Strafvereitelung durch Unterlassen

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

In der JVA Kassel I schlagen Vollzugsbedienstete auf einen Gefangenen ein. Der Strafvollzugsbeamte B und die in dienstlicher Eigenschaft zufällig anwesende Staatsanwältin S erfahren am nächsten Tag davon. Weil sie keinen Skandal um die JVA wollen, unternehmen sie nichts weiter.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Strafvollzugsbeamte B ist ein Amtsträger, der zur Mitwirkung beim Strafverfahren berufen ist (§ 258a Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

B ist Beamter und damit zwar Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB. Als Strafvollzugsbeamter hat er aber keine Aufgaben der Strafverfolgung wahrzunehmen. Er ist nicht zur Mitwirkung bei dem Strafverfahren berufen. Eine Strafbarkeit kommt deswegen nicht in Betracht.Hier musst du vorsichtig sein und genau unterscheiden. Geht es um die Vollstreckungsvereitelung der Strafe von Gefangenen, die B überwacht, ist er durchaus Amtsträger, der zur Mitwirkung an der Vollstreckung berufen ist. Geht es um die allgemeine Strafverfolgung besteht die Mitwirkungsberufung hingegen nicht.
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2. B könnte sich wegen Strafvereitelung durch Unterlassen strafbar gemacht haben, indem er nichts unternahm, obwohl er von den Straftaten der Vollzugsbediensteten wusste (§§ 258 Abs. 1, 13 StGB).

Ja!

Voraussetzungen im objektiven Tatbestand dafür sind: (1) Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs (Strafvereitelung) (2) Unterlassen einer geeigneten und erfoderlichen Verhinderungshandlung (3) Garantenstellung (4) Hypothetische Kausalität B müsste absichtlich oder wissentlich bezüglich des Vereitelns und im Übrigen vorsätzlich gehandelt haben. Zudem müsste die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sein und kein persönlicher Strafausschließungsgrund nach § 258 Abs. 5 und 6 StGB eingreifen.Beachte: prüfst Du die Strafbarkeit durch Unterlassen, musst Du im Obersatz § 13 StGB mitzitieren. Du musst außerdem prüfen, ob den Täter eine Garantenpflicht trifft.

3. Besteht für B eine Garantenstellung im Sinne des § 13 StGB?

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Garantenstellung meint die rechtliche Pflicht zur Überwachung einer Gefahr (sog. Überwachergarant) oder zur Bewahrung eines bestimmten Gutes vor beliebigen Gefahren (sog. Beschützergarant). Die Garantenpflicht muss sich im Rahmen des § 258 StGB gerade auf den Schutz der staatlichen Rechtspflege beziehen.Ein „einfacher” Bürger ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die Strafverfolgung anderer zu gewährleisten. Eine Garantenpflicht kann sich damit höchstens aus Bs Stellung als Strafvollzugsbeamter ableiten. B ist aber nicht mit Aufgaben der Strafverfolgung betraut. Ihm obliegt es auch beruflich nicht, allgemeine Belange der Strafrechtspflege wahrzunehmen oder zu fördern. B ist somit kein Garant und nicht nach §§ 258 Abs. 1, 13 StGB strafbar.Unterscheide auch hier wieder genau: geht es um die Vollstreckung der Strafe von Gefangenen, für die B zuständig ist, weist ihm das Recht hingegen sehr wohl Aufgaben der Strafvollstreckung zu. In diesen Fällen besteht die Garantenpflicht.

4. Ist Staatsanwältin S eine Amtsträgerin, die zur Mitwirkung beim Strafverfahren berufen ist (§ 258a Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

S ist als Staatsanwältin Beamte und damit Amtsträgerin nach § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB. Ihr obliegt es Aufgaben der Strafverfolgung wahrzunehmen. Damit ist sie zur Mitwirkung bei dem Strafverfahren berufen.

5. S könnte sich nach §§ 258a Abs. 1, 13 StGB strafbar gemacht haben, indem sie nichts unternahm, nachdem sie von den Straftaten der Vollzugsbediensteten erfahren hatte. Besteht für S eine Garantenpflicht?

Ja!

Staatsanwälte sind Strafverfolgungsbeamte. Als solche sind sie dazu verpflichtet, gegen alle Straftaten, die ihnen bekannt werden, einzuschreiten und die Täter zu verfolgen (sog. Legalitätsprinzip, §§ 152 Abs. 2, 160 StPO). Aus dieser amtlichen Aufgabe ergibt sich eine Garantenstellung zum Schutz der staatlichen Strafrechtspflege.Das aus dem Legalitätsprinzip eine Garantenstellung nach § 13 StGB folgt, gilt zumindest unstrittig bei der Kenntniserlangung von einer Straftat in dienstlicher Eigenschaft. Zum Problem der außerdienstlichen Kenntniserlangung gleich mehr.

6. Hat S sich somit nach § 258a Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem sie es unterließ, die Straftaten der Vollzugsbediensteten zu verfolgen?

Genau, so ist das!

S ist eine Amtsträgerin, die zur Mitwirkung im Strafverfahren berufen ist, und hat aufgrund des Legalitätsprinzips eine Garantenstellung inne, § 13 StGB. Sie unterließ die geeignete und erforderliche Handlung, die Straftaten der Vollzugsbediensteten zu verfolgen. Dadurch blieb eine Bestrafung zumindest für geraume Zeit unverwirklicht. S handelte vorsätzlich und mit Wissentlichkeit bezüglich der Strafvereitelung. Sein Handeln war zudem rechtswidrig und schuldhaft. Ein Strafausschließungsgrund nach §§ 258 Abs. 5 liegt nicht vor.
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