Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2018

Sich-Bereit-Erklären zum Mord gegenüber dem Opfer

Sich-Bereit-Erklären zum Mord gegenüber dem Opfer

13. Juni 2023

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T wird von der Polizei abgeführt. In seiner Tasche werden Seile gefunden.

O lernt in einem Internetforum den T kennen, der sie in ihrem Suizidwunsch bestärkt. T bietet ihr an, sie in einen Wald zu verbringen, zu fesseln und aufzuhängen. T geht es dabei einzig um die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse. O nimmt das Angebot an. T holt O am Hauptbahnhof Gießen ab. Noch bevor sie mit seinem Auto zum Wald aufbrechen, nimmt die Polizei T fest.

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Einordnung des Falls

Der BGH bestätigt hier eine 7-jährige Gefängnisstrafe für einen Mann, der Frauen ermutigte, Selbstmord zu begehen, und plante, eine suizidale Frau selbst zu töten. Obwohl er den Mord nie versucht hatte, entschied das Gericht, dass seine ernsthafte Absicht und Vorbereitung ausreiche, um das Verbrechen des "Sich-Bereiterklärens zum Mord" zu begehen. Der Mann hatte die suizidale 23-jährige Frau online kennengelernt und sich mit dem Plan getroffen, sie zu erhängen. Als die Polizei ihn nach dem Abholen der Frau festnahm, fanden sie Seile und Kabelbinder in seinem Auto. Das „Sich-Bereit-Erklären“ im Rahmen des § 30 Abs. 2 Alt. 1 StGB umfasse nach dem Wortlaut und Zweck nicht nur die Äußerung gegenüber einem Dritten, sondern auch gegenüber dem Opfer. Hier seien die psychologischen Dynamiken ähnlich wie bei einer Verschwörung mit einem Komplizen.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Handelte es sich bei dem geplanten Vorhaben um eine straflose Beteiligung an einer Selbsttötung?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Tötungsdelikte (§§ 211 ff. StGB) erfordern stets die Tötung eines anderen Menschen, daher kann eine Selbsttötung keinen der Tatbestände erfüllen. Daraus folgt, dass im Falle einer freiverantwortlichen Selbsttötung eine Teilnahme mangels akzessorischer Haupttat nicht in Betracht kommt. Für die Abgrenzung zur einverständlichen Fremdtötung ist nach der Rspr. maßgeblich, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht. T sollte O fesseln und durch Erhängen töten; O sollte sich gerade nicht mehr wirkungsvoll gegen eine Tötung entscheiden können. Demnach hatte T Tatherrschaft; mithin handelte es sich dem Plan nach um eine einverständliche Fremdtötung (RdNr. 18).
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2. Hat T sich wegen versuchter Tötung auf Verlangen (§§ 216 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?

Nein, das trifft nicht zu!

T müsste einen entsprechenden Tatentschluss gefasst haben. Das setzt vorliegend die Annahme voraus, durch ein ausdrückliches und ernstliches Verlangen der O zur Tat bestimmt worden zu sein. Nach der engen Auslegung des BGH ist ein Tötungsverlangen im Sinne des § 216 Abs. 1 StGB nur gegeben, wenn das Verlangen auch – dem Zweck des § 216 Abs. 1 StGB als Privilegierung entsprechend – für den Täter handlungsleitend war (RdNr. 19). Die Einwilligung der O allein reicht demnach nicht aus; vielmehr muss der Vorsatz des T wesentlich auf dem Tötungswunsch der O beruhen. Vorliegend verfolgte T aber primär eigene, sexuell motivierte Ziele mit der Tötung. Folglich hatte T keinen Tatentschluss hinsichtlich einer Tötung auf Verlangen.

3. Hat T sich wegen versuchten Mordes (§§ 211 Abs. 2 Var. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?

Nein!

T müsste einen entsprechenden Tatentschluss gefasst und unmittelbar zur Tat angesetzt haben. Der Tatplan sah vor, die O nach Ankunft im Wald zu fesseln und anschließend zu töten. Handlungsleitendes Motiv war sexuelle Stimulation. Folglich hatte T Tatentschluss, die O zur Befriedigung des Geschlechtstriebs (§§ 211 Abs. 2 Var. 2 StGB) zu töten. Weiter müsste T subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten haben und objektiv dürften zur Tatbestandsverwirklichung keine wesentlichen Zwischenschritte mehr erforderlich sein. Laut BGH sei Letzteres jedenfalls nicht der Fall, da das Verbringen an den Tötungsort einen solchen wesentlichen Zwischenschritt darstelle.

4. Hat T sich dazu „bereit erklärt“, einen Mord an O zu begehen (§§ 211 Abs. 2 Var. 2, 30 Abs. 2 Var. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

„Sich-Bereiterklären“ setzt eine ernst gemeinte, mit Bindungswillen gegenüber dem Adressaten abgegebene Kundgabe der eigenen Bereitschaft zur täterschaftlichen Verwirklichung eines Verbrechens voraus. Zudem muss der Erklärende die Tatbegehung von der Annahme des Erbietens abhängig machen. T bot O seine Hilfe dabei an, ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Hierzu sollte T – im gegenseitigen Einvernehmen – die O erhängen. Dabei ging es auch nicht um bloße Fantasien. Das Angebot des T war ernst gemeint. Nach den Vorstellungen des T wollte er die O zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse töten. Die geplante Tat erfüllt deshalb den Tatbestand des Mordes (§ 211 Abs. 2 Var. 1 StGB) und daher ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB).

5. T hat sich gerade gegenüber dem Tatopfer bereit erklärt und nicht gegenüber einem potentiellen weiteren Tatbeteiligten. Konnte T daher den Tatbestand des „Sich-Bereiterklärens“ (§ 30 Abs. 2 Var. 1 StGB) gar nicht erfüllen?

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Eine Einschränkung des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB auf lediglich gegenüber Dritten erfolgte Kundgaben sei nicht angezeigt. Zwar müsse es irgendeinen Empfänger der Erklärung geben, da ansonsten keine gefahrbegründende Selbstbindung des Erklärenden entstehen könne. Der Wortlaut nenne indes keinen bestimmten Adressaten. Auch der Normzweck (Bekämpfung von Gefahren für das von dem Verbrechenstatbestand geschützte Rechtsgut durch eine motivationale Bindung des Täters) gebiete keine derartige restriktive Anwendung. Denn diese Bindung könne auch gegenüber dem potenziellen Opfer des Verbrechens erfolgen, wenn es ein eigenes Interesse an der Tatbegehung habe und seine Einbeziehung in die Ausführung der Tat deren Begehung erleichtern oder nach der Vorstellung des Täters überhaupt erst ermöglichen solle (RdNr. 31f.)

6. Hat sich O nach den §§ 211 Abs. 2 Var. 2, 30 Abs. 2 Var. 2 StGB strafbar gemacht, indem sich O mit dem Vorhaben des T bereit erklärte, sie zu erhängen?

Nein!

Dazu müsste O das Erbieten eines anderen, ein Verbrechen zu begehen, angenommen haben. Vorliegend war die O damit einverstanden, sich von T erhängen zu lassen. Darin kann die notwendige Annahme eines Erbietens gesehen werden. Einer Strafbarkeit des O steht jedoch die herrschende akzessorietätsorientierte Verursachungstheorie entgegen. Diese sieht den Strafgrund der Teilnahme darin, dass der Teilnehmer mittelbar durch den Haupttäter ein Rechtsgut angreift. Daraus folgt aber, dass das Rechtsgut auch gegenüber dem Teilnehmer geschützt sein muss. Dies ist aber bei einer Tötungshandlung gegen sich selbst nicht der Fall.
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Verbrechensverabredung (§ 30 Abs. 2 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Bezugstat: Endgültig und konkret geplantes Verbrechen
      2. Tathandlung: Sichbereiterklären, Annehmen des Erbietens oder Verabredung (Var. 1-3)
    2. Subjektiver Tatbestand: Erfolgswille bzgl. der Tat und Wille zur Beteiligung
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld
  4. Ggf. Rücktritt gem. § 31 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2 StGB
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Eine Besprechung von:
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

24.5.2021, 13:16:30

Ist eine Strafbarkeit nur nach § 216 StGB überhaupt möglich? Es handelt sich doch um eine reine Strafzumessungsnorm, die ihre Wirkung nur in Verbindung mit §§ 211/

212 StGB

entfalten kann.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

24.5.2021, 16:50:16

Nach der Ansicht der Rechtsprechung handelt es sich bei § 216 StGB um einen selbstständigen Tatbestand und keine bloße Privilegierung (so die hL) im Hinblick auf §§ 211,

212 StGB

(siehe nur Eser/Stern-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Vor § 211 Rn. 7f.) In jedem Fall entfaltet § 216 StGB eine Sperrwirkung. Insofern kann sich der Täter in bestimmten Fällen „nur“ nach § 216 StGB strafbar machen. So führt nur der BGH (U. v. 07.02.1952 - AZ.: 3 StR 1095/51: „Es besteht jedoch kein Anlass, von der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts […] abzugehen, wonach der Tatbestand des § 216 StGB als der engere den des Totschlags oder Mordes ausschliesst.“ Bemerkenswert ist, dass der BGH in einer neueren Entscheidung jetzt doch von „Privilegierung“ spricht: „Gemäß § 216 Abs. 1 StGB setzt die Privilegierung voraus, dass das Tötungsverlangen des Opfers, welches den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich und ernsthaft ist. […] Dem entsprechend ist einem Tötungsverlangen die Anerkennung im Sinne des Privilegierungstatbestands für den Täter zu versagen, wenn das Opfer durch eine Erkrankung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und es deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht überblickte.“ (BGH, U. v. 14.09.2011 - AZ.: 2 StR 145/11).


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