+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K stellt ihr Auto am 19.08. auf öffentlicher Straße ab und fährt in Urlaub. Am 20.08. vormittags wird dort ein mobiles Halteverbotsschild für den 23./24.08. aufgestellt. Die zuständige Behörde lässt K's Fahrzeug am 23.08. abschleppen und verlangt die Kosten von ihr. Dagegen klagt K.
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Einordnung des Falls
Vorlauffrist für kostenpflichtiges Abschleppen bei nachträglich angeordnetem Halteverbot
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids setzt voraus, dass die in Rechnung gestellte Maßnahme rechtmäßig war.
Ja!
Ein Kostenbescheid (Sekundärebene) ist nur rechtmäßig, wenn die zugrunde liegende Maßnahme, für die Kosten erhoben werden (Primärebene), ihrerseits rechtmäßig war. Dies folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Der Kostenbescheid muss auch sonst rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig sein.Für die Rechtmäßigkeit des Kostenbescheids (=Kostenebene) gegen K kommt es folglich zunächst darauf an, dass die Abschleppmaßnahme (=Vollstreckungsmaßnahme) rechtmäßig war.Die Schwierigkeit von Kostenbescheiden liegt darin, dass hier eine doppelte Inzidentprüfung notwendig ist. Eine sauber strukturierte Prüfung ist hier unerlässlich.
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2. Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme ist hier ein wirksames Halteverbot. Ist das Halteverbotsschild ein Verwaltungsakt?
Genau, so ist das!
Das mobile Halteverbotsschild ist ein Verkehrszeichen (Zeichen 283 (Nr. 62 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO)). Ein Verkehrszeichen ist ein Verwaltungsakt in Form einer Allgemeinverfügung (§ 35 S. 2 Var. 3 VwVfG). Das Halteverbotsschild enthält nicht nur das Verbot, an der gekennzeichneten Stelle zu parken, sondern auch ein Wegfahrgebot für unerlaubt haltende Fahrzeuge, das sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwGO analog) (RdNr. 14).
3. Ein Verwaltungsakt setzt zu seiner Wirksamkeit eine Bekanntgabe voraus (§ 43 Abs. 1 VwVfG). Halteverbotszeichen werden durch öffentliche Bekanntgabe gemäß § 41 Abs. 3 VwVfG bekannt gegeben.
Nein, das trifft nicht zu!
Nach Rechtsprechung und allgemeiner Meinung erfolgt die Bekanntgabe von Verkehrszeichen durch Aufstellen des Verkehrszeichens als eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe (vgl. §§ 39 Abs. 1, 45 Abs. 4 StVO) (RdNr. 15).
4. K konnte das Halteverbotszeichen wegen ihrer Abwesenheit nicht wahrnehmen. Fehlt es gegenüber K somit an einer wirksamen Bekanntgabe?
Nein!
Die Bekanntgabe erfolgt durch Aufstellen. Auf eine tatsächliche Wahrnehmung durch den Kraftfahrer kommt es nicht an. Es genügt, wenn das Verkehrszeichen so aufgestellt wird, dass der durchschnittliche Kraftfahrer bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt (§ 1 StVO) das Zeichen mit einem raschen und beiläufigen Blick erkennen kann (RdNr. 15).Das Halteverbotszeichen war sichtbar aufgestellt worden. Dass K das Halteverbotszeichen nicht wahrgenommen hat, ändert nichts an dessen Bekanntgabe.
5. Das Halteverbotszeichen wurde erst aufgestellt, nachdem K ihr Pkw abgestellt hat. Ist es damit für Ks Pkw wirkungslos?
Nein, das ist nicht der Fall!
Sind Verkehrszeichen so aufgestellt oder angebracht, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt erfassen kann, so äußern sie ihre Rechtswirkung gegenüber jedem von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, auch dann, wenn die Regelung in dem Zeitpunkt noch nicht bestand, als das Fahrzeug abgestellt wurde (RdNr. 15).Auch wenn K das Halteverbotszeichen nicht wahrnehmen konnte, gilt dessen Regelungswirkung auch ihr gegenüber.
6. Das Halteverbotszeichen wurde damit auch K gegenüber wirksam bekanntgegeben und auch sonst rechtmäßig. Die Abschleppmaßnahme war damit rechtmäßig.
Ja, in der Tat!
Nach den oben dargelegten Maßstäben wurde das Halteverbotszeichen gegenüber jedermann und auch K bekanntgegeben und wirksam. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschleppmaßnahme bestehen hier nicht. Insbesondere war die Abschleppmaßnahme zur Durchsetzung des wirksamen Halteverbotszeichens auch verhältnismäßig. K war verreist und konnte daher von der zuständigen
Behörde nicht zu Hause angetroffen und dazu bewegt werden, ihr Auto selbst umzuparken, sodass ein milderes, gleich effektives Mittel nicht zur Verfügung stand.
7. Die Behörde, die die Abschleppmaßnahme veranlasst, kann auf Sekundärebene dem Fahrzeughalter die angefallenen Kosten per Kostenbescheid in Rechnung stellen.
Ja!
Dies ergibt sich aus den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften zur Kostenerstattung für polizeiliche Maßnahmen bzw. Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung. Je nach Landesrecht und nach konkreter Ausführung der Abschleppmaßnahme (Umsetzen auf freien Parkplatz im öffentlichen Straßenraum oder Verbringung auf einen Verwahrplatz) kommen unterschiedliche Rechtsgrundlagen für die Abschleppmaßnahme zur Anwendung (Sicherstellung, atypische Maßnahme, unmittelbare Ausführung, Sofortvollzug), für die wiederum unterschiedliche Rechtsgrundlagen zur Kostenerstattung anwendbar sind.
8. Ausnahmsweise ist von einer Inanspruchnahme auf Ebene des Kostenbescheides (Sekundärebene) abzusehen, wenn dies unverhältnismäßig wäre.
Genau, so ist das!
Wie jeder Verwaltungsakt muss auch der Kostenbescheid verhältnismäßig sein. Zweifel an der Verhältnismäßigkeit können bestehen, wenn ein Fahrzeug ursprünglich ordnungsgemäß und erlaubt geparkt wurde und sich die Verkehrslage durch das Aufstellen neuer Verkehrszeichen erst nachträglich ändert (RdNr. 21).
9. Damit die Erhebung der Kosten rechtmäßiger Abschleppmaßnahmen beim Fahrzeugverantwortlichen verhältnismäßig ist, bedarf es einer hinreichenden Vorlaufzeit für die Aufstellung des Halteverbotszeichens.
Ja, in der Tat!
Der Fahrzeughalter- oder führer hat ein berechtigtes Interesse daran, das öffentliche Straßenland zum Parken nutzen zu können. Andererseits muss er mit kurzfristigen Änderungen der bestehenden Verkehrsregelungen rechnen. Deshalb ist er als Inhaber der Sachherrschaft über ein geparktes Fahrzeug verpflichtet, angemessene Vorsorge für den Fall einer Änderung der Verkehrslage zu treffen. Auf Grundlage dieser Abwägung darf der Fahrzeugverantwortliche auch für die Kosten der rechtmäßigen Abschleppmaßnahme in Anspruch genommen werden, es bedarf aber einer hinreichenden Vorlaufzeit für die Aufstellung des Halteverbotszeichens.
10. Um eine hinreichend flexible Handlungsmöglichkeit der Straßenverkehrsbehörden zu gewährleisten, ist eine Vorlaufzeit von 48 Stunden verhältnismäßig.
Nein!
BVerwG: Es sei nicht ersichtlich, dass eine Vorlaufzeit von 48 Stunden erforderlich ist, um flexible Handlungsmöglichkeiten der Straßenverkehrsbehörden zu gewährleisten. Denn die Möglichkeit zur Durchführung von effektiven Maßnahmen der Gefahrenabwehr (Primärebene) bleibe von der Frage der Kostentragung (Sekundärebene) unberührt. Zudem ist die Erforderlichkeit von Haltverbotsregelungen - etwa aus Anlass von Bauarbeiten, Straßenfesten oder Umzügen - regelmäßig deutlich vorher bekannt. Eine stundenscharfe Berechnung sei ferner unpraktikabel und für die Bewältigung solcher Vorgänge des täglichen Lebens nicht geeignet (RdNr. 27ff.).
11. Bei der erforderlichen Vorlaufzeit ist danach zu differenzieren, an welchen Wochentagen die Wirkung des Halteverbotszeichens eintreten soll und ob sie in die Ferienzeit fällt.
Nein, das ist nicht der Fall!
BVerwG: Dies sei ebenfalls unpraktikabel und auch aus Gründen der Rechtsklarheit abzulehnen. Der Straßenverkehr findet schließlich auch an Wochenenden, Feiertagen und in Ferienzeiten statt. Zudem könne sich gerade in diesen Zeiten die Parkplatzsituation als besonders problematisch darstellen (RdNr. 29).
12. Erforderlich ist eine Mindestvorlaufzeit von drei vollen Tagen.
Ja, in der Tat!
BVerwG: Eine Kostenpflicht entstehe für den Fahrzeughalter erst am vierten Tag nach Aufstellen des Verkehrszeichens. Dies decke eine typische Wochenendabwesenheit ab und stelle einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen des Fahrzeugführers bzw. -halters einerseits und der Straßenverkehrs
behörde andererseits dar. Überdies entspreche eine Mindestvorlauffrist von drei vollen Tagen auch der langjährigen Praxis in den meisten Bundesländern (RdNr. 26ff.).
13. Die Mindestvorlaufzeit von drei vollen Tagen war gewährleistet. Die Kostentragung durch K ist damit verhältnismäßig. Der Kostenbescheid ist rechtmäßig.
Nein!
Das mobile Halteverbotszeichen wurde am 20.08. vormittags aufgestellt. K's Fahrzeug wurde bereits am 23.08. und damit am dritten Tag und nicht erst nach Ablauf des dritten Tages nach Aufstellen des Halteverbotszeichens abgeschleppt. Damit ist die Mindestvorlaufzeit von drei vollen Tagen unterschritten. Der Kostenbescheid ist somit unverhältnismäßig und rechtswidrig.
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