Gebot fairen Verhandelns bei Aufhebungsvertrag nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB


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Klassisches Klausurproblem

Die erkrankte Angestellte A wird gegen 17 Uhr von ihrem Chef C in ihrer Wohnung aufgesucht. C legt ihr einen Aufhebungsvertrag vor, den A unter Einfluss von Schmerzmitteln und müde unterschreibt. Danach wird das Arbeitsverhältnis einvernehmlich ohne Abfindungszahlung beendet.

Einordnung des Falls

Gebot fairen Verhandelns bei Aufhebungsvertrag nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Formularmäßige Vereinbarungen, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und ihrer Vergütung unmittelbar bestimmen, sind einer AGB-Kontrolle entzogen (§ 307 Abs. 3 S. 1 BGB).

Ja!

Aufgrund der Vertragsfreiheit findet bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu den Hauptleistungspflichten keine Kontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB statt. Der Aufhebungsvertrag zwischen A und C kann daher nicht einer Angemessenheitskontrolle unterzogen werden.

2. Arbeitnehmer sind Verbraucher im Sinne des § 13 BGB.

Genau, so ist das!

Unter einem Verbraucher versteht man eine natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbstständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Arbeitnehmer tätigen mit ihrem jeweiligen Arbeitgeber Rechtsgeschäfte als Verbraucher gemäß § 13 BGB (Micklitz, in: MüKo-BGB, 8. A. 2018, § 13 RdNr. 58).

3. A kann den Aufhebungsvertrag widerrufen (§ 355 i.V.m. §§ 312 g Abs. 1, 312 b BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Nach § 312 Abs. 1 sind die §§ 312ff. BGB nur anzuwenden auf Verbraucherverträge, die eine entgeltliche Leistung des Unternehmers zum Gegenstand haben. Ein Verbrauchervertrag liegt hier vor (s.o.). BAG: Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge unterfallen nicht den §§ 312ff. BGB. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Aufhebungsverträge mit Abfindungsanspruch als Verträge über "entgeltliche Leistungen" des Arbeitgebers subsumiert würden, Aufhebungsverträge ohne Abfindungsanspruch jedoch in der Gänze nicht. Dies ergebe eine Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB im Hinblick auf seinen systematischen Zusammenhang und den gesetzgeberischen Willen (RdNr. 13ff.)

4. Der Aufhebungsvertrag könnte jedoch unter Verstoß des Gebots fairen Verhandelns (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB) zustande gekommen sein.

Ja!

BAG: Übt der Arbeitgeber eine psychische Drucksituation aus, etwa weil er den Arbeitnehmer zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten mit Vertragsverhandlungen überrumpelt, könne der Grundsatz fairen Verhandelns verletzt sein. Dieser sei eine Nebenpflicht i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB. Die aus dem Arbeitsverhältnis stammenden Verpflichtungen zur gegenseitigen Rücksichtnahme würden dabei auf die Verhandlungen zu einem Aufhebungsvertrag ausstrahlen. Das Gebot fairen Verhandelns schütze unterhalb der Grenze zu Willensmängeln nach §§ 105, 119 ff. BGB die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen (RdNr. 31).

5. Liegt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns vor, ist der Aufhebungsvertrag unwirksam.

Genau, so ist das!

BAG: Der Arbeitnehmer habe in einem solchen Fall einen Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses gemäß § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 ff. BGB. Er sei also so zu stellen, wie er ohne das Zustandekommen des Vertrags stünde. Dies bedeute grundsätzlich einen Anspruch auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag. Hierfür genüge jeder Vermögensschaden, der aus dem Vertrag resultiere. Ein neuer Arbeitsvertrag zu den früheren Konditionen müsse dabei nicht abgeschlossen werden, denn die Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrages würden entfallen (RdNr. 36).

6. C hätte (nach BAG) eine angenehme Verhandlungsatmosphäre für A schaffen müssen, damit der Aufhebungsvertrag wirksam ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Es bedürfe keiner für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, jedoch eines Mindestmaßes an Rücksichtnahme. Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns sei nicht bereits dann gegeben, wenn keine Bedenkzeit oder ein Rücktrittsrecht eingeräumt wird. Vorliegend bestehen Anhaltspunkte für einen Verstoß seitens C, weil er bei A zu Hause während ihrer Erkrankung einen Aufhebungsvertrag angeboten hat.

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