Zulässigkeit der Briefwahl

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Weil Lawra (L) bei der nächsten Bundestagswahl nicht an ihrem Wohnsitz sein wird, gibt L ihre Stimme schon einige Wochen vor der Wahl per Briefwahl (vgl. § 36 BWahlG) ab. Dabei fragt sie sich, ob das eigentlich mit der Geheimheit der Wahl vereinbar ist.

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Einordnung des Falls

Zulässigkeit der Briefwahl

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Wahl ist geheim, wenn die Wählenden weder vor noch während des Wahlvorgangs offenlegen müssen, wie ihre Wahlentscheidung ausfällt.

Genau, so ist das!

Die Geheimheit der Wahl ist das wichtigste Instrument zum Schutz der Wahlfreiheit. Niemand soll seine Stimme oder seine Tendenz für eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Kandidaten öffentlich kundtun müssen. Denn bei Offenbarung der Stimme könnte leicht Druck auf die Entscheidungsfreiheit der Wählenden ausgeübt werden.
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2. Das BVerfG überprüft die Ausgestaltung des Wahlrechts durch den Gesetzgeber vollumfänglich auf ihre Zweckmäßigkeit.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Gesetzgeber ist nach Art. 38 Abs. 3 GG ermächtigt, die Organisation und Durchführung von Wahlen festzulegen. Nach der st.Rspr. des BVerfG bringt es die „Natur der Sache“ mit sich, dass bei der Ausgestaltung des Wahlsystems nicht jeder Wahlrechtsgrundsatz in „voller Reinheit“ bestehen bleiben kann. Dem Gesetzgeber stünde ein gewisser Gestaltungsspielraum zu (siehe z.B. BVerfGE 59, 119, RdNr. 24). Das BVerfG überprüft nur, ob der Gesetzgeber innerhalb seines verfassungsrechtlich vorgegeben Gestaltungsspielraum gehandelt hat. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn die Wahlrechtsgrundsätze übermäßig eingeschränkt werden. Es ist dagegen nicht die Aufgabe des Gerichts zu überprüfen, ob der Gesetzgeber „innerhalb seines Ermessensbereichs eine zweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösung gefunden hat.“ (BVerfGE 59, 119, RdNr. 24)

3. Die Briefwahl (§ 36 BWahlG) könnte eine größere Gefahr einer unzulässigen Einflussnahme auf den Wählenden bedeuten als die Urnenwahl (§ 34 BWahlG).

Ja!

Im Rahmen einer Urnenwahl ist die Kontrolle, dass die Stimmabgabe durch den einzelnen Wahlberechtigten alleine und ohne Einflussnahme durch einen Dritten (zumindest in dem Moment der Stimmabgabe) erfolgt, besser gewährleistet, als wenn die Wählenden die Stimme an einem anderen Ort per Briefwahl abgeben. Denn hier gibt es keinen staatlichen Kontrollrahmen (wie die Wahlhelfenden) und keinen staatlich geschützten Raum (wie die Wahlkabine), die die Stimmabgabe „überwachen“ und die Geheimheit der Wahl sicherstellen. Die Gefahr der Manipulation durch Dritte ist daher höher. Die Geheimheit der Wahl ist also bei der Briefwahl weniger stark geschützt als bei der Urnenwahl.

4. Die Beeinträchtigung der Geheimheit der Wahl könnte zugunsten der Allgemeinheit der Wahl gerechtfertigt sein. Denn durch die Möglichkeit der Briefwahl können potenziell mehr Menschen an der Wahl teilnehmen.

Genau, so ist das!

Der Gesetzgeber kann in einem gewissen Umfang von der vollumfänglichen, „reinen“ Garantie der Wahlrechtsgrundsätze abweichen. Eine solche „Abweichung“ oder vielmehr eine Einschränkung der Wahlrechtsgrundsätze muss allerdings durch einen besonders wichtigen Grund gerechtfertigt sein. Bei der Bestimmung, was als wichtiger Grund in Betracht kommt, hat der Gesetzgeber einen gewissen Gestaltungsspielraum. Der Gesetzgeber begründet die Einführung der Möglichkeit einer Briefwahl mit der Förderung der Wahlbeteiligung. Die Briefwahl eröffne „auch solchen Wahlberechtigten, die sich sonst aus gesundheitlichen oder anderen wichtigen Gründen gehindert sähen, ihre Stimme im Wahllokal abzugeben, die Teilnahme an der Wahl.“ (BVerfGE 59, 119 RdNr. 25). Damit fördert die Briefwahl die Allgemeinheit der Wahl.

5. Die Wahlrechtsgrundsätze dürfen nicht unverhältnismäßig stark eingeschränkt werden. Wird der Grundsatz der Geheimheit der Wahl durch die Briefwahl übermäßig eingeschränkt?

Nein, das trifft nicht zu!

Wird ein verfassungsrechtlicher Grundsatz zu Gunsten eines anderen eingeschränkt, muss dies in einer möglichst schonenden, verhältnismäßigen Weise getan werden. In einer Abwägung muss vor allem berücksichtigt werden, (1) wie schwer die Beeinträchtigung wiegt und (2) wie wichtig der angestrebte Zweck ist.Auf der einen Seite wird der Grundsatz der Geheimheit der Wahl durch die Briefwahl nicht besonders stark beeinträchtigt. So können die Wahlberechtigten sich auch privat ein Umfeld schaffen, in dem sie ihr Recht auf Geheimheit der Wahl ungestört ausüben können. Zudem handelt es sich bei der Briefwahl um eine freiwillige Möglichkeit. Demgegenüber hat der Gesetzgeber der Erweiterung der Wahlmöglichkeit im Sinne der Allgemeinheit der Wahl, wonach grundsätzlich alle Staatsbürger an der Wahl teilnehmen können sollen, ein besonders hohes Gewicht beigemessen. Diese Gewichtung liegt laut BVerfG im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum: „Das Bundesverfassungsgericht könnte dieser Entscheidung des Gesetzgebers nur entgegentreten, wenn sie mit einer übermäßigen Einschränkung oder Gefährdung der Grundsätze der unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahl verbunden wäre. Das ist nicht der Fall.“ (BVerfGE 59, 119, RdNr. 25)
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