+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Rechtsanwalt R rügt in seiner Revisionsschrift, die Aussage der Zeugin Z sei bei der Urteilsfindung nicht gewürdigt worden. Er schreibt: „Es wäre möglich, dass das Gericht Zs Aussage (Einzelheiten siehe Protokoll) bei der Urteilsfindung nicht beachtet hat."

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Einordnung des Falls

Ordnungsgemäße Verfahrensrüge

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R rügt die Verletzung einer Verfahrensvorschrift (§ 344 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 StPO).

Genau, so ist das!

Eine Verfahrensvorschrift ist eine Norm, die den Weg bestimmt, auf dem das Gericht zur Urteilsfindung gelangt ist. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt vor, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Handlung unterblieben ist, fehlerhaft vorgenommen wurde oder überhaupt unzulässig war. R rügt die Verletzung des Grundsatzes der umfassenden Beweiswürdigung (§ 261 StPO). Hiernach hat das Gericht alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu würdigen, soweit nicht ausnahmsweise ein Beweisverwertungsverbot naheliegt. Dies betrifft den Weg des Gerichts zur Urteilsfindung. § 261 StPO wäre hier verletzt, wenn das Gericht grundlos eine erhebliche Zeugenaussage im Urteil nicht berücksichtigt hat.
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2. Will man in der Revisionsbegründung einen Verfahrensverstoß rügen, genügt die Formulierung „Ich erhebe die Verfahrensrüge.“

Nein, das trifft nicht zu!

Bei einer Verfahrensrüge müssen in der Revisionsbegründung auch die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO). Dies entlastet das Revisionsgericht von der Aufgabe, den gesamten Verfahrensablauf von Amts wegen auf Einhaltung aller prozessualen Vorschriften zu prüfen. Zudem erleichtert es die Entscheidung über die Verfahrensfragen, indem der Beschwerdeführer verpflichtet wird, auch das Tatsachenmaterial vollständig anzuführen. Viele Revisionen wegen Verfahrensfehlern scheitern in der Praxis an den hohen Anforderungen an die Verfahrensrüge.Das Anfertigen einer eigenen Revisionsschrift ist deshalb auch im Examen selten Aufgabe. Liegt allerdings die Revisionsbegründungsschrift einer Partei vor, ist genau darauf zu achten, ob die Anforderungen eingehalten sind.

3. Die Verfahrensrüge des R ist schon deshalb unzulässig, weil der Verfahrensverstoß nicht bestimmt genug bezeichnet ist.

Ja!

Der Verfahrensmangel muss bestimmt behauptet sein. Verfahrensfehler sind als Tatsachen vorzutragen und zu behandeln, nicht als bloße Möglichkeiten. Reine Mutmaßungen sind nicht dazu geeignet, das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, allein anhand der Revisionsbegründung den Verfahrensverstoß zu überprüfen. Die Formulierung „Es wäre möglich...", genügt diesen Anforderungen nicht. Hieraus kann schon nicht die bestimmte Behauptung entnommen werden, dass das Gericht tatsächlich gegen den Grundsatz der umfassenden Beweiswürdigung (§ 261 StPO) verstoßen habe. Schon deshalb ist die Verfahrensrüge fehlerhaft.

4. R hat die den Verstoß enthaltenden Tatsachen hinreichend genau dargelegt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die den Verstoß enthaltenden Tatsachen müssen so vollständig und genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht nur auf Grund dieser Darlegung den Verfahrensmangel feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden („Schlüssigkeitsprüfung"). Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen (samt in Bezug genommener Unterlagen) sind durch wörtliche Zitate, eingefügte Abschriften oder Ablichtungen zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen. R hat nicht dargelegt, welche Aussage Z getätigt hat und woraus sich ergibt, dass das Gericht diese nicht gewürdigt hat. Insbesondere genügt der bloße Verweis auf das Protokoll nicht. Anhand dieser Darlegung ist dem Revisionsgericht eine Überprüfung und Aufklärung des Verstoßes nicht möglich.

5. Das Revisionsgericht kann den Verfahrensverstoß trotzdem überprüfen, wenn R zumindest wirksame Sachrüge erhoben hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Auf Grund eines schlüssigen und erschöpfenden Vortrags ist das Revisionsgericht berechtigt und verpflichtet, in die konkrete Prüfung der Verfahrensrüge einzutreten. Ist die Verfahrensrüge aber wie hier unzulässig, ist der Verfahrensverstoß nicht zu überprüfen, auch dann nicht, wenn daneben auch die Sachrüge erhoben wurde. Denn die Rüge der Verletzung von Verfahrensnormen unterliegt allein der Dispositionsfreiheit des Beschwerdeführers (§ 352 Abs. 1 StPO). Hat der Beschwerdeführer keine zulässige Rüge erhoben, kann das Revisionsgericht den Verstoß nicht von Amts wegen prüfen, es ist insoweit in seiner Prüfungskompetenz beschränkt. Der Meyer-Goßner/Schmitt enthält regelmäßig in der letzten Randnummer zu den verletzten Vorschriften Angaben dazu, wie eine zulässige Rüge auszusehen hat.
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