Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes, § 1 Abs. 1 HGB, Gewerbebegriff 4


leicht

Diesen Fall lösen 88,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Student S kauft neben dem Studium Sammlerausgaben von Comics an und verkauft diese über eine Online-Plattform weiter, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Bislang konnte er seine Kosten mit den Einnahmen nicht decken. Mitarbeiter hat er keine. Die Abrechnung macht er am Wochenende zu Hause selbst.

Einordnung des Falls

Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes, § 1 Abs. 1 HGB, Gewerbebegriff 4

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem S mit Comics handelt, wird er offen tätig (§ 1 Abs. 1 HGB).

Genau, so ist das!

Ein Gewerbe (§ 1 Abs. 1 HGB) ist nach herrschender Meinung jede (1) offene, (2) planmäßige, (3) selbständige, (4) erlaubte, (5) von der Absicht dauernder Gewinnerzielung getragene Tätigkeit mit (6) Ausnahme freiberuflicher, wissenschaftlicher oder künstlerischer Tätigkeit. Eine Tätigkeit ist offen, wenn sie am Markt in Erscheinung tritt. Dadurch wird der geschäftliche Bereich vom privaten Handeln unterschieden. Hieran fehlt es bei rein privater Wirtschaftstätigkeit. S tritt mit seinem Comic-Handel über die Online-Plattform am Markt anbietend in Erscheinung.

2. Indem S mit Comics handelt, ist er selbstständig tätig (§ 1 Abs. 1 HGB).

Ja, in der Tat!

Rechtlich selbstständig (§ 1 Abs. 1 HGB) ist, wer über Gestaltung, Einteilung und Dauer der Tätigkeit ohne rechtliche Einschränkungen frei entscheidet (§ 84 Abs. 1 S. 2 HGB). Die Abgrenzung erfolgt anhand der Vertragsgestaltung und Handhabung im Einzelfall. S betreibt den Comic-Handel allein und ist dabei nicht weisungsgebunden oder sonst rechtlich abhängig. Er bestimmt über die Gestaltung der Tätigkeit vollständig selbst.

3. Der Comic-Handel stellt eine planmäßige Tätigkeit dar (§ 1 Abs. 1 HGB).

Ja!

Eine planmäßige Tätigkeit ist während eines bestimmten Zeitraums auf eine unbestimmte Vielzahl von Geschäften gerichtet und wird nicht nur gelegentlich ausgeübt. S kauft und verkauft die Sammler-Comics regelmäßig und weder zeitlich begrenzt noch ausschließlich bei Gelegenheit.

4. Der Comic-Handel des S ist eine auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit (§ 1 Abs. 1 HGB).

Genau, so ist das!

Eine Tätigkeit ist nach der Rechtsprechung auf Gewinnerzielung gerichtet, wenn die Absicht besteht, einen Gewinn, also einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben zu erzielen. Dies wird bei Privatunternehmern vermutet, bei Unternehmen der öffentlichen Hand muss es im Einzelfall festgestellt werden. Der Comic-Handel des S ist ein privates Unternehmen. Hier wird Gewinnerzielungsabsicht widerleglich vermutet. Dass tatsächlich keine Einnahmen erzielt werden, die über die laufenden Kosten hinausgehen, ist irrelevant. Es kommt nur auf die dahingehende Absicht an.

5. Indem S mit Comics handelt, ist er freiberuflich, künstlerisch oder wissenschaftlich tätig (§ 1 Abs. 1 HGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Freiberufliche, wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeiten fallen nicht unter den Gewerbebegriff (vgl. die Aufzählung der Berufsgruppen in § 1 Abs. 2 PartGG). Hier steht nicht der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb, sondern die Erbringung individueller höchstpersönlicher Dienstleistungen im Vordergrund. Der Handel mit Waren ist ein im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb typisches Austauschgeschäft. Es handelt es sich nicht um einen freien Beruf, bei dem die höchstpersönliche Dienstleistung im Vordergrund steht.

6. Indem S über eine Online-Plattform mit Comics handelt, übt er eine verbotene und sittenwidrige Tätigkeit aus (§ 1 Abs. 1 HGB).

Nein!

Nach herrschender Meinung können verbotene oder sittenwidrige Tätigkeiten (§§ 134, 138 BGB) kein Gewerbe sein. Den Betreibern sollen nicht die privilegierenden Rechte eines Kaufmanns zustehen. Handelsrechtliche Pflichten können ihn nach den Grundsätzen zum Scheinkaufmann trotzdem treffen, sodass auch keine Benachteiligung der Geschäftspartner entsteht. Das Handeln mit Comics ist eine erlaubte Tätigkeit.

7. Der Comic-Handel ist ein Handelsgewerbe (§ 1 Abs. 1 HGB)

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Handelsgewerbe ist ein Gewerbe, das nach Art und Umfang eine kaufmännische Einrichtung erfordert (§ 1 Abs. 2 HGB). Kaufmännische Einrichtungen sind solche, die nötig sind, um ein kaufmännisches Unternehmen ordnungsgemäß zu führen und auf die ein Kleingewerbetreibender (§ 2 HGB) aufgrund der Überschaubarkeit seiner Geschäftsverhältnisse verzichten kann. Maßgeblich ist das Gesamtbild des Betriebs. Liegt ein Gewerbe vor, wird dieses Erfordernis vermutet (§ 1 Abs. 2 HGB). Der Comic-Handel ist ein Gewerbe. Das Erfordernis einer kaufmännischen Einrichtung wird vermutet. S hat jedoch keine Mitarbeiter und keine kaufmännische Buchhaltung. Auch die Umsatzzahlen sind überschaubar. Es handelt sich um ein Kleingewerbe (§ 2 HGB), bei dem eine kaufmännische Einrichtung nicht erforderlich ist.

Jurafuchs kostenlos testen


GRE

Grenzbaum

2.1.2024, 23:17:38

Wieso wird beim Kleingewerbe § 2 HGB zitiert? Das HGB gilt doch nicht für Kleingewerbetreibende, oder? oder meinte man § 1 Abs. 2 HGB („nicht erfordert“)?

Bubbles

Bubbles

2.1.2024, 23:38:03

Kleingewerbetreibende sind keine „Istkaufmänner“ iSd § 1 HGB, können jedoch gemäß § 2 HGB die Kaufmannseigenschaft wählen und sie sich gewissermaßen durch Eintragung im Handelsregister verleihen lassen („Kannkaufmann“ (mit „Rückfahrkarte“, da der Kleingewerbetreibende sich grds wieder aus dem Register löschen lassen kann und dadurch die Kaufmannseigenschaft wieder verliert))

AMA

Amastris

2.3.2024, 18:44:11

Müsste es in der Fragestellung nicht Handelsgewerbe nach § 1 II statt 1 I heißen?

LELEE

Leo Lee

4.3.2024, 12:01:44

Hallo Amastris, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, 1 II HGB sei der Maßstab für das Vorliegen eines Handelsgewerbes entscheidend. Dies ist auch insofern zutreffend, als 1 II HGB einen wesentlichen Bestandteil der Definition. Bildet. Beachte allerdings, dass 1 II HGB eben eine Vermutung aufstellt, dass ein Handelsgewerbe erstmal vermutet wird, solange keine gegenteiligen Anhaltspunkte gegeben sind. Ob allerdings ein Handelsgewerbe schlechthin vorliegt, ist eine Frage der „Definition“, die sich nach 1 I HGB richtet. Somit ist Kaufmann gem. 1 I HGB derjenige, der ein Handelsgewerbe betreibt. Wann u.a. ein Handelsgewerbe vorliegt, richtet sich wiederum (teilweise) nach 1 II HGB! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von Ebenroth/Boujong HGB 5. Auflage, Kindler § 1 Rn. 42 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


© Jurafuchs 2024