Zivilrecht

Sachenrecht

Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen

Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel

Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel

5. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

L liefert an U Stoffballen (Wert: € 30) unter Eigentumsvorbehalt, die dieser unter eigener Verantwortung zu Kleidung (Wert:€ 100) weiterverarbeitet. Vertraglich wird vereinbart: „Jedwede Weiterverarbeitung der Stoffballen zu Kleidung erfolgt für L“.

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Einordnung des Falls

Disponibilität des § 950 - Fall 2 Verarbeitungsklausel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Können die Parteien durch Vereinbarung eines einfachen Eigentumsvorbehalts sicherstellen, dass L auch nach Verarbeitung der Stoffballen Eigentümer bleibt?

Nein!

Bei der Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts ist gem. § 449 Abs. 1 BGB im Zweifel davon auszugehen, dass die Übereignung unter der aufschiebenden Bedingung vollständiger Kaufpreiszahlung erfolgt. Eine aufschiebende Bedingung ist gem. § 158 Abs. 1 BGB aber nur für Rechtsgeschäfte möglich. Im Falle eines gesetzlichen Eigentumserwerbs ist eine aufschiebende Bedingung nicht möglich.Im Falle der Verarbeitung der Stoffballen verliert L sein Eigentum kraft Gesetzes (§ 950 BGB) und nicht wegen eines Rechtsgeschäfts. Der Eigentumsvorbehalt ist im Falle der Verarbeitung also wirkungslos.
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2. Nach der h.M. können L und U aber vereinbaren, dass § 950 BGB nicht anwendbar sein soll.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die h.M. geht davon aus, dass § 950 BGB zwingendes Recht darstellt und nicht abbedungen werden kann. Hierfür wird unter anderem angeführt, dass § 950 BGB systematisch den §§ 946 ff. BGB zugeordnet ist, die allesamt zwingendes Recht sind. Lediglich ein Teil der Literatur vertritt die Ansicht, § 950 BGB sei von den Parteien abbedingbar. L und U können nach h.M. also auch nicht vereinbaren, dass der Eigentumsübergang nicht nach § 950 BGB erfolgen soll. Verarbeitet U die Stoffballen kommt § 950 BGB also zwingend zur Anwendung, wodurch der Eigentumsvorbehalt des L wirkungslos wird.

3. Es existiert keine Möglichkeit für den Lieferanten sein Sicherungsinteresse zu gewährleisten.

Nein, das trifft nicht zu!

Da es in der Praxis ein erhebliches Interesse für den Lieferanten gibt, sicherzustellen, dass er auch nach einer etwaigen Verarbeitung eine Sicherheit bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung hat, wurde in der Praxis das Rechtsinstitut der Verarbeitungsklausel geschaffen. Hierbei wird dann beispielsweise vereinbart, dass die Verarbeitung bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung für den Lieferanten erfolgt. Dabei ist allerdings zwischen Literatur und Rechtsprechung umstritten, wie sich eine solche Klausel konkret auswirkt.

4. Nach der Rechtsprechung können die Parteien durch Verarbeitungsklauseln die Herstellereigenschaft regeln.

Ja!

Die Rechtsprechung interpretiert Verarbeitungsklauseln als Regelung darüber, wer Hersteller sein soll. Die Parteien können insofern relativ frei entscheiden, wer Hersteller ist und damit das Eigentum erwirbt. Für diese Ansicht wird angeführt, der Herstellerbegriff bestimme sich nach der Verkehrsanschauung und wenn eine Verarbeitungsklausel vereinbart wird, wäre nach dieser Verkehrsanschauung eindeutig der Lieferant als Hersteller zu identifizieren. Eine Ausnahme ergebe sich nur dann, wenn der Verarbeiter bei der Verarbeitung signifikant von der vereinbarten Verarbeitung abweicht.

5. Die herrschende Literatur deutet Verarbeitungsklauseln so um, dass der Lieferant das Eigentum an der neuen Sache vom Verarbeiter übertragen bekommt.

Genau, so ist das!

In der Literatur wird vertreten, eine Verarbeitungsklausel sei in eine vorweggenommene (=antizipierte), auflösend bedingte Sicherungsübereignung umzudeuten (§ 140 BGB). Der Lieferant verliert nach dieser Ansicht also das Eigentum an den gelieferten Sachen. Der Verarbeiter überträgt ihm dieses Eigentum aber direkt im Anschluss daran wieder. Rechtstechnisch erfolgt die dingliche Einigung schon bei Lieferung der Eingangsstoffe und es wird bereits ein Sicherungsübereignungsvertrag als Besitzmittlungsverhältnis i.S.v. § 930 BGB vereinbart. Für diese Ansicht spricht insbesondere, dass ansonsten die zwingende Natur von § 950 BGB umgangen würde.

6. Praktisch ergeben sich zwischen der Lösung der Rechtsprechung und der der Literatur keine Unterschiede.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Lösung der Literatur ist für den Lieferanten unsicherer, weil der Verarbeiter Eigentum an der neuen Sache für eine juristische Sekunde erwirbt. Besonders wenn der Verarbeiter insolvent ist, kann sich daraus das Problem ergeben, dass die neu hergestellte Sache in der juristischen Sekunde Teil der Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) wird. Dann verliert der Verarbeiter die Verfügungsbefugnis darüber (§ 80 Abs. 1 InsO) und der Lieferant kann kein Eigentum mehr erwerben. Darüber hinaus ist der Übereignungs- und Besitzmittlungswille des Verarbeiters zu dem Zeitpunkt der Verarbeitung erforderlich. Liegt dieser nicht vor, erwirbt der Lieferant kein Eigentum.

7. Vorliegend ist ein Streitentscheid entbehrlich, weil L nach beiden Ansichten Eigentümer wird.

Ja!

Die Wirkung von Verarbeitungsklauseln ist streitig. Nach Ansicht der Rechtsprechung sei § 950 BGB zwar anwendbar, eine Verarbeitungsklausel führe aber dazu, dass i.d.R. der Stofflieferant als Hersteller anzusehen sei. Die herrschende Literatur geht hingegen davon aus, dass zunächst der Verarbeiter Eigentum erwirbt, aber eine antizipierte Sicherungsübereignung vorliege. Nach Ansicht der Rechtsprechung würde L als Hersteller Eigentum an der Kleidung (direkt) erwerben. Folgt man der Literaturmeinung würde er es hingegen erst nach einer juristischen Sekunde durch Übereignung von U auf L erwerben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DO

Donald

4.3.2023, 19:19:09

Also habe ich das richtig verstanden, dass § 950 als zwingendes Recht vertraglich nicht abbedungen werden kann, aber man kann den § 950 einfach „umgehen“, indem man vertraglich festlegt, wer der Hersteller ist?

TI

Timurso

6.3.2023, 12:04:40

Nach h.M. ja. Allerdings ist festzuhalten, dass 950 dadurch nicht insgesamt umgangen werden kann, sondern nur festgelegt werden kann, wer als Hersteller anzusehen ist. Es kann beispielsweise nicht abbedungen werden, dass der Hersteller alleiniges Eigentum erwirbt und andere Rechte gem. § 950 II erlöschen.

HUG

Hugo

30.3.2023, 08:57:18

Ist es möglich, dass beide Hersteller sind, L also lediglich Mithersteller wird und anteiliges Miteigentum erwirbt? Widerspräche das dann aber dem Sicherungszweck?

Bubbles

Bubbles

21.9.2023, 13:23:27

Könnte denn ein (unwirksamer) Ausschluss von § 950 in eine (wirksame) Regelung zur Herstellereigenschaft umgedeutet werden?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

13.9.2024, 15:59:35

Hallo @[Donald](111670), @[Timurso](197555) hat hier schon vorbildliche Hinweise gegeben, insbesondere auch auf § 950 II BGB hingewiesen. Insoweit habe ich nichts hinzuzufügen. Zur Nachfrage von @Hugo: Das dürfte nach der Rspr möglich sein (s zB BGH NJW 1967, 34). Das widerspricht auch keineswegs dem Sicherungszweck. Im Gegenteil, wirtschaftlich hat der Lieferant ja ohnehin nur ein berechtigtes Interesse daran, sich einen Miteigentumsanteil in Höhe des Werts der gelieferten Sachen zu sichern. Zudem besteht auch ein gewisses Risiko der

Übersicherung

, weswegen der Lieferant häufig gar nicht Allein

eigentümer

werden möchte (näher zur

Übersicherung

MüKoBGB/Füller, 9. Aufl 2023, § 950 Rn 28). Zur Nachfrage von @[Bubbles](216309): Über eine solche Umdeutung nach § 140 BGB wird man sicher nachdenken können, wobei man sich dazu die Vereinbarung der Parteien und die Umstände des konkreten Falls näher anschauen müsste. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

15.9.2023, 15:11:41

D.h. folgt man der hM, hätte L wegen §§ 929, 158 I nie Eigentum verloren, nach der Literatur aber schon und der ursprüngliche Eigentumsvorbehalt würde sich dann quasi in der Sicherungs

übereignung

"fortsetzen" bzw. in eine solche umgedeutet werden §§ 929, 930 (§ 140). Wäre das dann nicht auch für den U viel "schlechter", weil er dann nur noch einen schuldrechtlichen Anspruch auf

Rückübereignung

aus der Sicherungsabrede hätte, wohingegen er bei dem Eigentumsvorbehalt automatisch Eigentum erlangen würde, wenn er den Kaufpreis zahlen würde? Oder ist das praktisch nicht relevant?

PET

Petrus

7.11.2023, 10:09:33

Nach der Literatur wäre das eine auflösend bedingte Sicherungs

übereignung

. Bei einer solchen erwirbt man auch bereits ein

Anwartschaftsrecht

und erwirbt automatisch mit Zahlung des Kaufpreises Eigentum.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

10.9.2024, 12:29:21

Hallo @[evanici](214760), hallo @[Petrus](172124), vielen Dank Euch beiden für die bis hierher guten Hinweise. Der Ausgangspost geht schon in die richtige Richtung, ich würde aber gerne noch an einigen Stellen präzisieren. Zunächst hätte L das Eigentum nicht (nur) wegen §§ 929 S 1, 158 I BGB nicht verloren, sondern wegen §§ 929 S 1, 158 I BGB im Zusammenspiel mit der Verarbeitungsklausel. Und nicht der ursprüngliche Eigentumsvorbehalt auf dinglicher Ebene wird in eine Sicherungs

übereignung

umgedeutet, sondern eben die Verarbeitungsklausel. Wie @[Petrus](172124) völlig richtig ausführt, ist die Sicherungs

übereignung

dann auflösend bedingt und U erwirbt dadurch ein

Anwartschaftsrecht

(mehraktiger Erwerbstatbestand, gesicherte Rechtsposition, nicht mehr einseitig zerstörbar). U dürfte nach der hL also nicht schlechter dastehen als nach der hM. Das ganz ursprüngliche

Anwartschaftsrecht

des U nach §§ 929 S 1, 158 I BGB dürfte analog § 950 II BGB übrigens ohnehin verloren sein. Der Verarbeitungsklausel wird man aber schlicht eine erneute Vereinbarung ab Fertigstellung der verarbeiteten Produkts entnehmen können (MüKo-BGB/Füller, 9. Aufl 2023, § 950 Rn 26). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Paulah

Paulah

19.6.2024, 20:47:46

Welcher Moment ist genau der, in dem die juristische Sekunde entsteht?

NI

Nils

25.6.2024, 10:35:20

Der Moment in dem eine neue bewegliche Sache hergestellt wurde ist maßgeblich, dann erlangt der Hersteller nach der Literaturmeinung Eigentum für eine juristische Sekunde und überträgt dieses dann auflösend bedingt wieder zurück an den Lieferanten.

Paulah

Paulah

25.6.2024, 11:11:41

@[Nils](21556) Aha! Wenn ich dir also eine Lederhose für das Oktoberfest nähe, ist die juristische Sekunde in dem Moment, in dem ich den letzten Faden vernäht habe und ihn abschneide.


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