Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Schuld

Notstand, übergesetzliche entschuldigende (vor § 35 StGB)

Definition: Notstand, übergesetzliche entschuldigende (vor § 35 StGB)

9. Dezember 2024

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Was versteht man unter einem „übergesetzlichen, entschuldigenden Notstand“?

Unter dem übergesetzlichen entschuldigenden Notstand ist eine Situation zu verstehen, in welcher der Täter existentielle Güter verletzt, um gleichwertige andere Güter, die weder ihm noch einer ihm nahe stehenden Person gehören, zu retten.

Eine Rechtfertigung über den rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) scheitert hier an der Gleichwertigkeit der Rechtsgüter und die Entschuldigung über den entschuldigenden Notstand (§ 35 Abs. 1 StGB) wegen des fehlenden Angehörigenverhältnis. Der übergesetzliche entschuldigende Notstand ist insofern als Korrektiv für Extremsituationen vorgesehen. Mit Ausnahme des Angehörigenverhältnisses sind die Vorrausetzungen identisch zum entschuldigenden Notstand. Klassisches Lehrbuch Beispiel ist der Bahnbeamte, der ein Zugunglück mit zahlreichen Toten dadurch abwendet, dass er den Zug auf ein Nebengleis leitet, wo dieser dann aber drei Gleisarbeiter überrollt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JJO

JJO

7.8.2024, 15:25:47

M.E. ist das Institut des übergesetzlichen Notstands durchaus umstritten. Es wäre toll, wenn ihr das zumindest kennzeichnen könntet. Idealerweise könntet ihr noch die Ansichten und Argumente nennen. Danke!

HAUS

Hausotter

8.9.2024, 13:05:27

Ich hatte gelesen, dass der übergesetzliche entschuldigende Notstand als Rechtsinstitut grundsätzlich in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist. Umstritten ist glaube ich eher, ob dadurch auch bisher unbetroffene Personen gefährdet werden dürfen. Falls ich hier aber etwas übersehe, gerne anmerken! :)

F. Rosenberg 🦅

F. Rosenberg 🦅

13.11.2024, 16:28:40

Zu unterscheiden sind drei Fallgruppen: 1) Symmetrische Gefahrengemeinschaft = Mehrere Personen schweben gleichermaßen in Todesgefahr und es besteht für alle dieselbe Rettungschance. ⟶ Täter ist unstreitig nach übergesetzlichem, entschuldigenden Notstand entschuldigt, Schuld (-) 2) Asymmetrische Gefahrengemeinschaft = Mehrere Personen schweben gleichermaßen in Lebensgefahr, aber Rettungschancen bestehen nur für die eine auf Kosten der anderen Gruppe. ⟶ Täter ist unstreitig nach übergesetzlichem, entschuldigenden Notstand entschuldigt, Schuld (-) 3) P: Umlenken der Risikos = Drohende Lebensgefahr wird von einer großen Personengruppe auf eine kleinere bisher ungefährdete Anzahl von Menschen umgelenkt. (Bsp: T stürzt den fetten, lang- und breitfleischigen O (der einen Body Mass Index von 9000 hat) auf den Gleis, um den fahrenden Zug auszubremsen und 20 Menschen auf dem Gleis zu retten.) MM: Täter entschuldigt und damit schuldlos Arg 1: Abwälzung der Gefahr auf kleinere Personengruppe = kleineres Übel Arg 2: Ausweglose Lage des Täters hM: Täter nicht entschuldigt und damit schuldig und strafbar Arg 1: Gefahr wird auf Ungefährdete abgewälzt, Täter gefährdet Menschen, für die überhaupt keine Gefahr bestand. Arg 2: Menschen als Instrument zur Rettung anderer Menschen zu benutzen, ist kein Grund zur Entschuldigung (Niemand hat das Recht, Gott zu spielen.)


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