Fall: Strafverfolgung

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Dieb D wurde im Elektronikmarkt bei dem Versuch erwischt, ein Handy zu stehlen. Ladendetektiv L ruft sodann die Polizei, die an Ort und Stelle die Personalien von D aufnimmt.

Diesen Fall lösen 72,8 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Fall: Strafverfolgung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Strafverfolgung ist Aufgabe der Polizei.

Ja!

Die Strafverfolgung ist gemäß § 163 Abs. 1 S. 1 StPO Aufgabe der Polizei. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben demnach Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. § 163 Abs. 1 S. 1 StPO enthält hierbei zunächst lediglich eine Aufgabenzuweisung. Die jeweiligen Befugnisse ergeben sich dann aus speziellen Befugnisnormen. Für die Feststellung der Identität ist dies etwa § 163b Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StPO. Daneben enthält § 163 Abs. 1 S. 2 StPO eine Generalklausel für Ermittlungsmaßnahmen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. D könnte die Rechtmäßigkeit des Handelns der Polizei in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren überprüfen lassen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art eröffnet, soweit die Streitigkeit nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen ist. Eine abdrängende Sonderzuweisung könnte sich hier aus § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG ergeben. Demnach sind Maßnahmen von Justizbehörden auf dem Gebiet der Strafrechtspflege den ordentlichen Gerichten zugewiesen. Justizbehörden i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 EGGVG sind auch die Polizeibehörden, da sie funktionell Justizaufgaben, wie etwa die Strafverfolgung, ausführen. Die Festellung der Personalien diente nicht präventiv der Abwehr einer von D ausgehenden Gefahr, sondern rein repressiven Zwecken und damit der Strafverfolgung. Somit liegt eine Maßnahme auf dem Gebiet der Strafrechtspflege vor.

3. Das Strafverfolgungsrecht ist Teil der Gesetzgebungskompetenz des Bundes.

Ja, in der Tat!

Gemäß Art. 70 Abs. 1 GG haben grundsätzlich die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit die Gesetzgebungskompetenz nicht dem Bund übertragen ist (insbesondere durch Art. 73, 74 GG). Gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ist das Strafrecht einschließlich des gerichtlichen Verfahrens Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung. Nach Art. 72 Abs. 1 haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung demnach nur solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat Grundsätzlich folgt aus § 6 EGStPO, dass die Vorschriften der StPO abschließend sind, eine Länderkompetenz somit nicht verbleibt. Für die Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Durchführung polizeilicher Strafverfolgungsmaßnahmen wird jedoch auf Regelungen der Landesgesetze zurückgegriffen.

4. Die Strafverfolgung ist Teil des Polizei- und Ordnungsrechts.

Nein!

Die Strafverfolgung ist nicht Teil des Polizei- und Ordnungsrechts. Das Polizei- und Ordnungsrecht dient der präventiven Abwehr von Gefahren, die Strafverfolgung hingegen der repressiven Ahndung vergangener Gesetzesverstöße. Neben den aufgezeigten Konsequenzen für die Gesetzgebungskompetenz und den zulässigen Rechtsweg hat dies außerdem zur Folge, dass statt dem Ermessen gewährendem ordnungsrechtlichen Opportunitätsprinzip, welches sich aus den Generalklauseln ableiten lässt (z.B. § 8 Abs. 1 PolG NRW, Art. 11 Abs. 1 S. 1 BayPAG , §§ 11, 2 Nr. 1 NPOG), das Legalitätsprinzip gilt (vgl. §§ 152 Abs. 2, 163 Abs. 1 StPO). Hiernach ist die Polizei grundsätzlich zu umfassenden Ermittlungen verpflichtet. Ein Ermessen besteht also nicht.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Paul König

Paul König

13.3.2022, 20:19:59

Die Gesetzgebungskompetenzen sind unvollständig wiedergegeben (auch im vorherigen Fall): es gibt auch im GG verstreute Kompetenztitel (zB Art. 38 III GG) und

ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen

. Lässt sich das noch ergänzen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.3.2022, 10:51:26

Lieber Pablo, vielen Dank für Deinen Hinweis. Du hast völlig recht, dass neben den in Art. 73 GG geregelten ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen noch weitere ausschließliche Kompetenztitel im Grundgesetz verteilt sind (u.a. Art. 21 Abs. 5 GG; Art. 38 Abs. 3 GG; Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG, die Regelungen zur Finanzverfassung (Art. 105 Abs. 1 GG; Art. 108 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 S. 1, Abs. 6 GG; Art. 110 Abs. 2 GG) oder Art. 79 GG --> vollständige Liste bei Seiler, in: BeckOK-GG, 50.Ed. 15.02.2022, Art. 71 RdNr. 2.1) und es darüber hinaus natürlich auch noch die ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenzen gibt (

Annexkompetenz

,

kraft Sachzusammenhang

, Natur der Sache). Im Einzelnen behandeln wir dies im Staatsorganisationskurs. Wir haben den Maßstab aber hier dahingehend präzisiert, dass die Gesetzgebungskompetenz des Bundes sich "insbesondere" aber eben nicht ausschließlich aus den Artt. 73, 74 GG ergibt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

LEAB

Lea B

21.8.2024, 13:29:49

Liebes JuraFuchs Team, ich finde die allgemeinen sehr gut für einen Überblick. Allerdings hätte ich mir bei der Anmerkung zu § 163 StPO noch den Zusatz gewünscht, dass die Polizei nicht primär die Strafverfolgung übernimmt, sondern streng genommen die StA. Dann prägt man es sich nicht falsch ein. Liebe Grüße


© Jurafuchs 2024