Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Rechtsanwaltsvertrages


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die nach einem Verkehrsunfall schwerstbehinderte M schließt mit R einen Anwaltsvertrag bezüglich der Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche ab. Später verlangen M's Töchter K1 und K2, die bei dem Unfall auch im Auto saßen, von R Schadensersatz. Sie meinen, R hätte im Rahmen des Mandats mit M auch über die ihnen zustehenden, inzwischen verjährten Ansprüche aufklären müssen.

Einordnung des Falls

Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Rechtsanwaltsvertrages

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K1 und K2 steht ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verletzung einer nichtleistungsbezogenen Hinweispflicht des R aus dem Anwaltsvertrag mit M zu (§§ 675, 241 Abs. 2 BGB).

Nein!

Grundsätzlich können Ansprüche aufgrund der Verletzung von Primär- oder Sekundärpflichten nur von den Vertragsparteien selbst durchgesetzt werden (Grundsatz der Relativität vertraglicher Schuldverhältnisse). Da K1 und K2 – im Unterschied zu M – nicht Vertragspartner von R geworden sind, können diese keine direkten Ansprüche wegen Verletzung einer nichtleistungsbezogenen Nebenpflicht des Anwaltsvertrags geltend machen.

2. Ein Schadensersatzanspruch der K1 und K2 könnte sich aber aus dem zwischen M und R abgeschlossenen Anwaltsvertrag in Verbindung mit den Grundsätzen zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergeben.

Genau, so ist das!

Ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) durchbricht den Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse: Sofern ein Dritter in den Schutzbereich der vertraglichen Sorgfalts- und Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) einbezogen ist, kann er bei Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht einen eigenen Schadenersatzanspruch geltend machen. Die Literatur begründet dies als ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB), die Rechtsprechung stützt sich auf eine richterliche Fortbildung des dispositiven Rechts gemäß § 242 BGB.

3. Der VSD an sich hat vier Voraussetzungen.

Ja, in der Tat!

Der VSD setzt (1) Leistungsnähe des Dritten, (2), Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, (3) Erkennbarkeit für den Schuldner und (4) Schutzbedürftigkeit des Dritten voraus.

4. K1 und K2 müssten bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung aus dem Vertrag in Berührung gekommen sein.

Ja!

Leistungsnähe bedeutet, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung aus dem Vertrag in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger selbst. BGH: Die Leistung des Rechtsanwalts müsse bestimmte Rechtsgüter eines Dritten nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen können. Entscheidend sei, ob die vom Anwalt zu erbringende Leistung nach objektiven Empfängerhorizont auch dazu bestimmt sei, dem Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Der Auftraggeber müsse ein entscheidendes Eigeninteresse an der Wahrung der Drittinteressen haben. Maßgeblich für dieses „Näheverhältnis“ seien Ausprägung und Inhalt des anwaltlichen Beratungsvertrags (RdNr. 15).

5. Die Leistungsnähe des Dritten entsteht bei einem Anwaltsvertrag bereits dann, wenn der Rechtsanwalt Anhaltspunkte für eigene Ansprüche dem Mandanten nahestehender Dritter aus demselben Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Dass sich für den Rechtsanwalt Anhaltspunkte in Bezug auf das Bestehen eigener Ansprüche dem Mandanten nahestehender Dritter aus demselben Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner ergäben, reiche für das erforderliche Näheverhältnis nicht aus (RdNr. 16).

6. K1 und K2 waren am Gegenstand des Anwaltsvertrages zwischen M und R persönlich beteiligt.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Gegenstand des Anwaltsvertrages zwischen M und R sei die Verfolgung der Schadensersatzansprüche der M (Schmerzensgeld, Verdienstausfall und Heilungskosten) gewesen. An diesen Rechtsverhältnissen seien K1 und K2 persönlich nicht beteiligt und hierdurch in ihren Rechtspositionen allenfalls mittelbar betroffen. Nach seinem Sinn und Zweck und den erkennbaren Auswirkungen der vertragsgemäßen Leistung auf die Klägerinnen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sei deren Einbeziehung in seinen Schutzbereich nicht erforderlich (RdNr. 16 f.). Im Übrigen verneint der BGH eine Verletzung von Warn- und Hinweispflichten des R bereits mangels für R offenkundiger Gefährdung von K1 und K2`s Vermögensinteressen (RdNr. 18).

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Feri

Feri

10.12.2020, 05:20:22

Feri

Feri

10.12.2020, 05:20:48

Zweifelhafte Rechtsprechung. Bei einem einheitlichen Verkehrsunfall mit Geschädigten ein und derselben Familie die Leistungsnähe zu verneinen halte ich für drastisch gekünselt. Der RA vertritt die Anspruchsberechtigte in der Sache, dessen Tatsachenverhandlung dem Grunde nach Präjudizwirkung zukommt und K1 und K2 entsprechend betreffen. Die Leistungsnähe ist evident. Hier die anwaltliche Aufklärungspflicht gegenüber dem Elternteil als (auch) vermögensrechtliche Vertreterin der K1,2 auf das blinde

Feri

Feri

10.12.2020, 05:22:30

Minimum zu reduzieren ist mEn unvertretbar. Hier steht die Haftpflicht des RA den verjährten Ansprüchen der Kinder gegenüber. Fader Beigeschmack.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

10.12.2020, 11:16:57

Eine andere Ansicht ist hier, wie so oft vertretbar, lieber Feri. Die Ansicht des BGH aber als "unvertretbar" zu bezeichnen, da können wir nicht mitgehen. Die Ansicht des höchsten deutschen Zivilgerichts ist natürlich in jeder Klausur vertretbar.

Fiat Iustitia!

Fiat Iustitia!

27.4.2021, 08:59:35

Als Rechtsreferendar muss ich sowieso immer dem BGH folgen, Feri hat denk ich aber schon auch Recht mit seiner inhaltlichen Kritik. Der BGH wollte scheinbar auf Teufel komm raus eine extensive Anwendung des VSD in Anwaltsverträgen verhindern und hat sich hier nichtmal dogmatisch sonderlich viel Mühe gegeben dies zu verschleiern.

Feri

Feri

27.4.2021, 17:11:38

Meine Kritik ging auch eher auf der moralischen Ebene auf. Das in der Entscheidung Moral keine große Rolle spielte, wird ohne weiteres deutlich.

Dominik

Dominik

27.8.2021, 19:52:07

Darauf, dass man möglicherweise Ansprüche als Opfer eines Verkehrsunfalls hat, kann man aber schon kommen. Die Leistungsnähe kann ich hier auch nicht erkennen, evident ist sie sicherlich nicht. Für eine besondere Schutzwürdigkeit der Töchter gibt es, soweit der SV hier dargestellt ist, keine Hinweise. Insoweit eine für mich überzeugende Entscheidung! :)

CR7

CR7

1.2.2023, 06:30:09

@[Feri](130745) ich habe hier genauso wie du argumentiert und daher nahezu alle Fragen falsch beantwortet. Die Leistungsnähe ist für mich auch klar gegeben. Ich sehe es wie du, dass der BGH hier eine ausufernde Geltendmachung von SE-Ansprüchen ggü. RAen verhindern wollte. Zwar kann man argumentieren, als Opfer eines Unfalls ist es klar, dass man auch eigene Ansprüche geltend machen kann. Der Sinn und Zweck einer Tätigkeit des RA ist mE die vollumfängliche mandantenorientierte Beratung. Ich hätte noch argumentiert, der RA hätte das ganze Mandat als Familienmandant annehmen können, dann wären alle drei Personen Partei des BeratungsV gewesen. Insofern halte ich die Entscheidung nicht für unvertretbar, aber eine andere Sicht ist jedenfalls vertretbar.

PELE

Pele

16.9.2021, 10:07:53

Die Entscheidung ist richtig, da auch der Anwalt in einer Haftung steht.


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