Nötigungsnotstand - Angemessenheit (§ 34 S.2 StGB)


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Klassisches Klausurproblem

A zwingt B mit vorgehaltener Pistole, den C in dessen Abstellkammer zu sperren.

Einordnung des Falls

Nötigungsnotstand - Angemessenheit (§ 34 S.2 StGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. B erfüllt den Tatbestand der Freiheitsberaubung aus § 239 Abs. 1 StGB.

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Genau, so ist das!

Unter dem Einsperren eines Menschen versteht man das Verhindern des Verlassens eines Raumes durch äußere Vorrichtungen gegen den Willen des Opfers. B hat C in die Abstellkammer eingesperrt. Dies tat er auch vorsätzlich.

2. Das Einsperren könnte nach dem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt sein. Genügt es im Hinblick auf die Notstandshandlung, dass das Einsperren erforderlich gewesen ist?

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Nein!

Für die Notstandshandlung darf (1) die Gefahr nicht anders abwendbar sein. Das Merkmal der Nicht-anders-Abwendbarkeit entspricht dem der Erforderlichkeit bei der Notwehr (§ 32 StGB). (2)Zudem muss das geschützte Rechtsgut das durch die Notstandshandlung beeinträchtige Rechtsgut wesentlich überwiegen. Ob dies der Fall ist, ist im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen. (3)Schließlich muss die Verteidigung angemessen sein (§ 34 S. 2 StGB). Nur durch das Einsperren konnte die Gefahr abgewendet werden. Bs Leben überwiegt Cs Freiheit wesentlich. Fraglich ist, ob das Einsperren auch angemessen war.

3. Wurde der Täter selbst zur Verwirklichung des Tatbestands genötigt (=Nötigungsnotstand), so ist umstritten, ob die Notsandshandlung des Täters angemessen ist (§ 34 StGB).

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Genau, so ist das!

Das Merkmal der Angemessenheit ist ein Korrektiv, um insbesondere die Einheit der Rechtsordnung zu wahren. Teilweise wird vertreten, dass die Handlung des genötigten Täters stets angemessen und damit gerechtfertigt sei („Rechtfertigungslösung“). Nach anderer Ansicht entfällt in Fällen des Nötigungsnotstandes die Angemessenheit, sodass allenfalls eine Entschuldigung im Rahmen des entschuldigenden Notstands nach § 35 StGB möglich sei („Entschuldigungslösung“). Eine dritte Ansicht differenziert: Bei geringfügigen Beeinträchtigungen des Opfers könne die Notstandshandlung des Täters durchaus angemessen und damit gerechtfertigt sein. In gravierenderen Fällen (Leben, gravierende Beeinträchtigung von Körper und Freiheit), komme dagegen allenfalls eine Entschuldigung in Betracht.

4. Der Nötigungsnotstand lässt nach h.M. die Angemessenheit stets entfallen, sodass B sich nicht auf eine Rechtfertigung berufen kann.

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Ja, in der Tat!

Die wohl h.M. vertritt die Entschuldigungslösung, wonach der Nötigungsnotstand stets die Angemessenheit entfallen lasse. Begründet wird dies damit, dass dem Opfer – hier C – anderenfalls kein Notwehrrecht gegen den Genötigten mangels eines rechtswidrigen Angriffs zustünde (Notwehrprobenargument). Zudem wird argumentiert, dass sich der Notstandstäter selbst im Unrecht befinde. Rechtsprinzipien und Rechtswerte würden durch eine Rechtfertigung nicht mehr beachtet, weshalb die Notstandshandlung nicht mehr angemessen sein könne.B ist der Notstandstäter, welcher durch die Bedrohung mit der Pistole zum Einsperren (Notstandshandlung) des C von A (Dritter) gezwungen wird.

5. Hat sich B also der vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Freiheitsberaubung strafbar gemacht?

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Nein!

Die hM nimmt in Fällen des sogenannten Nötigungsnotstands die Möglichkeit einer Entschuldigung aus § 35 StGB an. A (Dritter) bedrohte hier Bs (Notstandstäter) Leben, also ein notstandsfähiges Rechtsgut iSv § 35 StGB. Da ihm keine andere Möglichkeit blieb, diese Gefahr von sich abzuwenden, beugte B sich As Nötigung. Damit handelte B entschuldigt.

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