Zivilrecht

Sachenrecht

Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen

Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel

Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

L liefert an U Stoffballen (Wert: € 30) unter Eigentumsvorbehalt, die dieser unter eigener Verantwortung zu Kleidung (Wert:€ 100) weiterverarbeitet. Vertraglich wird vereinbart: „Jedwede Weiterverarbeitung der Stoffballen zu Kleidung erfolgt für L“.

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Einordnung des Falls

Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Können die Parteien durch Vereinbarung eines einfachen Eigentumsvorbehalts sicherstellen, dass L auch nach Verarbeitung der Stoffballen Eigentümer bleibt?

Nein!

Bei der Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts ist gem. § 449 Abs. 1 BGB im Zweifel davon auszugehen, dass die Übereignung unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung erfolgt. Eine aufschiebende Bedingung ist gem. § 158 Abs. 1 BGB aber nur für Rechtsgeschäfte möglich. Im Falle eines gesetzlichen Eigentumserwerbs ist eine aufschiebende Bedingung nicht möglich.Im Falle der Verarbeitung der Stoffballen verliert L sein Eigentum kraft Gesetzes (§ 950 BGB) und nicht wegen eines Rechtsgeschäfts. Der Eigentumsvorbehalt ist im Falle der Verarbeitung also wirkungslos.
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2. Nach der h.M. können L und U aber vereinbaren, dass § 950 BGB nicht anwendbar sein soll.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die h.M. geht davon aus, dass § 950 BGB zwingendes Recht darstellt und nicht abbedungen werden kann. Hierfür wird unter anderem angeführt, dass § 950 BGB systematisch den §§ 946 ff. BGB zugeordnet ist, die allesamt zwingendes Recht sind. Lediglich ein Teil der Literatur vertritt die Ansicht, § 950 BGB sei von den Parteien abbedingbar. L und U können nach h.M. also auch nicht vereinbaren, dass der Eigentumsübergang nicht nach § 950 BGB erfolgen soll. Verarbeitet U die Stoffballen kommt § 950 BGB also zwingend zur Anwendung, wodurch der Eigentumsvorbehalt des L wirkungslos wird.

3. Es existiert keine Möglichkeit für den Lieferanten sein Sicherungsinteresse zu gewährleisten.

Nein, das trifft nicht zu!

Da es in der Praxis ein erhebliches Interesse für den Lieferanten gibt, sicherzustellen, dass er auch nach einer etwaigen Verarbeitung eine Sicherheit bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung hat, wurde in der Praxis das Rechtsinstitut der Verarbeitungsklausel geschaffen. Hierbei wird dann beispielsweise vereinbart, dass die Verarbeitung bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung für den Lieferanten erfolgt. Dabei ist allerdings zwischen Literatur und Rechtsprechung umstritten, wie sich eine solche Klausel konkret auswirkt.

4. Nach der Rechtsprechung können die Parteien durch Verarbeitungsklauseln die Herstellereigenschaft regeln.

Ja!

Die Rechtsprechung interpretiert Verarbeitungsklauseln als Regelung darüber, wer Hersteller sein soll. Die Parteien können insofern relativ frei entscheiden, wer Hersteller ist und damit das Eigentum erwirbt. Für diese Ansicht wird angeführt, der Herstellerbegriff bestimme sich nach der Verkehrsanschauung und wenn eine Verarbeitungsklausel vereinbart wird, wäre nach dieser Verkehrsanschauung eindeutig der Lieferant als Hersteller zu identifizieren. Eine Ausnahme ergebe sich nur dann, wenn der Verarbeiter bei der Verarbeitung signifikant von der vereinbarten Verarbeitung abweicht.

5. Die herrschende Literatur deutet Verarbeitungsklauseln so um, dass der Lieferant das Eigentum an der neuen Sache vom Verarbeiter übertragen bekommt.

Genau, so ist das!

In der Literatur wird vertreten, eine Verarbeitungsklausel sei in eine vorweggenommene (=antizipierte), auflösend bedingte Sicherungsübereignung umzudeuten (§ 140 BGB). Der Lieferant verliert nach dieser Ansicht also das Eigentum an den gelieferten Sachen. Der Verarbeiter überträgt ihm dieses Eigentum aber direkt im Anschluss daran wieder. Rechtstechnisch erfolgt die dingliche Einigung schon bei Lieferung der Eingangsstoffe und es wird bereits ein Sicherungsübereignungsvertrag als Besitzmittlungsverhältnis i.S.v. § 930 BGB vereinbart. Für diese Ansicht spricht insbesondere, dass ansonsten die zwingende Natur von § 950 BGB umgangen würde.

6. Praktisch ergeben sich zwischen der Lösung der Rechtsprechung und der der Literatur keine Unterschiede.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Lösung der Literatur ist für den Lieferanten unsicherer, weil der Verarbeiter Eigentum an der neuen Sache für eine juristische Sekunde erwirbt. Besonders wenn der Verarbeiter insolvent ist, kann sich daraus das Problem ergeben, dass die neu hergestellte Sache in der juristischen Sekunde Teil der Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) wird. Dann verliert der Verarbeiter die Verfügungsbefugnis darüber (§ 80 Abs. 1 InsO) und der Lieferant kann kein Eigentum mehr erwerben. Darüber hinaus ist der Übereignungs- und Besitzmittlungswille des Verarbeiters zu dem Zeitpunkt der Verarbeitung erforderlich. Liegt dieser nicht vor, erwirbt der Lieferant kein Eigentum.

7. Vorliegend ist ein Streitentscheid entbehrlich, weil L nach beiden Ansichten Eigentümer wird.

Ja!

Die Wirkung von Verarbeitungsklauseln ist streitig. Nach Ansicht der Rechtsprechung sei § 950 BGB zwar anwendbar, eine Verarbeitungsklausel führe aber dazu, dass i.d.R. der Stofflieferant als Hersteller anzusehen sei. Die herrschende Literatur geht hingegen davon aus, dass zunächst der Verarbeiter Eigentum erwirbt, aber eine antizipierte Sicherungsübereignung vorliege. Nach Ansicht der Rechtsprechung würde L als Hersteller Eigentum an der Kleidung (direkt) erwerben. Folgt man der Literaturmeinung würde er es hingegen erst nach einer juristischen Sekunde durch Übereignung von U auf L erwerben.
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