Corona: Ausgangsbeschränkungen

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

In Bayern gelten vom 20.3. bis 19.4. Ausgangsbeschränkungen; das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur mit triftigen Gründen erlaubt (§ 4 Abs. 2 Bayerische InfektionsschutzmaßnahmenVO). D hält dies für verfassungswidrig, bleibt aber in allen Instanzen erfolglos.

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Einordnung des Falls

Corona: Ausgangsbeschränkungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Statthafte Antragsart vor dem BVerfG ist ein Antrag des D auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG).

Genau, so ist das!

Richtig – nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (RdNr. 10).
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2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist unbegründet, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.

Ja, in der Tat!

Im Rahmen des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Die Verfassungsbeschwerde des D sei laut BVerfG zumindest nicht von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (RdNr. 10f.).

3. Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde findet eine summarische Prüfung statt.

Nein!

Ist der Ausgang der Verfassungsbeschwerde offen, prüft das BVerfG die Notwendigkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung mit einer Folgenabwägung nach der sog. Doppelhypothese. Hierbei sind „die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe“ (RdNr. 10). Bei der Folgenabwägung sind die Interessen aller Betroffenen zu berücksichtigen und nicht nur die des D (RdNr. 12).

4. Die Ausgangsbeschränkungen (§ 4 Abs. 2 BayIfSMV) beeinträchtigen die Menschen, die sich in Bayern aufhalten, erheblich in ihrem Grundrecht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) beinhaltet die Freiheit, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebiets Aufenthalt oder Wohnsitz zu nehmen. Dies muss aber von gewisser Dauer sein, denn Art. 11 GG ist kein allgemeines Grundrechte auf Mobilität bzw. körperliche Bewegungsfreiheit. Die körperliche Bewegungsfreiheit wird vielmehr von der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) erfasst. Hier wird aufgrund der massiven Einschränkung der Fortbewegungsfreiheit im öffentlichen Raum hauptsächlich die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) eingeschränkt. Zudem wird dadurch jeglicher Protest (Art. 8 Abs. 1 GG) quasi ausgeschlossen.

5. Erginge die einstweilige Anordnung nicht und hätte eine Verfassungsbeschwerde Erfolg, wären die Grundrechte vieler Menschen zu Unrecht und irreversibel beeinträchtigt worden.

Ja, in der Tat!

BVerfG: Hier gehe es insbesondere um die erheblichen und teilweise irreversiblen Folgen sozialer Isolation und die damit verbundenen Grundrechtseingriffe. Jedes Verlassen der Wohnung löse Rechtfertigungsdruck aus und die persönliche soziale Interaktion mit Menschen außerhalb des eigenen Hausstands sei stark eingeschränkt. Dies betreffe insbesondere – aber nicht nur – alleinstehende Personen. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass die von D angegriffenen Regelungen von vornherein zeitlich befristet sind und zahlreiche, nicht abschließend gefasste Ausnahmen vorsehen (RdNr. 13).

6. Erginge die Anordnung und hätte eine Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg, würden sich viele Menschen „normal“ verhalten und die Gefahr der Ansteckung mit dem Corona-Virus sich erheblich erhöhen.

Ja!

BVerfG: Erginge die Anordnung, würden sich voraussichtlich sehr viele Menschen so verhalten, wie es mit den Regelungen gerade unterbunden werden soll, obwohl diese Verhaltensbeschränkungen verfassungskonform wären. Unmittelbarer Kontakt zwischen Menschen würde häufiger stattfinden. Damit würde sich die Ansteckungsgefahr, aber auch die Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems und schlimmstenfalls die Gefahr des Todes vieler Menschen erheblich erhöhen (RdNr. 14).

7. Der Staat ist nach dem Grundgesetz dazu verpflichtet, seine Bürger vor Gefahren für deren Leib und Leben zu schützen.

Genau, so ist das!

Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) enthält nicht nur eine abwehrrechtliche Dimension, sondern auch einen staatlichen Schutzauftrag. Der Staat ist nach dem Grundgesetz dazu verpflichtet, Bürger vor Gefahren für Leib und Leben zu schützen (RdNr. 15, stRspr). Dieser verfassungsrechtliche Schutzauftrag ist bei der Folgenabwägung zu Lasten der von D begehrten Aussetzung zu berücksichtigen.

8. Bei der Folgenabwägung überwiegt das Interesse des D an der Außerkraftsetzung der angegriffenen Verordnung. Der Antrag (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist somit begründet.

Nein, das trifft nicht zu!

BVerfG: Es sei „nicht unzumutbar“, die schwerwiegenden Interessen der Bürger einstweilen zurückzustellen, um einen möglichst weitgehenden Gesundheits- und Lebensschutz zu ermöglichen, zu dem der Staat auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist. Das BVerfG betont, dass die Befristung der Regelung und die dort vorgesehen Ausnahmen für dieses Abwägungsergebnis maßgeblich sind (RdNr. 15). Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet. Gegenüber den Gefahren für Leib und Leben wiegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit also weniger schwer, jedenfalls bei eingeschränkter Prüfungsdichte im Eilverfahren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

GI

GingerCharme

23.5.2020, 15:04:20

Es ist öfters die Rede davon, dass die Verfassungsbeschwerde unbegründet sei, wenn sie unzulässig ist. Wenn man spitzfindig ist müsste man das jedoch anders sehen, oder? Denn wenn die Klage unzulässig ist, habe ich gerade keine Aussage über deren

Begründetheit

getroffen. Und eine Verfassungsbeschwerde könnte doch theoretisch begründet sein aber unzulässig? Oder habe ich vielleicht einfach einen Denkfehler?

Isabell

Isabell

23.5.2020, 16:10:48

Man muss zwischen dem Eilantrag und der Verfassungsbeschwerde unterscheiden. Der Eilantrag ist u.a. unbegründet, wenn die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.

GI

GingerCharme

23.5.2020, 16:19:46

Hätte ich so aus den Fragen und Antworten nicht herausgelesen, dass differenziert wurde zwischen Eilantrags-

Begründetheit

und Verfassungsbeschwerden-Zulässigkeit.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

22.6.2020, 15:55:05

Hi, danke für die Anmerkungen! Wir haben das noch einmal angeschaut und finden die Darstellung eigentlich bereits recht eindeutig: „Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) ist unbegründet, wenn eine Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet wäre.“ Habt Ihr Verbesserungsvorschläge? Danke und Gruß


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