Zivilrecht
Sachenrecht
Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen
Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel
Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel
2. Juli 2025
22 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
L liefert an U Stoffballen (Wert: € 30) unter Eigentumsvorbehalt, die dieser unter eigener Verantwortung zu Kleidung (Wert:€ 100) weiterverarbeitet. Vertraglich wird vereinbart: „Jedwede Weiterverarbeitung der Stoffballen zu Kleidung erfolgt für L“.
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Einordnung des Falls
Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Können die Parteien durch Vereinbarung eines einfachen Eigentumsvorbehalts sicherstellen, dass L auch nach Verarbeitung der Stoffballen Eigentümer bleibt?
Nein!
2. Nach der h.M. können L und U aber vereinbaren, dass § 950 BGB nicht anwendbar sein soll.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Es existiert keine Möglichkeit für den Lieferanten sein Sicherungsinteresse zu gewährleisten.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Nach der Rechtsprechung können die Parteien durch Verarbeitungsklauseln die Herstellereigenschaft regeln.
Ja!
5. Die herrschende Literatur deutet Verarbeitungsklauseln so um, dass der Lieferant das Eigentum an der neuen Sache vom Verarbeiter übertragen bekommt.
Genau, so ist das!
6. Praktisch ergeben sich zwischen der Lösung der Rechtsprechung und der der Literatur keine Unterschiede.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Vorliegend ist ein Streitentscheid entbehrlich, weil L nach beiden Ansichten Eigentümer wird.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Donald
4.3.2023, 19:19:09
Also habe ich das richtig verstanden, dass
§ 950als zwingendes Recht vertraglich nicht abbedungen werden kann, aber man kann den
§ 950einfach „umgehen“, indem man vertraglich festlegt, wer der Hersteller ist?
Timurso
6.3.2023, 12:04:40
Nach h.M. ja. Allerdings ist festzuhalten, dass 950 dadurch nicht insgesamt umgangen werden kann, sondern nur festgelegt werden kann, wer als Hersteller anzusehen ist. Es kann beispielsweise nicht abbedungen werden, dass der Hersteller alleiniges Eigentum erwirbt und andere Rechte gem.
§ 950II erlöschen.
Hugo
30.3.2023, 08:57:18
Ist es möglich, dass beide Hersteller sind, L also lediglich Mithersteller wird und anteiliges Miteigentum erwirbt? Widerspräche das dann aber dem Sicherungszweck?

Bubbles
21.9.2023, 13:23:27
Könnte denn ein (unwirksamer) Ausschluss von
§ 950in eine (wirksame) Regelung zur Herstellereigenschaft umgedeutet werden?

Sebastian Schmitt
13.9.2024, 15:59:35
Hallo @[Donald](111670), @[Timurso](197555) hat hier schon vorbildliche Hinweise gegeben, insbesondere auch auf
§ 950II BGB hingewiesen. Insoweit habe ich nichts hinzuzufügen. Zur Nachfrage von @Hugo: Das dürfte nach der Rspr möglich sein (s zB BGH NJW 1967, 34). Das widerspricht auch keineswegs dem Sicherungszweck. Im Gegenteil, wirtschaftlich hat der Lieferant ja ohnehin nur ein berechtigtes Interesse daran, sich einen Miteigentumsanteil in Höhe des Werts der gelieferten Sachen zu sichern. Zudem besteht auch ein gewisses Risiko der
Übersicherung, weswegen der Lieferant häufig gar nicht Alleineigentümer werden möchte (näher zur
ÜbersicherungMüKoBGB/Füller, 9. Aufl 2023,
§ 950Rn 28). Zur Nachfrage von @[Bubbles](216309): Über eine solche Umdeutung nach § 140 BGB wird man sicher nachdenken können, wobei man sich dazu die Vereinbarung der Parteien und die Umstände des konkreten Falls näher anschauen müsste. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
evanici
15.9.2023, 15:11:41
D.h. folgt man der hM, hätte L wegen §§ 929, 158 I nie Eigentum verloren, nach der Literatur aber schon und der ursprüngliche Eigentumsvorbehalt würde sich dann quasi in der
Sicherungsübereignung"fortsetzen" bzw. in eine solche umgedeutet werden §§ 929, 930 (§ 140). Wäre das dann nicht auch für den U viel "schlechter", weil er dann nur noch einen
schuldrechtlichen
Anspruch auf Rückübereignungaus der
Sicherungsabredehätte, wohingegen er bei dem Eigentumsvorbehalt automatisch Eigentum erlangen würde, wenn er den Kaufpreis zahlen würde? Oder ist das praktisch nicht relevant?
Petrus
7.11.2023, 10:09:33
Nach der Literatur wäre das eine
auflösend bedingte
Sicherungsübereignung. Bei einer solchen erwirbt man auch bereits ein
Anwartschaftsrechtund erwirbt automatisch mit Zahlung des Kaufpreises Eigentum.

Sebastian Schmitt
10.9.2024, 12:29:21
Hallo @[evanici](214760), hallo @[Petrus](172124), vielen Dank Euch beiden für die bis hierher guten Hinweise. Der Ausgangspost geht schon in die richtige Richtung, ich würde aber gerne noch an einigen Stellen präzisieren. Zunächst hätte L das Eigentum nicht (nur) wegen §§ 929 S 1, 158 I BGB nicht verloren, sondern wegen §§ 929 S 1, 158 I BGB im Zusammenspiel mit der
Verarbeitungsklausel. Und nicht der ursprüngliche Eigentumsvorbehalt auf dinglicher Ebene wird in eine
Sicherungsübereignungumgedeutet, sondern eben die
Verarbeitungsklausel. Wie @[Petrus](172124) völlig richtig ausführt, ist die
Sicherungsübereignungdann
auflösend bedingtund U erwirbt dadurch ein
Anwartschaftsrecht(mehraktiger Erwerbstatbestand, gesicherte Rechtsposition, nicht mehr einseitig zerstörbar). U dürfte nach der hL also nicht schlechter dastehen als nach der hM. Das ganz ursprüngliche
Anwartschaftsrechtdes U nach §§ 929 S 1, 158 I BGB dürfte analog
§ 950II BGB übrigens ohnehin verloren sein. Der
Verarbeitungsklauselwird man aber schlicht eine erneute Vereinbarung ab Fertigstellung des verarbeiteten Produkts entnehmen können (MüKo-BGB/Füller, 9. Aufl 2023,
§ 950Rn 26). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Paulah
19.6.2024, 20:47:46
Welcher Moment ist genau der, in dem die juristische Sekunde entsteht?
Nils
25.6.2024, 10:35:20
Der Moment in dem eine neue bewegliche Sache hergestellt wurde ist maßgeblich, dann erlangt der Hersteller nach der Literaturmeinung Eigentum für eine juristische Sekunde und überträgt dieses dann
auflösend bedingtwieder zurück an den Lieferanten.

Paulah
25.6.2024, 11:11:41
@[Nils](21556) Aha! Wenn ich dir also eine Lederhose für das Oktoberfest nähe, ist die juristische Sekunde in dem Moment, in dem ich den letzten Faden vernäht habe und ihn abschneide.

ajboby90
4.11.2024, 15:15:23
Nils
4.11.2024, 20:41:07
Das endet mit Eintritt der Bedingung, also in der Regel Zahlung.
benjaminmeister
23.2.2025, 12:51:39
MMn. dürfte die im Sachverhalt verwendete
Verarbeitungsklauselwegen
Übersicherungsittenwidrig sein. Der Verkäufer der Ausgangsstoffe hat ja nur ein Sicherungsinteresse iHv. 30 €. Nach der Verarbeitung soll ihm aber nach der Klausel und Aufgabenlösung Alleineigentum an der neuen Sache iHv. 100 € zustehen. In Höhe von 70 € liegt also eine
Übersicherungvor. Da das mehr als 200 % des Sicherungsinteresses sind, dürfte ein grobes Missverhältnis zu bejahen sein.

Jakob G.
21.5.2025, 22:50:11
Ich bin mir nicht sicher, an welcher Stelle der Befund der
Übersicherungzu einem Problem führt. Zunächst mag das für die Vereinbarung einer
Verarbeitungsklauselzutreffen. Aber § 140 BGB löst dieses Problem ja, weil er ein nichtiges
Rechtsgeschäftvoraussetzt. Ob die Nichtigkeit an der Unabdingbarkeit des
§ 950[so hL und Rspr bei ihren Lösungen für die
Verarbeitungsklausel]oder an § 138 I angeknüpft wird [so dein Ansatz, wenn ich recht verstehe], dürfte nicht ins Gewicht fallen. Nach der hL wird bei der Vereinbarung einer
Verarbeitungsklausel(unabhängig von Stoffwert und Verarbeitungswert) gem. § 140 BGB miterklärt, dass eine
antizipierte Sicherungsübereignungvon U an L gem. §§ 929, 158 BGB bei Fertigstellung erfolgt. Nach Rspr. ist es zulässig, dass die Verarbeitung durch U [Unternehmer*in] für L [Lieferant*in] erfolgt und L Hersteller i.S.
§ 950BGB ist. Bei der Literaturansicht kann sich wohl in der Tat eine
Übersicherungeinstellen, wodurch die SiÜ an § 138 I BGB scheitert. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn nicht Sicherungs-Miteigentum verschafft wurde in Höhe des Wertes der Stoffe der L, §§ 929 I, 158 I, 1008 BGB. Oder habe ich an dieser Stelle den Denkfehler, dass das Eigentum vollständig übergeht? Diese Konstellation ist ja ähnlich wie die Fälle zu §
650 BGB, wo es um das wirtschaftliche Risiko der Verarbeitung geht und entsprechend das Eigentum zugeordnet wird. Insofern halte ich für verfehlt, wenn das gesamte Eigentum an der neu hergestellten Sache sicherungsübereignet wird an L. Bei der Rechtsprechungsansicht ergibt sich jedenfalls ein Ersatzanspruch nach
§ 951 BGB, sodass die
Übersicherungnach meinem Dafürhalten nicht eintritt.
okalinkk
23.2.2025, 15:01:59
habe ich es richtig verstanden, dass nach der Literstur, der Verarbeiter mit der Verarbeitung Eigentümer wird für eine juristische Sekunde wegen 950. dann jedoch direkt danach (wegen Umdeutung der
Verarbeitungsklausel, 140 BGB) der Lieferant
auflösend bedingt(mit vollständiger Kaufpreiszahlung des Unternehmers) Eigentümer der Waren wird gem 929 1,
930 BGB, 158 II BGB? d.h das Eigentum fällt dann, wenn der Unternehmer den Kaufpreis zahlt, wieder vom Lieferanten an den Unternehmer zurueck?
Ray
24.2.2025, 13:36:53
Durch die Verarbeitung geht das
Anwartschaftsrechtan den Blechen gemäß
§ 950II BGB unter. Enthält die
Verarbeitungsklausel, aber
konkludentden Parteiwillen, dass eine erneute Vereinbarung über einen Eigentumsvorbehalt zugunsten des Verarbeiters getroffen wurde und so ein neues
Anwartschaftsrechtentstanden ist? Diese Frage ist auch relevant, um zu verstehen, warum die Gegenmeinung die
Verarbeitungsklauselfür unwirksam hält.

Jakob G.
21.5.2025, 22:57:56
In dem Nebenthread hat Sebastian Schmitt von JF schon unter Verweis auf MüKo BGB Füller 9. A. 2023,
§ 950Rn. 26 darauf hingewiesen, dass es genau so ist wie du mutmaßt: Es entsteht ein neues
Anwartschaftsrecht. Natürlich ist das alles im Detail umstritten.
okalinkk
16.3.2025, 23:38:09
Verarbeitungsklausel
nach Rspr: fällt das Eigentum wieder vom Lieferant an den Unternehmer zurück, wenn der Unternehmer den Kaufpreis vollständig zahlt?
alice2008
20.4.2025, 21:26:07
ich verstehe das mit der Umdeutung nicht ganz. kann das jemand einfacher erklären?