss der Gläubiger ein berechtigtes besonderes Eigeninteresse an der Bürgschaft darlegen und beweisen.. Die D-Bank trägt nichts zur Widerlegung der Vermutung vor, sodass die Beweislastumkehr greift.

Jurafuchs kostenlos testen


Isabell

Isabell

7.4.2021, 13:34:16

Das finde ich wenig überzeugend, dass alleine die Ehe emotionale "Abhängigkeit" begründen können soll. Zumal in der Definition dann auch auf die Abhängigkeit nicht mehr eingegangen wird.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.4.2021, 17:34:03

Hallo Isabell, die Zweifel kann ich gut nachvollziehen. Allerdings streitet bei der ruinösen Ehegattenbürgschaft die wiederlegliche Vermutung dafür, dass die Bürgschaft allein aufgrund der emotionalen Abhängigkeit eingegangen wurde. Nur bei entgegenstehenden Anhaltspunkten (zB starkes Eigeninteresse), wäre diese zu verneinen. Mangels entsprechender Hinweise im Sachverhalt ist hier insofern von einer entsprechenden Abhängigkeit auszugehen. Beste Grüße, Lukas

Isabell

Isabell

27.5.2021, 16:17:08

Als wiederlegliche Vermutung kann ich dem Gedanken sehr viel besser Folgen. Kommt wahrscheinlich noch aus vergangenen Zeiten, in denen Ehen noch etwas anders aussahen als heutzutage.

JO

jomolino

7.6.2021, 14:40:45

Unter Maßstab bei der vorletzten Frage ist ein sprachlicher Fehler. Es müsste wohl „anzunehmen“ heißen.

HARE

HaRe

1.4.2023, 11:44:29

Ich würde die Intervalle für Zins und Einkommen noch ergänzen. Beim Zinssatz erfolgt die Angabe i.d.R. für ein Jahr, beim Einkommen hingegen für einen Monat. Die Fallangabe lösst sich auch so verstehen, dass M Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit in Höhe von 2000 Euro erhält, das wird dann mit monatlichen Einnahmen verstanden. So unüblich ist das nicht. In diesem Fall wäre eine Sittenwidrigkeit fernliegend. Daher rege ich an, den Zinssatz mit 3 % p.a. und das Einkommen mit 2000 Euro jährlich anzugeben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2023, 13:56:58

Hallo HaRe, lieben Dank für Deinen Hinweis. Wir haben hier ergänzt, dass es um den Jahreszins geht (sonst wäre allein schon der Zinssatz wegen Wuchers nichtig). Im Hinblick auf M gibt der Sachverhalt an, dass er Vermögen (=Erspartes) iHv €2000 besitzt. Es geht also nicht um regelmäßig wiederkehrende Einnahmen. Diese belaufen sich vielmehr auf 0€. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


© Jurafuchs 2024