Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Nichtleistungskondiktion

Bsp 1: Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten

Bsp 1: Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Studentin S leiht ihrer Freundin F ein seltenes Videospiel. Weil F aber dringend Geld braucht, veräußert sie das Videospiel für €120 an die gutgläubige E. Hat S gegen F einen Herausgabeanspruch aus Eingriffskondiktion (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB)?

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Einordnung des Falls

Bsp 1: Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat einen Anspruch auf Herausgabe des Videospiels gegen E aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion gegenüber der Leistungskondiktion braucht der Bereicherungsschuldner nichts herauszugeben, was er durch Leistung eines Dritten erworben hat. E hat das Videospiel im Rahmen einer Leistung der F an sie erlangt. E hat somit nicht das Videospiel also nicht an S herauszugeben.
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2. Möglicherweise kann S den durch den Verkauf erzielten Erlös von F herausverlangen (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

Ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist gegeben, wenn eine (1) Verfügung (2) eines Nichtberechtigten vorliegt. Diese Verfügung muss (2) entgeltlich und (3) gegenüber dem Berechtigten wirksam sein. Hierbei kann sich eine Wirksamkeit der Verfügung ausschließlich aus einem gutgläubigen Erwerb des Verfügungsempfängers (§§ 929 S. 1, 932 BGB) oder aus einer Genehmigung (§ 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB) der Verfügung durch den Berechtigten ergeben. Entgeltlichkeit ist nach allgemeinen Grundsätzen danach zu bestimmen, ob der Erwerber eine Gegenleistung erbracht hat oder erbringen sollte.

3. Es liegt eine Verfügung der S an E vor.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Verfügung ist jede Aufhebung, Übertragung, Belastung oder Inhaltsänderung eines bestehenden Rechts. S und E hatten bei dem Eigentumserwerb der E keinen Kontakt oder ähnliches. Eine Verfügung der S an E kommt nicht in Betracht.

4. Es liegt eine Verfügung der F an E vor.

Ja, in der Tat!

Eine Verfügung ist jede Aufhebung, Übertragung, Belastung oder Inhaltsänderung eines bestehenden Rechts. F hat E den Besitz an dem Videospiel übertragen. Außerdem hat E durch F gutgläubig Eigentum erworben. Ein bestehendes Recht (Eigentum und Besitz) wurde somit auf E übertragen. Eine Verfügung liegt vor.

5. F hat die Verfügung als Nichtberechtigte iSd § 816 Abs. 1 S. 1 BGB getätigt.

Ja!

Berechtigter ist der Rechtsinhaber. S war Eigentümerin des Videospiels. Demnach stand es auch nur ihr zu, Eigentum und Besitz zu übertragen. F war dazu nicht berechtigt. F tätigte die Verfügung also als Nichtberechtigte.

6. Die Verfügung von F an E war unwirksam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Wirksamkeit der Verfügung kann sich ausschließlich aus einem gutgläubigen Erwerb des Verfügungsempfängers (§§ 929 S. 1, 932 BGB) oder aus einer Genehmigung (§ 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB) der Verfügung durch den Berechtigten ergeben. E hat gutgläubig Eigentum erworben (§§ 929 S. 1, 932 BGB). Demnach liegt eine wirksame Verfügung vor.

7. Es liegt eine wirksame Verfügung einer Nichtberechtigten vor. S kann von dieser Nichtberechtigten (F) Herausgabe des durch die Verfügung erlangten verlangen (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Rechtsfolge des Anspruchs aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist, dass der Nichtberechtigte das Erlangte an den berechtigten herausgeben muss. F hat das Videospiel des S an E verkauft. Diesen Veräußerungserlös hat die nun an S herauszugeben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Simon

Simon

5.7.2023, 22:22:14

Die Übertragung des Besitzes ist mE keine Verfügung. Besitz ist aufgrund seiner Faktizität kein Recht. Andernfalls hätte der Vermieter bei der unberechtigten Untervermietung ja auch einen Anspruch gegen den vermietenden Mieter aus § 816 I 1 BGB, was die hM meines Wissens ablehnt. Vielleicht könnte man das in der Lösung noch ausbessern :)

LO

Lorenz

29.5.2024, 16:24:36

Aber sie überträgt doch auch das Eigentum, oder habe ich das falsch verstanden?

Dogu

Dogu

13.6.2024, 15:35:18

Es ist verwirrend, dass im SV am Ende eine Fallfrage steht, die erste Frage aber einen anderen Bezug hat.

PI

Pillepalle123

13.8.2024, 14:09:12

Ich bin hier irgendwie verwirrt. Der Anspruch aus § 812 I 1 2. Fall am Anfang scheitert doch, weil eine Leistung an die E vorliegt und deshalb der Grundsatz der

Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion

gilt. Warum geht dann der § 816 I 1 durch, dieser ist doch auch eine

Nichtleistungskondiktion

oder nicht?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

14.8.2024, 22:49:23

Hallo Pillepalle123, danke für deine Nachfrage. Gut mitgedacht, § 816 I S. 1 BGB ist in der Tat nach hM eine

Nichtleistungskondiktion

. Der Unterschied besteht jedoch in der Anspruchsrichtung: Am Anfang ging es darum, ob S gegen E vorgehen kann. Hier greift grundsätzlich der Vorrang der Leistungsbeziehung: E erhält das Videospiel allein aufgrund der Leistung der F. Eine Durchbrechung dieser Leistungsbeziehung ist nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Für einen solchen ist hier nichts ersichtlich. Bei § 816 I S. 1 BGB geht es dagegen darum, ob S gegen F vorgehen kann. F greift durch die Veräußerung des Videospiels in die Rechtsposition der S ein, der insoweit bestehenden

Nichtleistungskondiktion

steht dann kein Vorrang der Leistungsbeziehung entgegen. Der entscheidende Wertungsgesichtspunkt des "schutzwürdigen Vertrauens" in die Leistungsbeziehung liegt für F nicht vor. § 816 I S. 1 BGB ist für S vielmehr ein "Ersatzanspruch" für ihren Herausgabeanspruch nach §

985 BGB

, der jetzt aufgrund des gutgläubigen Erwerbs der E nicht mehr besteht. Damit ist der Weg frei für die

Nichtleistungskondiktion

. Der Vorrang der Leistungsbeziehung wird also hier nur in den Fällen relevant, in denen der Gläubiger keine Ersatzansprüche gegen den Veräußernden geltend machen will (in der Praxis ist oft das Problem, dass dieser schlicht mittellos ist und bei diesem daher nichts zu holen ist), sondern den Bereicherungsgegenstand von dem Dritten haben will. Ich hoffe, damit ist es klarer geworden! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

PI

Pillepalle123

23.8.2024, 23:32:24

Ja vielen Dank, da hatte ich wohl einfach den Sachverhalt nicht ordentlich gelesen. Danke für die schnelle Antwort :)


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