Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Subjektiver Tatbestand
Wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf (§ 15 StGB)
Definition: Wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf (§ 15 StGB)
3. Juli 2025
14 Kommentare
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Was versteht man unter „wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf“?
Eine Abweichung des wirklichen vom vorgestellten Kausalverlauf ist als wesentlich (im Sinne von vorsatzausschließend) anzusehen, wenn sie nicht mehr in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren liegt und somit eine andere Bewertung der Tat rechtfertigt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Geasoph
10.9.2021, 16:44:13
Liebes Jurafuchs-Team, Könnt ihr ein Beispiel für eine andere Bewertung der Tat nennen? LG

Lukas_Mengestu
9.10.2021, 13:55:16
Hallo Geasoph, der BGH hat einen solchen zB einmal bei der Einfuhr von Rauschgift (§ 30 I Nr. 4 BtMG) bejaht. Dabei war dem beauftragten Kurier das mitgeführte Haschisch gestohlen worden und sodann vom Dieb nach Deutschland eingeführt worden. Hier hat der BGH eine wesentliche Abweichung des vorgestellten Kausalverlaufs angenommen, weswegen der subjektive Tatbestand beim Auftraggeber nicht mehr vorlag und dieser sich somit nicht der
mittäterschaftlichen Einfuhr von Rauschgift strafbar gemacht hat (vgl. BGH NJW 1991, 3161). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Jakob G.
31.8.2024, 18:26:50
Klassisch ist hier auch der
Jauchegrubenfall. T stopft O Sand in den Mund um O zu töten. O wird hiervon nur bewusstlos. Allerdings stirbt O als T die vermeintliche Leiche des O in einer Jauchegrube entsorgen will. (Bei Wurf in die Jauchegrube kein Vorsatz bzgl. "Mensch", § 212 I StGB - was jedoch eine unwesentliche Abweichung vom konkreten Kausalverlauf darstellt)

F. Rosenberg 🦅
5.10.2024, 15:46:27
Das ist die Definition vom atypischen Kausalverlauf, der die objektiven Zurechenbarkeit des Erfolgs entfallen lässt. Beispiel: T verletzt den O. O landet im Krankenhaus. Das Krankenhaus wird von einer Atombombe getroffen und dem Erdboden gleichgemacht. O stirbt.
Anne
19.11.2024, 10:30:59
Ist bei der Abweichung vom wesentlichen Kausalverlauf nicht im subjektiven Tatbestand auf die Sicht des Täters abzustellen?

cSchmitt
15.5.2025, 16:39:48
Das kommt erstmal darauf an, ob Du der Literatur folgst und eine objektive Zurechnung der Tat prüfst oder ob Du der Rechtsprechung nach diese Prüfung im subjektiven Tatbestand vornimmst. Doch auch dort würdest Du nicht auf die Voraussehbarkeit aus Sicht des Täters abstellen. Dies ist lediglich der Fall bei
Fahrlässigkeitsdelikten. Dort prüfst Du dann sowohl die objektive als auch die subjektive Voraussehbarkeit des Erfolgseintritts.

Lota Coffee
19.4.2025, 15:02:57
Kann in einem solchen Fall nicht bereits in der objektiven Zurechnung diese wegen eines atypischen Kausalverlaufs verneint werden?

cSchmitt
15.5.2025, 16:41:37
@[Lota Coffee](246223) genau, wenn Du der Literatur folgst und die objektive Zurechnung prüfst, ist der atypische Kausalverlauf bereits dort anzusprechen. Folgst Du der Rechtsprechung und nimmst keine Prüfung der objektiven Zurechnung vor, führst Du den atypischen Kausalverlauf im subjektiven Tatbestand an und dort wirkt er dann vorsatzausschließend.

Lukas_Dunkel
30.6.2025, 12:13:17
@[cSchmitt](298573) okay auf die Gefahr hin, jetzt dumm zu wirken… Aber wie meinst du das, dass die Rechtsprechung keine Prüfung der objektiven Zurechnung vornimmt?

cSchmitt
30.6.2025, 12:59:05
Die objektive Zurechnung (Adäquanztheorie) als Beschränkung der viel zu allgemeinen Kausalität (Äquivalenztheorie) ist eine Methode der Lehre. Der BGH wendet die objektive Zurechnung nur bei
Fahrlässigkeitsdelikten an (https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/03/5-327-03.php3). Bei Vorsatzdelikten erfolgt in der Rechtsprechung stattdessen die Beschränkung der Kausalität auf Ebene des subjektiven Tatbestands. Dort fragt das Gericht dann, ob sich die Vorstellung des Täters von der Tat mit dem tatsächlichen Kausalverlauf deckt. Man kann von einer subjektiven Zurechnung sprechen. Die Rechtsprechung nimmt also ebenfalls eine Beschränkung der Kausalität vor. Nur nicht auf der Ebene des objektiven Tatbestands (objektive Zurechnung), sondern auf Ebene des subjektiven Tatbestandes (subjektive Zurechnung); mit der Ausnahme bei
Fahrlässigkeitsdelikten - schließlich fehlt es diesen typischerweise am subjektiven Tatbestand, sodass dort die Beschränkung der Kausalität sonst entfallen würde. Die Frage ist übrigens nicht dumm. Im Studium lernt man häufig von Tag 1 den Aufbau nach der Lehre und wendet ihn an, ohne die Hintergründe zu kennen.

Lukas_Dunkel
30.6.2025, 13:09:37
Aha … spannend. Da habe ich so viele Fragen :D aber das würde das hier alles sprengen und ich recherchiere das jetzt mal selber. Aber die Hauptfrage wäre dann tatsächlich wieso müssen wir das dann so explizit lernen und umsetzen? Zumindestens noch im zweiten Semester. Ich weiß ja nicht, wie das im Examen aussieht.

cSchmitt
30.6.2025, 13:17:26
Das müsstest Du am besten jemanden aus der Lehre fragen. Also vielleicht nach der nächsten Vorlesung den Strafrechtsprofessor. Zumindest im ersten Examen prüfst Du dann auch ganz normal mit der objektiven Zurechnung. Wie das im zweiten Examen aussieht, kann ich nicht sagen. Ich kann mir nur vorstellen, dass es einfacher dogmatisch zu erklären ist, weil so die Prüfung der objektiven Zurechnung für Vorsatz- und
Fahrlässigkeitsdelikte(bei letzteren als Pflichtwidrigkeitszusammenhang bezeichnet) gleich ist.