Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2022
Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei bestandskräftiger Baugenehmigung
Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei bestandskräftiger Baugenehmigung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K ist Grundstückseigentümer in einem durch B-Plan ausgewiesenen allgemeinem Wohngebiet. B betreibt außerhalb des Plangebiets Landwirtschaft. Seine Getreideübergabehalle ragt aber zum Teil auf Bs Grundstück innerhalb des Plangebiet. B hat hierfür eine bestandskräftige Baugenehmigung. K will dennoch, dass B die landwirtschaftliche Nutzung der Halle unterlässt.
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Einordnung des Falls
Der BGH hatte zu entscheiden, ob ein Unterlassungsanspruch des Nachbarn bei bestandskräftiger Baugenehmigung bestehe. Aufgrund der bestandskräftigen Baugenehmigung ist daher der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch ausgeschlossen. Grundsätzlich schließt eine bestandskräftige Baugenehmigung zivilrechtliche Abwehrrechte (z.B. §§ 905ff. BGB) nicht aus, da entgegenstehende private Drittrechte im Genehmigungsverfahren nicht geprüft werden. Zivilrechtliche Ansprüche, die tatbestandlich den Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Vorschrift voraussetzen, scheiden jedoch aus, wenn dieser Verstoß durch die Legalisierungswirkung einer Baugenehmigung ausgeschlossen ist. Andernfalls könnte die Bestandskraft einfach über die Zivilgerichte umgangen werden. Da die landwirtschaftliche Nutzung bestandskräftig genehmigt ist, liegt kein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch und damit kein Verstoß gegen ein Schutzgesetz vor.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Steht K ein Unterlassungsanspruch wegen einer Beeinträchtigung seines Eigentums zu (§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Könnte K allerdings ein Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB zustehen?
Ja!
3. Könnte K vorliegend ein öffentlich-rechtlicher Gebietserhaltungsanspruch zustehen?
Genau, so ist das!
4. Handelt es sich bei dem Gebietserhaltungsanspruch um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB?
Ja, in der Tat!
5. Kann eine bestandskräftige Baugenehmigung einen Verstoß gegen den öffentlich-rechtlichen Gebietserhaltungsanspruch ausschließen?
Ja!
6. Hat die Baugenehmigung vorliegend nur die Errichtung, nicht aber die landwirtschaftliche Nutzung der Getreideübergabehalle legalisiert?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Bindet diese Legalisierungswirkung bestandskräftiger Baugenehmigungen auch Zivilgerichte?
Ja, in der Tat!
8. Ist aufgrund der bestandskräftigen Baugenehmigung daher der quasi-negatorische Unterlassungsanspruch ausgeschlossen?
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
baro
10.12.2022, 08:21:52
Müsste im Sachverhalt nicht „Ks Grundstück“ stehen?
Doli
10.12.2022, 16:56:29
Nein, es geht hier eben nicht um eine direkte Einwirkung auf das Grundstück des Ks. K und B haben nur beide ein Grundstück innerhalb des Plangebietes
Viktor
31.5.2023, 15:05:37
Inwiefern würde sich die Lösung verändern, wenn doch das Grundstück des K und nicht des B betroffen wäre? Würde hier der Gebietserhaltungsanspruch greifen und müsste man dann die Baugenehmigung in Frage stellen?
Simon
11.12.2023, 23:27:35
Ich denke, dann würde schon § 1004 S. 1 BGB greifen, da durch den Überbau ein Eingriff in das Eigentum des K vorliegt (körperliche Substanz und Nutzung des Grundstücks sind beeinträchtigt). Dann müsste man prüfen, ob die bestandskräftige Baugenehmigung den K zur
Duldungverpflichtet. Das wäre wohl zu verneinen, da im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren (bspw. Art. 68 I 1, 59 BayBO) eine Beeinträchtigung des Grundstücks durch Überbau nicht geprüft wird, sondern v.a. die planungsrechtliche Zulässigkeit der Halle. Daher droht auch keine Umgehung öffentlich-rechtlicher Vorschriften auf dem Zivilrechtsweg. Unter Umständen kann man auch an § 985 BGB denken, da ein teilweiser Besitzentzug durch den Überbau vorliegen könnte.
Larissa
10.12.2022, 21:12:39
In der Antwort zur ersten Frage steht, dass kein Anspruch aus
§1004 BGBvorliegt, da keine Einwirkung auf das Eigentum des K vorliegt. Im Fall steht jedoch, dass die Halle auf das Grundstück des K ragt. Stellt dies nicht eine Einwirkung iSd. §
1004 BGBdar? Wenn ja, ist die Antwort widersprüchlich zum Fall.
Lukas_Mengestu
12.12.2022, 10:45:01
Liebe Larissa, ich glaube, hier bist Du beim Lesen des Falles etwas verrutscht. Die Halle ragt nicht auf das Grundstück des K, sondern des B. Die Halle und das Grundstück innerhalb des B-Plans gehören also derselben Person. Die Störung liegt aber darin, dass innerhalb des B-Plans ein Gebäude errichtet wurde, dass da nicht hingehört. Auch wenn K hiervon unmittelbar beeinträchtigt wird, dürfte er sich als Mitglied der "Schicksalsgemeinschaft B-Plan" dagegen w
ehren, wenn die Halle nicht durch eine Baugenehmigung geschützt wäre. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
jenny24
8.1.2023, 08:52:22
Jetzt macht es Sinn. Im Sachverhalt sollte dies aber deutlicher formuliert werden.
Lukas_Mengestu
9.1.2023, 15:16:40
Hallo jenny24, wir haben nun noch die Illustration ergänzt. In Kombination mit dem Sachverhalt sollte es nun noch klarer sein :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
asanzseg
10.3.2023, 17:30:18
ich muss @[jenny24](201955) hier absolut Recht geben. Also auch mit der Illustration ist es äußerst verwirrend zumal von B-Plan und B die rede ist. Erst nach 4 mal lesen versteht man das Problem... vielleicht den Namen des B ändern...ich verstehe das B auf Bewohner hindeuten soll, aber trotzdem wirklich (unnötig) verwirrend.
Just4law
27.8.2023, 11:50:25
Der dritte Satz der Fallangabe ist m.E. weiterhin unglücklich/unklar formuliert und auch in Zusammenschau mit dem Bild eher unklar. Wäre von Vorteil, wenn die Grundstücke der zwei Personen in jeweils eigenen Farben hervorgehoben und entsprechend beschriftet wären.
Stefanie
25.10.2023, 22:00:04
der Gebietserhaltungsanspruch wird aus den Regelungen der BauNVO und 34 BauGB abgeleitet. d.h. die Rechtsnormen sind solche der BauNVO und nicht der „Gebietserhaltungsanspruch“ selbst. oder sehr ich das falsch?
Leo Lee
28.10.2023, 16:46:56
Hallo Stefanie, das geht zwar nicht super deutlich aus der Entscheidung hervor, allerdings ist – wie du sagst – die Schutznormen die des BauGBs (§ 34 bei faktischem Baugebiet) und der NVO, die ggf. gemeinsam zum Grundsatz des Gebietserhaltungsanspruchs führen. Mithin sind es streng genommen die „Bauvorschriften“, die die Schutznormen i.S.d. §
823 II BGBdarstellen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Pilea
31.10.2023, 08:26:38
Ist in der letzten Vertiefung ein Widerspruch/eine Anfechtungsklage (eines Dritten, K) gegen die baurechtliche Zulassung gemeint?
Leo Lee
4.11.2023, 13:30:21
Hallo Pilea, genauso ist es! Hier hätte man beispielsweise die
Drittanfechtungsklagegegen die Genehmigung anstrengen können. Wir haben dies nun als Klammerzusatz ergänzt im Vertiefungstext der letzten Aufgabe :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo