Schlichtes Polizeihandeln (= Realakt)

30. Juni 2025

12 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Polizei hat Hinweise, dass bei einem anstehenden Fußballspiel Schlägereien zwischen Hooligans stattfinden werden. Die ihr bekannten Hooligans werden einzeln per Brief auf die Gefahr polizeilicher Maßnahmen hingewiesen. Ihnen wird außerdem vom Spielbesuch abgeraten.

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Einordnung des Falls

Schlichtes Polizeihandeln (= Realakt)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Gegen das Schreiben der Polizei können die Hooligans Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO erheben, da es sich um einen Verwaltungsakt handelt.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO ist statthaft, wenn die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt wird. Das Schreiben der Polizei müsste somit ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG sein. Insbesondere müsste es sich um eine Regelung handeln. Dies wäre der Fall, wenn das Schreiben der Polizei seinem objektiven Gehalt nach darauf gerichtet ist, eine verbindliche Rechtsfolge zu setzen. Durch das Schreiben werden die Hooligans lediglich auf die Gefahr polizeilicher Maßnahmen hingewiesen. Eine verbindliche Rechtsfolge wird insoweit nicht gesetzt. Auch der Rat, dem Spiel fernzubleiben, setzt keine Rechtsfolge dahingehend, dass den Hooligans der Spielbesuch verboten wäre. Ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG liegt somit nicht vor. Die Anfechtungsklage ist nicht statthaft.
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2. Mangels Regelungswirkung handelt es sich bei dem polizeilichen Schreiben um einen Realakt.

Ja!

Als Realakte werden solche Verwaltungshandlungen bezeichnet, die keine Rechtsfolge nach sich ziehen (schlichtes Verwaltungshandeln). Die vorliegenden Schreiben weisen keine Regelungswirkung auf und sind damit keine Verwaltungsakte i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG, sondern Realakte. Der Handlungsform des Realakts kommt im Polizeirecht besondere Relevanz zu. Neben dem hier vorliegenden sog. Gefährderanschreiben sind weitere Beispiele etwa die polizeiliche Streifenfahrt, Warnungen (z.B. vor bestimmten Produkten) und nach h.M. auch die unmittelbare Ausführung bzw. der Sofortvollzug.

3. Mangels Regelung wird durch Realakte wie etwa dem Gefährderanschreiben nicht in Grundrechte eingegriffen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Mit dem modernen Eingriffsbegriff ist ein Grundrechtseingriff zu bejahen, wenn eine staatliche Maßnahme ein grundrechtlich geschütztes Verhalten ganz oder teilweise unmöglich macht, gleichgültig, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt, sofern die Beeinträchtigung zurechenbar und von einigem Gewicht ist. Mit dem Anschreiben versucht die Polizei die Hooligans dazu zu bewegen, nicht an dem Fußballspiel teilzunehmen. Sie wirkt insofern auf die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Willensentschließungsfreiheit ein und macht ihre Betätigung teilweise unmöglich. Es ist naheliegend, dass Hooligans infolge des Schreibens von ihrem Stadionbesuch absehen. Begegnet Dir ein solcher Fall in der Klausur, so wäre das Anschreiben näher geschildert. Es kommt dann darauf an, den Einzelfall anhand des modernen Eingriffsbegriffs zu bewerten. Abstellen könntest Du auch auf die einschüchternde Wirkung, aus der sich nach BVerfG ebenfalls ein Grundrechtseingriff ergeben kann.

4. Das Gefährderanschreiben als Realakt bedarf keiner Ermächtigungsgrundlage.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage gilt für belastendes Handeln ungeachtet der gewählten Handlungsform. Realakte als nicht-rechtsförmliche Handlungsform bedürfen daher auch einer Rechtsgrundlage, wenn sie als Grundrechtseingriff zu qualifizieren sind. Da das Gefährderanschreiben wie eben gesehen in die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Willensentschließungsfreiheit eingreift, bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Da spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen nach den Polizeigesetzen zumeist nicht vorliegen, ist die Maßnahme auf die jeweilige Generalklausel (z.B. § 8 Abs. 1 SPolG, § 12 Abs. 1 SächsPVDG, § 13 SOG LSA) zu stützen. Zum Teil gibt es jedoch auch eigene Ermächtigungsgrundlagen (z.B. § 29 Abs. 1 PolG BW). Ob der Tatbestand der Generalklausel erfüllt ist, bedarf einer umfassenden Auswertung des Sachverhalts. Auch im Rahmen einer vergleichsweise wenig eingriffsintensiven Maßnahmen ist zu fordern, dass eine hinreichend sichere Prognose den Eintritt eines Schadens an einem polizeilichen Schutzgut nahelegt.

5. Da durch das Schreiben keine verbindlichen Rechtsfolgen gesetzt werden, können die Betroffenen das Schreiben gerichtlich nicht auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen lassen.

Nein!

Die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes hängt nicht davon ab, ob verbindliche Rechtsfolgen gesetzt werden oder nicht. Bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG folgt, dass dem in seinen Grundrechten betroffenen Bürger keine Rechtsschutzmöglichkeit durch die Wahl einer bestimmten Handlungsform genommen werden kann. Allerdings hat die gewählte Handlungsform Auswirkungen auf die statthafte Rechtsschutzform. Statthafte Rechtsschutzform wäre hier die positive Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Var. 1 VwGO, gerichtet auf die Feststellung, durch das Gefährderanschreiben in Grundrechten verletzt zu sein. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis liegt in dem Grundrechtseingriff durch das Schreiben.
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