Zivilrecht

Kaufrecht

Verbrauchsgüterkauf

Wirksame Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB

Wirksame Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem
Neues Kaufrecht 2022

K kauft auf der Internetseite des V Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) überschritten ist. V garantiert, dass die Lebensmittel immer noch genießbar sind, was zutrifft. Vor dem Abschluss des Kaufs muss K ein Kästchen ankreuzen, welches ihn erneut auf das abgelaufene MHD hinweist.

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Einordnung des Falls

Wirksame Beschaffenheitsvereinbarung bei Verbrauchsgüterkauf, § 476 Abs. 1 S. 2 BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Sache ist frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Montageanforderungen entspricht (§ 434 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Das seit dem 1.1.2022 geltende Kaufrecht sieht einen Gleichrang von subjektivem und objektivem Fehlerbegriff vor. Die subjektiven Anforderungen ergeben sich detailliert aus § 434 Abs. 2 BGB, die objektiven aus § 434 Abs. 3 BGB. Die Montageanforderungen regelt § 434 Abs. 4 BGB. Nach § 434 Abs. 1 BGB a.F. war die Sache „frei von Sachmängeln, wenn sie bei Gefahrübergang die vereinbarte Beschaffenheit“ hatte. Danach hatte der subjektive Fehlerbegriff Vorrang.
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2. Entsprechen Lebensmittel, deren MHD abgelaufen ist, den objektiven Anforderungen (§ 434 Abs. 3 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Die objektiven Anforderungen ergeben sich im Einzelnen aus § 434 Abs. 3 BGB. Die Sache muss sich dabei insbesondere für die gewöhnliche Verwendung eignen (Nr. 1) und eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann (Nr. 2). Lebensmittel, deren MHD abgelaufen sind, weichen von der üblichen Beschaffenheit ab (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BGB. Dabei kann man diese Eigenschaft unter das Merkmal der „Haltbarkeit“ oder der „Qualität“ subsumieren (§ 434 Abs. 3 S. 2 BGB).

3. Können V und K Eigenschaften der Sache vereinbaren, die von den objektiven Anforderungen negativ abweichen (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB)?

Ja!

Nach § 434 Abs. 1 BGB müssen die subjektiven und objektiven Anforderungen kumulativ vorliegen. § 434 Abs. 3 S. 1 BGB stellt aber klar, dass eine Sache sich an den objektiven Anforderungen nur zu messen hat, soweit nicht etwas anderes wirksam vereinbart wurde.V und K können eine von den objektiven Anforderungen abweichende, negative Beschaffenheitsvereinbarung treffen. Nach früherem Recht ergab sich diese Möglichkeit bereits daraus, dass sich bereits aus der Struktur des § 434 Abs. 1 BGB ein Vorrang der subjektiven Vereinbarung ergab.

4. Können V und K eine negative Beschaffenheitsvereinbarung konkludent abschließen (§ 476 Abs. 1 S. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB), gelten für die negative Beschaffenheitsvereinbarung verschärfte Anforderungen. Für eine wirksame Vereinbarung muss (1) der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt werden, dass ein bestimmtes Merkmal der Sache von den objektiven Anforderungen abweicht. Außerdem muss (2) die Abweichung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart werden.Da V Unternehmerin und K Verbraucherin ist und es um den Kauf einer Ware geht, liegt ein Verbrauchsgüterkauf vor (§ 474 Abs. 1 S. 1 BGB). Eine wirksame Vereinbarung liegt nur vor, wenn die Voraussetzungen des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB erfüllt sind. § 476 Abs. 1 S. 2 BGB wurde zum 1.1.2022 neu mit aufgenommen.

5. Wurde K von der Abweichung von den objektiven Anforderungen vor Abgabe seiner Vertragserklärung in Kenntnis gesetzt?

Ja, in der Tat!

K hat direkt auf der Internetseite gesehen, dass das MHD überschritten ist. Er wurde also vor der Abgabe seiner Vertragserklärung in Kenntnis gesetzt.

6. Wurde die Abweichung ausdrücklich und gesondert in dem Vertrag vereinbart (§ 476 Abs. 1 S. 2 Nr. 2) BGB)?

Ja!

Das Merkmal „gesondert“, erfordert, dass die Abweichung hervorgehoben wird, damit der Verbraucher sie bewusst in seine Kaufentscheidung einbezieht. Eine Vereinbarung unter vielen in einem Formularvertrag oder als AGB ist also nicht möglich. Der Unternehmer kann im Online-Handel eine ausdrückliche und gesonderte Erklärung des Verbrauchers etwa dadurch herbeiführen, dass er auf seiner Webseite ein Kästchen oder eine Schaltfläche vorsieht, dass die Verbraucher anklicken oder auf andere Weise betätigen können. Im Gegensatz dazu reicht ein schon vorangekreuztes Kästchen, das der Verbraucher deaktivieren kann, nicht aus. K hat durch das Ankreuzen des Kästchens ausdrücklich bestätigt mit dem überschrittenen MHD einverstanden zu sein.

7. Ist die Sache mangelhaft, weil sie aufgrund der Überschreitung des MHD den objektiven Anforderungen nicht genügt (§ 434 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die objektiven Anforderungen finden keine Anwendung, soweit wirksam eine abweichende Vereinbarung getroffen wurde (§ 434 Abs. 3 S. 1 BGB).V und K haben die Formerfordernisse des § 476 Abs. 1 S. 2 BGB eingehalten. Sie haben damit wirksam eine negative Beschaffenheitsvereinbarung getroffen. Nach dieser Vereinbarung sind die Lebensmittel trotz des überschrittenen MHD noch genießbar. Auch wenn § 434 Abs. 1 BGB die Anforderungen formal gleichstellt, hat eine subjektive Vereinbarung somit weiterhin Vorrang!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dogu

Dogu

21.7.2023, 15:14:07

Die Verbrauchereigenschaft des Käufers fehlt im Sachverhalt.

L.G

L.Goldstyn

20.7.2024, 19:34:42

Die Verbrauchereigenschaft wird meines Wissens nach vermutet (oder kann jedenfalls in der Klausur angenommen werden), soweit keine gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen. Begründet wird dies mit dem Wortlaut von § 13 Hs. 2 BGB, der mit "weder... noch..." eine Negativformulierung enthält.

DO

Dominic

15.8.2023, 17:23:34

Liebes Jurafuchs-Team, in dieser Aufgabe wird suggeriert, dass ein Formularvertrag etwas anderes sei als AGB: "Eine Vereinbarung unter vielen in einem Formularvertrag oder als AGB ist also nicht möglich." Gibt es da überhaupt einen Unterschied? Falls ja, könntet Ihr den einmal erklären?

EVA

evanici

30.8.2023, 15:50:16

Wären die Lebensmittel jetzt allerdings ungenießbar, würde man am Ende aber doch auf die Garantie abstellen und nicht auf die subjektiv wirksam vereinbarte negative

Beschaffenheit

, oder?

LELEE

Leo Lee

31.8.2023, 11:50:40

Hallo evanici, in der Tat könnte man - wenn eine Garantie diesbzgl. vorliegt - sich darauf berufen. Beachte jedoch, dass eine Garantie gem. § 443 BGB auch immer eine gesonderte Vereinbarung voraussetzt (hier nicht der Fall) :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo


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