Öffentliches Recht

Europarecht

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV: Identitätswahrender Zuzug („Überseering")

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV: Identitätswahrender Zuzug („Überseering")

11. November 2024

4,8(4.831 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

U, eine Gesellschaft niederländischen Rechts, erwirbt in Köln ein Grundstück, welches sie von der X GmbH bebauen lässt. Ferner verlegt U den Verwaltungssitz nach Köln. Wegen mangelhafter Arbeiten der X erhebt U Klage vor dem zuständigen LG. Diese wird als unzulässig abgewiesen.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV: Identitätswahrender Zuzug („Überseering")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Zulässigkeit einer Klage vor dem LG setzt die Parteifähigkeit des Klägers voraus.

Ja!

Gemäß § 50 ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Für nationale Gesellschaften ergibt sich die Rechtsfähigkeit aus den Normtexten bzw. der Rechtsprechung (z.B. § 13 Abs. 1 S. 1 GmbHG). Die Frage, wie sich die Rechtsfähigkeit für ausländische Gesellschaften beurteilt, ist mangels gesetzlicher Regelung des Gesellschaftsstatuts nicht eindeutig geklärt. Für natürliche Personen bestimmt Art.7 EGBGB, dass sich die Rechtsfähigkeit nach dem sog. Heimatrecht richtet.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Für die Beurteilung der Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft im Rahmen der Vorfrage werden zwei Theorien unterschieden.

Genau, so ist das!

Unterschieden wird zwischen der Gründungstheorie und der Sitztheorie. Nach der Gründungstheorie bestimmt sich die Rechtsfähigkeit nach dem Recht des Staates, in dem die Gesellschaft gegründet worden ist, d.h. ihren Satzungssitz hat und registriert ist. Nach der Sitzungstheorie dagegen beurteilte sich die Frage, ob eine Gesellschaft rechtsfähig ist, nach demjenigen Recht, das am Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes gilt. Denk dran: Ob eine Gesellschaft überhaupt besteht, ist als Vorfrage nach nationalem Recht zu beurteilen.

3. Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt der Gründungstheorie. Die Verlegung des Verwaltungssitzes ändert also nichts an der Rechtsfähigkeit der U.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der deutschen herrschenden Meinung beurteilt sich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach der Sitztheorie . Argumentiert wird z.B., dass durch die Anwendung der Sitztheorie Briefkastenfirmen in Oasenstaaten verhindert werden sollen. U wurde zwar in den Niederlanden wirksam gegründet, hat jedoch anschließend ihren tatsächlichen Verwaltungssitz nach Deutschland verlegt. Unter Anwendung der Sitztheorie kommt es daher für die Beurteilung der Rechtsfähigkeit auf das deutsche Recht an. Da U sich jedoch in Deutschland nicht neu gegründet hat, ist die Gesellschaft nach deutschem Recht auch nicht rechtsfähig.

4. Die Niederlassungsfreiheit schützt den grenzüberschreitenden "Umzug" einer Gesellschaft. U muss daher als rechtsfähig anerkannt werden.

Ja!

Nach der Rechtsprechung des EuGH beinhalten Art. 49, 54 AEUV, welche die Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften im Binnenmarkt schützen, das Recht der Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat umzuziehen, ohne dass diese ihre Rechtsform ändern müssen. Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten müssen „als solche“ anerkannt werden. Der EuGH vertritt vorliegend in der "Überseering"-Entscheidung, (wie auch in Sachen "Centros") somit die Gründungstheorie. Die Niederlassungsfreiheit umfasst das Recht ohne Rechtsänderung den Verwaltungssitz zu verlegen, sodass U in Deutschland als rechtsfähig und damit auch parteifähig anzuerkennen ist. Anders als im Fall Daily Mail geht es vorliegend nicht um die Existenz als juristische Person nach dem Recht des Gründungsortes, sondern um die Anerkennung der Rechtsfähigkeit im neuen Sitzstaat.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Fiona

Fiona

26.5.2023, 15:50:58

Ich bin verwirrt - der BGH folgt der Gründungstheorie, aber die Lösung folgt nun der Sitzungstheorie. Warum? Ich verstehe den Punkt der Steueroasen, aber was führt den nun konkret zur Ablehnung der Ansicht des BGH?

Jopies

Jopies

27.5.2023, 15:46:09

Die Sitztheorie ist die des BGH. Das würde dazu führen, dass eine ausländische Gesellschaft die nach Deutschland umzieht ihre Gesellschaftsform verlieren würde (keine Gesellschaft ausländischen Rechts weil der Verwaltungssitz ja in Deutschland ist, keine GmbH zum Beispiel, weil nicht als solche eingetragen.) Dies könnte eine Gesellschaft davon abhalten sich dort niederzulassen und wird deshalb vom EuGH als Einschränkung der

Niederlassungsfreiheit

gesehen. Um dem Europarecht zu genügen, wendet der BGH in diesen Fällen, die Gründungstheorie an.

Jopies

Jopies

27.5.2023, 15:51:45

Ansonsten (also z.B. wenn eine Gesellschaft aus dem außereuropäischen Ausland kommt) dann ist die Gründungstheorie noch h.M., denn da gilt das Europarecht ja nicht. Gleiches gilt wenn der europäische Ausgangsstaat auch der Sitztheorie folgt, denn dann verliert die Gesellschaft ihre Gesellschaftsform ja nicht, weil die deutsche Rechtsordnung sie nicht anerkennt, sondern weil die ausländische Ausgangsrechtsordnung es gar nicht anerkennt, dass sie umziehen darf.

DAV

David

16.11.2023, 12:56:38

Die Sache wurde 2002 entschieden. Selbst wenn man mit dem BGH hier die Sitztheorie vertreten hätte, nach der die nunmehr aus Deutschland verwaltete Gesellschaft auch nach deutschem Gesellschaftsrecht zu behandeln gewesen wäre, müsste man doch jedenfalls zum Vorliegen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts kommen? Dabei war die Rechtsfähigkeit der Außen-GbR 2002 bereits anerkannt. Deshalb verstehe ich nicht ganz, wieso hier die

Parteifähigkeit

problematisch war. Wenn mir jemand weiterhelfen könnte, wäre ich sehr dankbar!


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen