Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes, § 1 Abs. 1 HGB, Gewerbebegriff 3


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E betreibt jedes Jahr von Mai bis September eine Eisdiele mit zugehörigem Café.

Einordnung des Falls

Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes, § 1 Abs. 1 HGB, Gewerbebegriff 3

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB).

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Ja!

Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB) („Ist-Kaufmann“). Die ausgeübte Tätigkeit muss ein Gewerbe in Gestalt eines Handelsgewerbes (§ 1 Abs. 2 HGB) darstellen und der Ausübende muss dessen Betreiber sein.Erfüllt Es Eisdiele die Voraussetzungen eines Handelsgewerbes, ist E als Betreiber Kaufmann (§ 1 Abs. 1 HGB). Ihn treffen dann die auf den Handelsverkehr zugeschnittenen Rechte und Pflichten des HGB.

2. E‘s Eisdielenbetrieb ist eine offene Tätigkeit (§ 1 Abs. 1 HGB).

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Genau, so ist das!

Ein Gewerbe (§ 1 Abs. 1 HGB) ist nach herrschender Meinung jede (1) offene, (2) planmäßige, (3) selbständige, (4) erlaubte, (5) von der Absicht dauernder Gewinnerzielung getragene Tätigkeit (6) mit Ausnahme freiberuflicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Tätigkeit. Zu 1: Eine Tätigkeit ist offen, wenn sie am Markt in Erscheinung tritt. Dadurch wird der geschäftliche Bereich vom privaten Handeln unterschieden. Hieran fehlt es bei rein privater Wirtschaftstätigkeit. Die Eisdiele ist ein durch Angebot am Markt in Erscheinung tretender und öffentlich zugänglicher Gastronomiebetrieb.

3. Indem E die Eisdiele betreibt, ist er selbstständig tätig (§ 1 Abs. 1 HGB).

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Ja, in der Tat!

Rechtlich selbstständig (§ 1 Abs. 1 HGB) ist, wer über Gestaltung, Einteilung und Dauer der Tätigkeit ohne rechtliche Einschränkungen frei entscheidet (§ 84 Abs. 1 S. 2 HGB). Die Abgrenzung erfolgt anhand der Vertragsgestaltung und Handhabung im Einzelfall. E bestimmt selbst über den Ablauf und die Gestaltung des Betriebs der Eisdiele. Er ist in keinem Abhängigkeits- oder Weisungsverhältnis.

4. Der Betrieb der Eisdiele ist planmäßig auf Dauer angelegt (§ 1 Abs. 1 HGB).

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Ja!

Eine planmäßige Tätigkeit ist während eines bestimmten Zeitraums auf eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften gerichtet und wird nicht nur gelegentlich ausgeübt. Der Betrieb der Eisdiele ist während der fünf Monate auf eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften gerichtet, die in einer Eisdiele üblich sind. Dass es sich um ein saisonales Geschäft mit längerer Unterbrechung handelt, steht dem nicht entgegen.

5. E's Eisdiele ist ein auf Gewinnerzielung gerichteter Betrieb (§ 1 Abs. 1 HGB).

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Genau, so ist das!

Eine Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung auf Gewinnerzielung gerichtet, wenn die Absicht besteht, einen Gewinn, also einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben zu erzielen. Dies wird bei Privatunternehmern vermutet, bei Unternehmen der öffentlichen Hand muss es im Einzelfall festgestellt werden. Die Eisdiele ist ein privates Unternehmen. Hier wird Gewinnerzielungsabsicht widerleglich vermutet.

6. E's Eisdielenbetrieb ist eine freiberufliche, künstlerische oder wissenschaftliche Tätigkeit (§ 1 Abs. 1 HGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Freiberufliche, wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeiten fallen nicht unter den Gewerbebegriff (vgl. die Aufzählung der Berufe in § 1 Abs. 2 PartGG). Hier steht nicht der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb, sondern die Erbringung individueller höchstpersönlicher Dienstleistungen im Vordergrund. Beim Eisdielenbetrieb des E handelt es sich nicht um einen freien Beruf, bei dem die höchstpersönliche Dienstleistung im Vordergrund steht. Hier steht die Bewirtung der Gäste mit Eis im Vordergrund.

7. Indem E die Eisdiele betreibt, übt er eine erlaubte Tätigkeit aus (§ 1 Abs. 1 HGB).

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Ja!

Nach herrschender Meinung können verbotene oder sittenwidrige Tätigkeiten (§§ 134, 138 BGB) kein Gewerbe sein. Den Betreibern sollen nicht die privilegierenden Rechte eines Kaufmanns zustehen. Handelsrechtliche Pflichten können ihn nach den Grundsätzen zum Scheinkaufmann trotzdem treffen, sodass auch keine Benachteiligung der Geschäftspartner entsteht. Das Betreiben der Eisdiele ist weder sittenwidrig noch verstößt es gegen ein gesetzliches Verbot. Auf eine öffentlich-rechtliche Genehmigung (§ 2 Abs. 1 GastG) kommt es nicht an (§ 7 HGB).

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IUS

iustus

22.5.2021, 14:55:38

Ein Verbesserungsvorschlag: Eher seltene Gesetze, wie das PartGG Vlt mit der Ordnungszahl im Schöni nennen. :)

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 15:29:46

ME müsste es die 50b im Schönfelder sein 😇

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

28.5.2021, 20:16:32

Weshalb werden hier, aber auch immer wieder in Lehrbüchern die "freiberuflichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten" in voneinander abgrenzender Formulierung verwendet? Nach § 1 II 2 PartGG unterfallen die wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeiten doch gerade dem Oberbegriff der freiberuflichen Tätigkeit. 🤔 Danke schon mal für eure Antworten 🙃

Tigerwitsch

Tigerwitsch

28.5.2021, 20:38:47

ME ist die separate Formulierung als eine „Auffang-Tatbestand“ zu sehen, da es sich lediglich um Berufsbilder handelt, vgl. dazu Schäfer, in MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 1 PartGG Rn. 72. Eine Zuordnung dieser Tätigkeitsberufe zu den Freien Berufen nur nach nach einer Einzelprüfung möglich. Die (spezielleren) Katalogberufe, welche - wie Du richtig schreibst - in § 1 Abs. 2 Satz 2 PartGG aufgeführt sind, gehen insofern vor. Siehe übrigens auch die ähnliche Formulierung in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

28.5.2021, 21:00:01

Danke schon mal, leider verstehe ich deine Antwort nicht 😅 Vielleicht nochmal zur Klarheit, ich beziehe mich auf folgende Formulierung in § 1 II 2 PartGG: "Ausübung eines freien Berufs [...] ist die selbstständige Berufstätigkeit der [...] Wissenschaftler [und] Künstler." Kannst du vielleicht andere Worte nutzen um mir das nochmal zu erklären? Sorry 😅

Tigerwitsch

Tigerwitsch

28.5.2021, 23:10:08

Ich versuche es und hoffe, Deine Frage genauer beantworten zu können 😅 Ein Wissenschaftler, Künstler, Lehrer oder Erzieher kann im Einzelfall zu den Freien Berufen gezählt werden - ein zwingender Schluss ergibt sich jedoch daraus nicht. Der Gesetzgeber war sich bewusst, dass keine positiv-rechtliche Definition des „freien Berufs“ möglich ist (vgl. BT-Drs. 12/6152, Seite 10). Daher hat sich der Gesetzgeber mit bestimmten Fallgruppen beholfen, um die „freien Berufe“ zu konkretisieren. Maßgeblich sind zunächst die sog. „Katalogberufe“, die in § 1 Abs. 2 Satz 2 PartGG (oder auch § 18 Abs. 1 Nr. EStG) explizit aufgeführt werden, sowie sog. ähnliche Berufe. Da es sich bei dem „freien Beruf“ um einen soziologischen Begriff handelt, der vom Einzelfall abhängt, wäre eine ausdrückliche Liste an möglichen Berufen (also Regelbeispielen) endlos. Aus diesem Grund (und um den Kreis der freien Berufe möglichst weit zu ziehen) wurde sozusagen als eine Art „Auffang-Tatbestand“ die selbstständige Tätigkeit der „Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, Lehrer und Erzieher“ eingefügt. Darunter können - abhängig vom konkreten Einzelfall - weitere Berufe unter dem Merkmal der „freien Berufe“ subsumiert werden. Beispiele aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 12/6152, Seite 10): „Unter den Begriff der selbständigen Berufstätigkeit der Künstler kann z. B. auch die selbständige Tätigkeit der Designer (Foto-, Graphik-, Industrie-, Mode-, Schmuck- sowie Textil- designer) und im Einzelfall die der Fotografen fallen. Als freiberuflich tätige Wissenschaftler kommen z. B. selbständig tätige Geologen in Betracht. Unter den Begriff der ‚Erzieher’ fallen u. a. Diplom-Pädagogen.“

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

28.5.2021, 23:18:06

Jetzt hab ich es verstanden. Danke für die Mühe. Ihr seid großartig 🙃


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