Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Wahlen und Wahlrechtsgrundsätze

Wahlrechtsausschluss von Vollbetreuten und schuldunfähig untergebrachten Straftätern (BVerfG, 29.01.2019)

Wahlrechtsausschluss von Vollbetreuten und schuldunfähig untergebrachten Straftätern (BVerfG, 29.01.2019)

11. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A hat einen Betreuuer zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten. B ist in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Beide waren deshalb von der letzten Bundestagswahl ausgeschlossen (§ 13 Nr. 2 und 3 BWahlG a.F.). Sie sind der Meinung, das sei verfassungswidrig.

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Einordnung des Falls

Wahlrechtsausschluss von Vollbetreuten und schuldunfähig untergebrachten Straftätern (BVerfG, 29.01.2019)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. § 13 Nr. 2 BWahlG a.F., nach dem Personen von der Wahl ausgeschlossen sind, für die gerichtlich ein Betreuer zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten bestellt ist, beeinträchtigt den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG).

Ja!

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl garantiert, dass jeder sein Wahlrecht in gleicher Weise ausüben kann, und untersagt den unberechtigten Ausschluss von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl, insbesondere aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen. Der in § 13 Nr. 2 BWahlG a.F. enthaltene Wahlrechtsausschluss für Personen mit gerichtlich bestellter Betreuung zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten (§ 1814 Abs. 1 BGB n.F./1896 Abs. 1 S. 1 BGB a.F.) stellt somit eine im Grunde verbotene Ungleichbehandlung dar. Diesem Fall liegt eine Entscheidung des BVerfG über eine Wahlbeschwerde zugrunde. Im Rahmen dieses Kurses haben wir die prozessualen Fragen des Falles weggelassen. Diese findest Du in unserem Rechtsprechungskurs.
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2. Beeinträchtigungen der Allgemeinheit der Wahl sind gerechtfertigt, wenn für sie ein zwingender Grund besteht.

Genau, so ist das!

Die Allgemeinheit der Wahl enthält kein absolutes Differenzierungsverbot. Differenzierungen hinsichtlich der aktiven oder passiven Wahlberechtigung bedürfen zu ihrer Rechtfertigung aber stets besonderer verfassungsrechtlicher Gründe von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit der Wahl. In Betracht kommt insbesondere die Sicherung des Charakters der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes. Ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht kann danach gerechtfertigt sein, wenn bei einer bestimmten Personengruppe davon auszugehen ist, dass ihr die erforderliche Einsicht in das Wesen und die Bedeutung von Wahlen fehlt und sie daher nicht hinreichend am Kommunikationsprozess zwischen Volk und Staatsorganen teilnehmen kann.

3. Die Beeinträchtigung der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) durch § 13 Nr. 2 BWahlG a.F. ist zum Schutz des Charakters der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes gerechtfertigt.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Ausschluss vom aktiven Wahlrecht von Personen, denen die Einsichtsfähigkeit für eine selbstbestimmte Wahlentscheidung fehlt, sei zwar grundsätzlich „geboten“, aber nicht zum Schutz des Schutzguts geeignet. Denn die Prüfung dieser Einsichtsfähigkeit ist nicht Gegenstand des Verfahrens zur Bestellung eines Betreuers. Zudem wird ein Betreuer dann nicht bestellt, wenn der Betreuungsbedürftigkeit auf andere Weise Rechnung getragen werden kann, etwa durch familiäre Versorgung des Betroffenen (§ 1814 Abs. 3 S. 2 BGB n.F./§ 1896 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.). Ein Betroffener, der von den eigenen Angehörigen versorgt werden kann, wird daher nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen – dieser Zufall dürfe nicht über das „vornehmste Recht im demokratischen Staat“ entscheiden. Weiterhin beeinträchtigt § 13 Nr. 2 BWahlG a.F. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, ohne dass dies gerechtfertigt ist.

4. Auch § 13 Nr. 3 BWahlG a.F., nach dem Personen von der Wahl ausgeschlossen sind, die sich auf Grund gerichtlicher Anordnung in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden (§§ 63, 20 StGB), beeinträchtigt den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG).

Ja!

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl garantiert, dass jeder sein Wahlrecht in gleicher Weise ausüben kann. Dieser Gewährleistungsgehalt wird eingeschränkt, wenn nach § 13 Nr. 3 a.F. BWahlG diejenigen, die sich aufgrund einer gerichtlichen Anordnung (§ 63 i.V.m. § 20 StGB) in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden, vom Wahlrecht ausgeschlossen werden.

5. Die Beeinträchtigung der Allgemeinheit der Wahl (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) durch § 13 Nr. 3 BWahlG a.F. ist zum Schutz des Charakters der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbildung des Volkes gerechtfertigt.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 13 Nr. 3 BWahlG a.F. sei bereits nicht geeignet, Personen zu erfassen, die typischerweise nicht über die Fähigkeit zur Teilnahme am demokratischen Kommunikationsprozess verfügen. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 i.V.m. § 20 StGB erlaubt nicht den Rückschluss auf das regelmäßige Fehlen der erforderlichen wahlrechtlichen Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit. Die Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB ist kein dauerhafter Zustand, sondern beschreibt die geistige Verfassung „bei Begehung der Tat“. § 13 Nr. 2 und 3 BWahlG a.F. wurden mit Wirkung vom 01.07.2019 gestrichen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ROBE

Robert

16.5.2024, 14:08:22

Bei der vorletzten Frage ist das Grundgesetz in der Vertiefungsbox falsch verlinkt. Der Link führt zum Bundeswahlgesetz.

LELEE

Leo Lee

17.5.2024, 10:05:12

Hallo Robert, vielen Dank für den Hinweis! Magst du uns noch kurz mitteilen, inwiefern das Grundgesetz falsch verlinkt wird durch 13 BWahlG? Zumal hier auf das BWahlG Bezug genommen wird und nicht auf das GG :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

ROBE

Robert

17.5.2024, 11:13:17

In der Vertiefungsbox steht "Weiterhin beeinträchtigt § 13 Nr. 2 BWahlG a.F. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, ohne dass dies gerechtfertigt ist." Unterstrichen und verlinkt sind "Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG". Wenn man darauf klickt, landet man aber beim BWahlG.

ahimes

ahimes

4.6.2024, 22:19:29

Das habe ich auch festgestellt. War auch irritiert im BWG gelandet zu sein ;-)


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