Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2018
Sich-Bereit-Erklären zum Mord gegenüber dem Opfer
Sich-Bereit-Erklären zum Mord gegenüber dem Opfer
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
O lernt in einem Internetforum den T kennen, der sie in ihrem Suizidwunsch bestärkt. T bietet ihr an, sie in einen Wald zu verbringen, zu fesseln und aufzuhängen. T geht es dabei einzig um die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse. O nimmt das Angebot an. T holt O am Hauptbahnhof Gießen ab. Noch bevor sie mit seinem Auto zum Wald aufbrechen, nimmt die Polizei T fest.
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Einordnung des Falls
Der BGH bestätigt hier eine 7-jährige Gefängnisstrafe für einen Mann, der Frauen ermutigte, Selbstmord zu begehen, und plante, eine suizidale Frau selbst zu töten. Obwohl er den Mord nie versucht hatte, entschied das Gericht, dass seine ernsthafte Absicht und Vorbereitung ausreiche, um das Verbrechen des "Sich-Bereiterklärens zum Mord" zu begehen. Der Mann hatte die suizidale 23-jährige Frau online kennengelernt und sich mit dem Plan getroffen, sie zu erhängen. Als die Polizei ihn nach dem Abholen der Frau festnahm, fanden sie Seile und Kabelbinder in seinem Auto. Das „Sich-Bereit-Erklären“ im Rahmen des § 30 Abs. 2 Alt. 1 StGB umfasse nach dem Wortlaut und Zweck nicht nur die Äußerung gegenüber einem Dritten, sondern auch gegenüber dem Opfer. Hier seien die psychologischen Dynamiken ähnlich wie bei einer Verschwörung mit einem Komplizen.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Handelte es sich bei dem geplanten Vorhaben um eine straflose Beteiligung an einer Selbsttötung?
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat T sich wegen versuchter Tötung auf Verlangen (§§ 216 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Hat T sich wegen versuchten Mordes (§§ 211 Abs. 2 Var. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht?
Nein!
4. Hat T sich dazu „bereit erklärt“, einen Mord an O zu begehen (§§ 211 Abs. 2 Var. 2, 30 Abs. 2 Var. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
5. T hat sich gerade gegenüber dem Tatopfer bereit erklärt und nicht gegenüber einem potentiellen weiteren Tatbeteiligten. Konnte T daher den Tatbestand des „Sich-Bereiterklärens“ (§ 30 Abs. 2 Var. 1 StGB) gar nicht erfüllen?
Nein, das trifft nicht zu!
6. Hat sich O nach den §§ 211 Abs. 2 Var. 2, 30 Abs. 2 Var. 2 StGB strafbar gemacht, indem sich O mit dem Vorhaben des T bereit erklärte, sie zu erhängen?
Nein!
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Fundstellen
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Verbrechensverabredung (§ 30 Abs. 2 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Objektiver Tatbestand
- Bezugstat: Endgültig und konkret geplantes Verbrechen
- Tathandlung: Sichbereiterklären, Annehmen des Erbietens oder Verabredung (Var. 1-3)
- Subjektiver Tatbestand: Erfolgswille bzgl. der Tat und Wille zur Beteiligung
- Objektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
- Ggf. Rücktritt gem. § 31 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2 StGB
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
24.5.2021, 13:16:30
Ist eine Strafbarkeit nur nach § 216 StGB überhaupt möglich? Es handelt sich doch um eine reine Strafzumessungsnorm, die ihre Wirkung nur in Verbindung mit §§ 211/
212 StGBentfalten kann.
Tigerwitsch
24.5.2021, 16:50:16
Nach der Ansicht der Rechtsprechung handelt es sich bei § 216 StGB um einen selbstständigen Tatbestand und keine bloße Privilegierung (so die hL) im Hinblick auf §§ 211,
212 StGB(siehe nur Eser/Stern-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, Vor § 211 Rn. 7f.) In jedem Fall entfaltet § 216 StGB eine Sperrwirkung. Insofern kann sich der Täter in bestimmten Fällen „nur“ nach § 216 StGB strafbar machen. So führt nur der BGH (U. v. 07.02.1952 - AZ.: 3 StR 1095/51: „Es besteht jedoch kein Anlass, von der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts […] abzugehen, wonach der Tatbestand des § 216 StGB als der engere den des Totschlags oder Mordes ausschliesst.“ Bemerkenswert ist, dass der BGH in einer neueren Entscheidung jetzt doch von „Privilegierung“ spricht: „Gemäß § 216 Abs. 1 StGB setzt die Privilegierung voraus, dass das Tötungsverlangen des Opfers, welches den Täter zur Tat bestimmt, ausdrücklich und ernsthaft ist. […] Dem entsprechend ist einem Tötungsverlangen die Anerkennung im Sinne des Privilegierungstatbestands für den Täter zu versagen, wenn das Opfer durch eine Erkrankung in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt war und es deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht überblickte.“ (BGH, U. v. 14.09.2011 - AZ.: 2 StR 145/11).