Zivilrecht
Sachenrecht
Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen
Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel
Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
L liefert an U Stoffballen (Wert: € 30) unter Eigentumsvorbehalt, die dieser unter eigener Verantwortung zu Kleidung (Wert:€ 100) weiterverarbeitet. Vertraglich wird vereinbart: „Jedwede Weiterverarbeitung der Stoffballen zu Kleidung erfolgt für L“.
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Einordnung des Falls
Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Können die Parteien durch Vereinbarung eines einfachen Eigentumsvorbehalts sicherstellen, dass L auch nach Verarbeitung der Stoffballen Eigentümer bleibt?
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach der h.M. können L und U aber vereinbaren, dass § 950 BGB nicht anwendbar sein soll.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Es existiert keine Möglichkeit für den Lieferanten sein Sicherungsinteresse zu gewährleisten.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Nach der Rechtsprechung können die Parteien durch Verarbeitungsklauseln die Herstellereigenschaft regeln.
Ja!
5. Die herrschende Literatur deutet Verarbeitungsklauseln so um, dass der Lieferant das Eigentum an der neuen Sache vom Verarbeiter übertragen bekommt.
Genau, so ist das!
6. Praktisch ergeben sich zwischen der Lösung der Rechtsprechung und der der Literatur keine Unterschiede.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Vorliegend ist ein Streitentscheid entbehrlich, weil L nach beiden Ansichten Eigentümer wird.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Donald
4.3.2023, 19:19:09
Also habe ich das richtig verstanden, dass § 950 als zwingendes Recht vertraglich nicht abbedungen werden kann, aber man kann den § 950 einfach „umgehen“, indem man vertraglich festlegt, wer der Hersteller ist?
Timurso
6.3.2023, 12:04:40
Nach h.M. ja. Allerdings ist festzuhalten, dass 950 dadurch nicht insgesamt umgangen werden kann, sondern nur festgelegt werden kann, wer als Hersteller anzusehen ist. Es kann beispielsweise nicht abbedungen werden, dass der Hersteller alleiniges Eigentum erwirbt und andere Rechte gem. § 950 II erlöschen.
Hugo
30.3.2023, 08:57:18
Ist es möglich, dass beide Hersteller sind, L also lediglich Mithersteller wird und anteiliges Miteigentum erwirbt? Widerspräche das dann aber dem Sicherungszweck?
Bubbles
21.9.2023, 13:23:27
Könnte denn ein (unwirksamer) Ausschluss von § 950 in eine (wirksame) Regelung zur Herstellereigenschaft umgedeutet werden?
Sebastian Schmitt
13.9.2024, 15:59:35
Hallo @[Donald](111670), @[Timurso](197555) hat hier schon vorbildliche Hinweise gegeben, insbesondere auch auf § 950 II BGB hingewiesen. Insoweit habe ich nichts hinzuzufügen. Zur Nachfrage von @Hugo: Das dürfte nach der Rspr möglich sein (s zB BGH NJW 1967, 34). Das widerspricht auch keineswegs dem Sicherungszweck. Im Gegenteil, wirtschaftlich hat der Lieferant ja ohnehin nur ein berechtigtes Interesse daran, sich einen Miteigentumsanteil in Höhe des Werts der gelieferten Sachen zu sichern. Zudem besteht auch ein gewisses Risiko der
Übersicherung, weswegen der Lieferant häufig gar nicht Alleineigentümer werden möchte (näher zur
ÜbersicherungMüKoBGB/Füller, 9. Aufl 2023, § 950 Rn 28). Zur Nachfrage von @[Bubbles](216309): Über eine solche Umdeutung nach § 140 BGB wird man sicher nachdenken können, wobei man sich dazu die Vereinbarung der Parteien und die Umstände des konkreten Falls näher anschauen müsste. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
evanici
15.9.2023, 15:11:41
D.h. folgt man der hM, hätte L wegen §§ 929, 158 I nie Eigentum verloren, nach der Literatur aber schon und der ursprüngliche Eigentumsvorbehalt würde sich dann quasi in der Sicherungs
übereignung"fortsetzen" bzw. in eine solche umgedeutet werden §§ 929, 930 (§ 140). Wäre das dann nicht auch für den U viel "schlechter", weil er dann nur noch einen schuldrechtlichen Anspruch auf
Rückübereignungaus der
Sicherungsabredehätte, wohingegen er bei dem Eigentumsvorbehalt automatisch Eigentum erlangen würde, wenn er den Kaufpreis zahlen würde? Oder ist das praktisch nicht relevant?
Petrus
7.11.2023, 10:09:33
Nach der Literatur wäre das eine auflösend bedingte Sicherungs
übereignung. Bei einer solchen erwirbt man auch bereits ein
Anwartschaftsrechtund erwirbt automatisch mit Zahlung des Kaufpreises Eigentum.
Sebastian Schmitt
10.9.2024, 12:29:21
Hallo @[evanici](214760), hallo @[Petrus](172124), vielen Dank Euch beiden für die bis hierher guten Hinweise. Der Ausgangspost geht schon in die richtige Richtung, ich würde aber gerne noch an einigen Stellen präzisieren. Zunächst hätte L das Eigentum nicht (nur) wegen §§ 929 S 1, 158 I BGB nicht verloren, sondern wegen §§ 929 S 1, 158 I BGB im Zusammenspiel mit der Verarbeitungsklausel. Und nicht der ursprüngliche Eigentumsvorbehalt auf dinglicher Ebene wird in eine Sicherungs
übereignungumgedeutet, sondern eben die Verarbeitungsklausel. Wie @[Petrus](172124) völlig richtig ausführt, ist die Sicherungs
übereignungdann auflösend bedingt und U erwirbt dadurch ein
Anwartschaftsrecht(mehraktiger Erwerbstatbestand, gesicherte Rechtsposition, nicht mehr einseitig zerstörbar). U dürfte nach der hL also nicht schlechter dastehen als nach der hM. Das ganz ursprüngliche
Anwartschaftsrechtdes U nach §§ 929 S 1, 158 I BGB dürfte analog § 950 II BGB übrigens ohnehin verloren sein. Der Verarbeitungsklausel wird man aber schlicht eine erneute Vereinbarung ab Fertigstellung der verarbeiteten Produkts entnehmen können (MüKo-BGB/Füller, 9. Aufl 2023, § 950 Rn 26). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Paulah
19.6.2024, 20:47:46
Welcher Moment ist genau der, in dem die juristische Sekunde entsteht?
Nils
25.6.2024, 10:35:20
Der Moment in dem eine neue bewegliche Sache hergestellt wurde ist maßgeblich, dann erlangt der Hersteller nach der Literaturmeinung Eigentum für eine juristische Sekunde und überträgt dieses dann auflösend bedingt wieder zurück an den Lieferanten.
Paulah
25.6.2024, 11:11:41
@[Nils](21556) Aha! Wenn ich dir also eine Lederhose für das Oktoberfest nähe, ist die juristische Sekunde in dem Moment, in dem ich den letzten Faden vernäht habe und ihn abschneide.
ajboby90
4.11.2024, 15:15:23
Und wann endet das auflösend bedingte SiEigentum?
Nils
4.11.2024, 20:41:07
Das endet mit Eintritt der Bedingung, also in der Regel Zahlung.