Verdeckte Datenerhebung aus Wohnungen

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Polizei Essen hat gesicherte Erkenntnisse, dass Mitglied M eines Motorradclubs in den nächsten Tagen einen Anschlag auf den Präsidenten eines verfeindeten Motorradclubs verüben will. Amtsanwärterin A bringt auf eigene Faust zur Überwachung heimlich Wanzen in Ms Wohnung an.

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Einordnung des Falls

Verdeckte Datenerhebung aus Wohnungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Im PolG NRW besteht eine Standardermächtigung zur verdeckten Wohnraumüberwachung unter Einsatz technischer Mittel.

Ja!

§ 18 PolG NRW bildet die Standardermächtigung zur optischen und akustischen Überwachung des Wohnraums unter Einsatz von technischen Mitteln. Der Wohnungsbegriff deckt sich mit dem aus Art. 13 Abs. 1 GG: Eine Wohnung ist ein Raum privater Lebensgestaltung, des privaten Lebens und Wirkens, welcher der Allgemeinheit nicht zugänglich ist. Zum Wohnungsbegriff gehören ausdrücklich auch Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum (vgl. § 41 Abs. 1 S. 2 PolG NRW). Daten werden in der Wohnung erhoben, wenn die Polizei die technischen Mittel zur Datenerhebung vorher in der Wohnung installiert. Daten werden aus der Wohnung erhoben, wenn die Polizei die Daten durch technischen Mittel erhält, die sie außerhalb der Wohnung positioniert.
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2. Durch das Verwanzen von Ms Wohnung ist der sachliche Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eröffnet.

Genau, so ist das!

Art. 13 Abs. 1 GG schützt die Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Wohnung ist ein Raum privater Lebensgestaltung, des privaten Lebens und Wirkens, der nicht jedermann zugänglich ist. Die Wohnung soll ein Raum der Privatheit und frei von staatlicher Einflussnahme sein. Durch das Verwanzen können Gespräche innerhalb der Wohnung mitgehört oder -geschnitten werden. Dadurch ist der private Rückzugsort beeinträchtigt, sodass der Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 GG eröffnet ist. Beim Überwachen von Telefongesprächen kommt auch eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) in Betracht, welches die Fernkommunikation ohne staatliche Einflussnahme garantiert. Sofern das technische Mittel an der Leitung bzw. am Telefon ansetzt, also den Übermittlungsvorgang als solchen betrifft, liegt ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG vor. Sofern das Telefongespräch durch das Verwanzen des Raumes mitgehört wurde, liegt ein Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG vor.

3. Durfte A nach eigenem Ermessen die Wanze in Ms Wohnung anbringen?

Nein, das trifft nicht zu!

Die präventive Wohnungsüberwachung unterliegt einem Richtervorbehalt. In NRW muss die präventive Wohnraumüberwachung vom Landgericht anordnet werden (§ 18 Abs. 2 S. 1 PolG NRW ). Eine Anordnung durch den Behördenleiter reicht in der Regel nicht aus, es sei denn es liegen Gefahr in Verzug und eine nachträgliche richterliche Bestätigung vor (§ 18 Abs. 2 S. 3 f. PolG NRW). Gefahr in Verzug liegt vor, wenn das Ziel und die Effektivität der Maßnahme bei Einhaltung des „normalen“ Verfahrens in unzumutbarer Weise vereitelt würde. A durfte die Wanze nicht nach eigenem Ermessen anbringen. Es hätte einer richterlichen Anordnung bedurft (§ 18 Abs. 2 S. 1 PolG NRW). Die Maßnahme ist damit formell rechtswidrig. Grund des Richtervorbehaltes ist der qualifizierte Gesetzesvorbehalt aus Art. 13 Abs. 4 GG. Das Grundgesetz stellt strenge Anforderungen für die präventive Wohnraumüberwachung auf, welchen das einschränkende Gesetz (§ 18 PolG NRW) einhalten muss, um verfassungsgemäß zu sein. Trotz der formellen Rechtswidrigkeit darfst Du die Klausur an dieser Stelle nicht abbrechen, sondern musst auch die materielle Rechtmäßigkeit überprüfen.

4. Ist die Maßnahme nach § 18 PolG NRW zur Verhinderung eines bevorstehenden Tötungsdelikts hier materiell rechtmäßig, vorausgesetzt der Polizei bleiben keine andere Möglichkeiten zur Tatverhinderung?

Ja!

Nach dem qualifizierten Gesetzesvorbehalt (Art. 13 Abs. 4 GG) ist eine präventive Wohnraumüberwachung nur zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit zulässig, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr (Art. 13 Abs. 4 S. 1 GG). In Konformität mit dem Grundgesetz erlaubt§ 18 Abs. 1 S. 1 PolG NRW der Polizei eine präventive Wohnraumüberwachung unter Einsatz technischer Mittel, wenn sie zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich ist und die Gefahr nicht anders abwendbar ist.Der Polizei liegen gesicherte Tatsachen vor, dass M in den nächsten Tagen P töten will. Auf Grundlage dieser Tatsachen kann die Polizei mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem asbaldigen Schaden für die Gesundheit oder das Leben von P ausgehen. Zudem bestanden keine anderen milderen Mittel zur Gefahrenabwehr.Ein präventive Wohnraumüberwachung ist nicht zur Bekämpfung von Straftaten möglich, da Art. 13 Abs. 4 GG dies nicht benennt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

INDUB

InDubioProsecco

14.6.2023, 21:18:53

Das verstehe ich nicht, Abs. 3 Satz 1 ordner doch gerade an, dass eine Erhebung nach Abs. 1 Satz 1 der Anordnung bedarf.

INDUB

InDubioProsecco

14.6.2023, 21:20:28

Okay, habe es verstanden. Man legt die Norm im Lichte des Art. 13 IV aus.


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