Zivilrecht

Bereicherungsrecht

Die Nichtleistungskondiktion

Bsp 1: Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten

Bsp 1: Gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Studentin S leiht ihrer Freundin F ein seltenes Videospiel. Weil F aber dringend Geld braucht, veräußert sie das Videospiel für €120 an die gutgläubige E. Hat S fragt sich, ob sie das Videospiel oder zumindest die €120 herausverlangen kann.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die gutgläubige E hat Eigentum am Videospiel erlangt (§§ 929 S.1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB). Hat S einen Herausgabeanspruch gegen E aus § 985 BGB?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Herausabeanspruch aus § 985 BGB setzt voraus, dass der Anspruchssteller Eigentümer der Sache und der Anspruchsgegner Besitzer ohne Recht zum Besitz (§ 986 BGB) ist. S war zwar ursprünglich Eigentümerin des Videospiels. E hat jedoch das Eigentum gutgläubig nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB von F erlangt. Weil S zuvor den Besitz am Videospiel freiwillig zu Gunsten der F aufgebeben hat, scheitert der Eigentumserwerb nicht an § 935 BGB. S hat ihr Eigentum an F verloren. Ein Anspruch aus § 985 BGB kommt damit nicht in Frage.
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2. Möglicherweise kann S den durch den Verkauf erzielten Erlös von F herausverlangen (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

Ein Anspruch aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist gegeben, wenn eine (1) Verfügung (2) eines Nichtberechtigten vorliegt. Diese Verfügung muss (1) entgeltlich und (2) gegenüber dem Berechtigten wirksam sein. Hierbei kann sich eine Wirksamkeit der Verfügung ausschließlich aus einem gutgläubigen Erwerb des Verfügungsempfängers (§§ 929 S. 1, 932 BGB) oder aus einer Genehmigung (§ 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB) der Verfügung durch den Berechtigten ergeben. Entgeltlichkeit ist nach allgemeinen Grundsätzen danach zu bestimmen, ob der Erwerber eine Gegenleistung erbracht hat oder erbringen sollte. Mache Dir einmal den Sinn des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB bewusst: Hier ist F daran „Schuld“, dass S das Eigentum an ihrem Videospiel verliert. Weil die gutgläubige E schützenswert ist, ist es fair, dass S keinerlei Ansprüche gegen E hat. Allerdings soll S sich dann zumindest an F halten können.

3. Es liegt eine Verfügung der F an E vor.

Ja, in der Tat!

Eine Verfügung ist jede Aufhebung, Übertragung, Belastung oder Inhaltsänderung eines bestehenden Rechts. E hat durch F gutgläubig Eigentum erworben. Ein bestehendes Recht (Eigentum und Besitz) wurde somit auf E übertragen. Eine Verfügung liegt vor.

4. F hat die Verfügung allerdings als Berechtigte i.S.d. § 816 Abs. 1 S. 1 BGB getätigt.

Nein!

Berechtigter ist der Rechtsinhaber. S war Eigentümerin des Videospiels. Demnach stand es auch nur ihr zu, Eigentum und Besitz zu übertragen. F war dazu nicht berechtigt. F tätigte die Verfügung also als Nichtberechtigte.

5. Die Verfügung von F an E war unwirksam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Wirksamkeit der Verfügung kann sich ausschließlich aus einem gutgläubigen Erwerb des Verfügungsempfängers (§§ 929 S. 1, 932 BGB) oder aus einer Genehmigung (§ 185 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 BGB) der Verfügung durch den Berechtigten ergeben. E hat gutgläubig Eigentum erworben (§§ 929 S. 1, 932 BGB). Demnach liegt eine wirksame Verfügung vor.

6. Es liegt eine wirksame Verfügung einer Nichtberechtigten vor. Kann S von der Nichtberechtigten F Herausgabe des durch die Verfügung erlangten verlangen (§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Die Rechtsfolge des Anspruchs aus § 816 Abs. 1 S. 1 BGB ist, dass der Nichtberechtigte das Erlangte an den berechtigten herausgeben muss. F hat das Videospiel des S an E verkauft. Diesen Veräußerungserlös hat die nun an S herauszugeben.

7. S hat einen Anspruch auf Herausgabe des Videospiels gegen E aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB.

Nein, das ist nicht der Fall!

E könnte das Eigentum an dem Videospiel hier auf „sonstige Weise“ auf Kosten der S erlangt haben, indem F diese an E übereignete. Ein Anspruch aus Eingriffskondiktion (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB) kommt nur in Betracht, dass das „erlangte Etwas“ nicht Gegenstand einer vorrangigen Leistungsbeziehung ist. E hat das Videospiel im Rahmen einer Leistung der F an sie erlangt. Diese Leistungsbeziehung ist vorangig. S hat keinen Anspruch aus 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB gegen E. Der Vorrang der Leistungskondiktion schützt den jeweiligen Empfänger einer Leistung: Er soll sich nur Kondiktionen seines eigenen Vertragspartners ausgesetzt sehen und gerade keinen weiteren Kondiktionen von Dritten, mit denen er „nichts zu tun hat“.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Simon

Simon

5.7.2023, 22:22:14

Die Übertragung des Besitzes ist mE keine Verfügung. Besitz ist aufgrund seiner Faktizität kein Recht. Andernfalls hätte der Vermieter bei der unberechtigten Untervermietung ja auch einen Anspruch gegen den vermietenden Mieter aus § 816 I 1 BGB, was die hM meines Wissens ablehnt. Vielleicht könnte man das in der Lösung noch ausbessern :)

LO

Lorenz

29.5.2024, 16:24:36

Aber sie überträgt doch auch das Eigentum, oder habe ich das falsch verstanden?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

12.9.2024, 16:35:44

Hallo in die Runde, in der Tat liegt die Verfügung hier nur in der Übertragung des Eigentums. @[Simon](131793) hat hier bezüglich des Besitzes richtig argumentiert. Die Lösung war an dieser Stelle etwas ungenau, ich habe das jetzt korrigiert. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

PI

Pillepalle123

13.8.2024, 14:09:12

Ich bin hier irgendwie verwirrt. Der Anspruch aus § 812 I 1 2. Fall am Anfang scheitert doch, weil eine Leistung an die E vorliegt und deshalb der Grundsatz der

Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion

gilt. Warum geht dann der § 816 I 1 durch, dieser ist doch auch eine

Nichtleistungskondiktion

oder nicht?

Tobias Krapp

Tobias Krapp

14.8.2024, 22:49:23

Hallo Pillepalle123, danke für deine Nachfrage. Gut mitgedacht, § 816 I S. 1 BGB ist in der Tat nach hM eine

Nichtleistungskondiktion

. Der Unterschied besteht jedoch in der Anspruchsrichtung: Am Anfang ging es darum, ob S gegen E vorgehen kann. Hier greift grundsätzlich der Vorrang der Leistungsbeziehung: E erhält das Videospiel allein aufgrund der Leistung der F. Eine Durchbrechung dieser Leistungsbeziehung ist nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt. Für einen solchen ist hier nichts ersichtlich. Bei § 816 I S. 1 BGB geht es dagegen darum, ob S gegen F vorgehen kann. F greift durch die Veräußerung des Videospiels in die Rechtsposition der S ein, der insoweit bestehenden

Nichtleistungskondiktion

steht dann kein Vorrang der Leistungsbeziehung entgegen. Der entscheidende Wertungsgesichtspunkt des "schutzwürdigen Vertrauens" in die Leistungsbeziehung liegt für F nicht vor. § 816 I S. 1 BGB ist für S vielmehr ein "Ersatzanspruch" für ihren

Herausgabeanspruch

nach § 985 BGB, der jetzt aufgrund des gutgläubigen Erwerbs der E nicht mehr besteht. Damit ist der Weg frei für die

Nichtleistungskondiktion

. Der Vorrang der Leistungsbeziehung wird also hier nur in den Fällen relevant, in denen der Gläubiger keine Ersatzansprüche gegen den Veräußernden geltend machen will (in der Praxis ist oft das Problem, dass dieser schlicht mittellos ist und bei diesem daher nichts zu holen ist), sondern den Bereicherungsgegenstand von dem Dritten haben will. Ich hoffe, damit ist es klarer geworden! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

PI

Pillepalle123

23.8.2024, 23:32:24

Ja vielen Dank, da hatte ich wohl einfach den Sachverhalt nicht ordentlich gelesen. Danke für die schnelle Antwort :)

SCH

Schrobl

3.10.2024, 11:07:38

Der Vorrang der Leistungsbeziehungen gilt nach h.M. zudem nur bei der allg. NLK. Bei den speziellen NLK fehlt es am Tatbestandsmerkmal "in sonstiger Weise", das die Subsidiarität zur Leistungskondiktion ja gerade ausdrückt.

SCH

Schrobl

3.10.2024, 11:09:45

Auch wenn die g.h.M. das wohl zurecht so sieht, sollte man wenigstens kurz ansprechen, dass der Nichtberechtigte bei strikter Anwendung des Trennungs- und Abstraktionsprinzips durch seine Verfügung nicht den Erlös erhalten hat, sondern die Befreiung von seiner Verbindlichkeit. Den Erlös erhielt er durch eine davon getrennte Verfügung des Dritten.

SK

stellvertretende Kommode

8.10.2024, 04:48:58

Der Fehlerteufel hat zugeschlagen im Sachverhalt, Anfang Satz 2.

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

8.10.2024, 17:50:15

Hallo stellvertretende Kommode, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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