Öffentliches Recht
Grundrechte
Allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG)
Recht auf informationelle Selbstbestimmung („Volkszählungsurteil“)
Recht auf informationelle Selbstbestimmung („Volkszählungsurteil“)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die Bundesregierung will eine bundesweite Volkszählung durchführen. Nach dem Volkszählungsgesetz (VolksZG) soll hierbei eine umfassende Erhebung der persönlichen Daten jedes einzelnen Bürgers stattfinden. Bürgerin B rügt die Verletzung ihrer Grundrechte durch das Gesetz vor dem BVerfG.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Recht auf informationelle Selbstbestimmung („Volkszählungsurteil“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Gerügt wird auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Dessen Gewährleistungsgehalte sind abschließend definiert.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach dem VolksZG soll automatische Datenverarbeitung eingesetzt werden. Automatische Datenverarbeitung gefährdet das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen in besonderem Maße.
Ja!
3. Die Datenerhebung durch die Volkszählung fällt in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG.
Genau, so ist das!
4. Das VolksZG ist verfassungswidrig, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wegen seiner Nähe zur Menschenwürde absolut geschützt ist und Eingriffe stets unzulässig sind.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
urheberrechtler
20.1.2022, 10:26:57
Kann man das Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch auf juristische Personen anwenden? Wenn ja, muss man dann die Sphärentheorie irgendwie auf die juristische Person adaptieren oder lässt man die weg?
Victor
20.1.2022, 13:54:42
Das ist sehr umstritten. In der Theorie kann das
APRüber Art. 19 GG auf juristische Personen angewendet werden. Allerdings ergeben sich im Hinblick auf die Herleitung des
APRaus der Menschenwürde einige Probleme. Allenfalls in eng umgrenzten Einzelfällen wird dies möglich sein, wie zB der Unternehmenswürde/wirtschaftl. Sphäre. Hierbei wird es sich aber idR um Eingriffe auf Ebene der Sozialsphäre handeln. Eher käme dann der umstrittene Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebes in Betracht.
Wendelin Neubert
20.1.2022, 18:21:10
Nur als Ergänzung zu Victors zutreffenden Ausführungen: Juristische Personen im Sinne von Art. 19 Abs. 3 GG können sich allenfalls auf Gewährleistungsgehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berufen, die gerade auch die Tätigkeit einer juristischen Person schützen. Denkbar wäre zum Beispiel, dass eine juristische Person sich auf den Schutz des Grundrechts auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme beruft. Beste Grüße – Wendelin für das Jurafuchs-Team
urheberrechtler
20.1.2022, 19:44:51
Vielen Dank ihr beiden? Wie stell ich das in der Klausur dar? Hätte das Problem im persönlichen Schutzbereich aufgemacht (in der Verfassungs
beschwerde alternativ in der Antragsberechtigung). Würde dann die beiden Ansichten (a) persönliches Substrat und b) grundrechtsgleiche Gefährdung) diskutieren und dann die anerkannten Fallgruppen darlegen. Oder sollte man die Fallgruppen eher unter die Ansicht von der Rspr. subsumieren?
Wendelin Neubert
31.1.2022, 11:01:08
Hallo urheberrechtler, danke für deine Nachfrage. Genau so, wie du es beschrieben hast, würde ich es auch machen. Ich gehe davon aus, dass es typischerweise kein Problem sein wird in der Klausur. Dann kannst du die Ausführungen dazu auch knapp halten. Für den wirklich seltenen Fall, dass es gerade auf die Frage ankommen sollte, ob die juristische Person sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen kann - etwa weil kein anderes spezielles Grundrecht einschlägig ist -, musst du das natürlich ausführlicher begründen. Hoffe das hilft! Beste Grüße – Wendelin für das Jurafuchs Team
Anne
12.6.2024, 16:17:55
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist gerade keine Facette des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Im Volkszählungsurteil wurde gesagt, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht enorm wichtig ist und in Zeiten der elektronischen Datenverarbeitung besonderen Gefährdungen ausgesetzt ist. Daraus wird die Notwendigkeit eines eigenständigen (!) Grundrechts abgeleitet. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung lässt sich nur ideengeschichtlich aus dem
APRableiten. Eine Facette, wie z.B. das Recht am eigenen Bild oder die sexuelle Selbstbestimmung, stellt es gerade NICHT dar.
Sebastian Schmitt
15.10.2024, 13:48:43
Hallo @Anne, Du hast insofern völlig Recht, als das BVerfG in der Vergangenheit zunehmend den eigenständigen Charakter des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (nachfolgend der Einfachheit halber: RiSb) betont hat. ME soll und muss man sich hier aber nicht übermäßig an den Begrifflichkeiten aufhängen, zumal sich kaum unmittelbare Unterschiede daraus ergeben, ob das RiSb nun historisch als eigenständiges Recht aus der Idee des Art 2 I iVm 1 I GG "heraus gewachsen" oder nach wie vor eine "Facette" davon ist. In der Kommentarliteratur wird das RiSb jedenfalls nach wie vor bei Art 2 GG behandelt und ua als "Ausprägung bzw Ausformung" (Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl 2024, Art 2 Rn 40) oder auch als "bereichsspezifische Konkretisierung" des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bezeichnet (so Dreier/Barczak, GG, 4. Aufl 2023, Art 2 Rn 91, ähnlich BeckOK-GG/Lang, 58. Ed, Stand 15.6.24, Art 2 Rn 112: "bereichsspezifische Ausdifferenzierung"). Das steht einer Eigenständigkeit des RiSb natürlich nicht unbedingt entgegen, zeigt aber auch gewisse Anbindung an das und den Ursprung im allgemeine(n) Persönlichkeitsrecht. Im Klausurhinweis zu unserer dritten Frage dieser Aufgabe weisen wir explizit darauf hin, dass das RiSb mittlerweile als eigenständiges Grundrecht behandelt wird und sicherheitshalber auch als solches zitiert werden sollte. Ich halte das für einen durchaus pragmatischen und vernünftigen Weg und würde die Aufgabe daher für den Moment so stehen lassen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team