+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T sucht D abends auf, um D einzuschüchtern. Als der fünf Meter entfernte D sich ihm unbeeindruckt nähert, schießt T mit einer Pistole auf Ds Oberschenkel. T trifft D aber in den Bauch. D bricht schreiend zusammen. T sieht, dass D sich noch bewegt und ansprechbar, und flieht sofort. D überlebt.
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Einordnung des Falls
Bedingter Tötungsvorsatz bei Schuss in den Oberschenkel?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. T könnte sich wegen versuchten Totschlags an D strafbar gemacht haben (§§ 212, 22, 23 StGB).
Genau, so ist das!
Eine Strafbarkeit wegen Versuchs setzt voraus, dass der Täter mit
(1) Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung
(2) unmittelbar ansetzt,
(3) rechtswidrig und schuldhaft handelt und
(4) nicht strafbefreiend zurückgetreten ist.
Zu Beginn der Prüfung des Versuchs ist kurz festzustellen, dass T nicht wegen vollendeten Totschlags strafbar ist und das unvollendete Delikt im Versuch strafbar ist. Totschlag ist ein Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB), damit ist der Versuch strafbar (§ 23 Abs. 1 StGB)
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2. T hatte Tatentschluss bezüglich eines Totschlags, wenn er zumindest bedingten Vorsatz bezüglich einer Tötung des D hatte.
Ja, in der Tat!
Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Totschlag setzt subjektiv mindestens dolus eventualis (bedingten Vorsatz) voraus; weitere subjektive Merkmale sind nicht zu prüfen.
3. Die h.M. grenzt den bedingten Vorsatz anhand des kognitiven Elements von der bewussten Fahrlässigkeit ab.
Nein!
Sowohl beim bedingtem Vorsatz als auch bewusster Fahrlässigkeit, erkennt der Täter die Möglichkeit der Erfolgsverwirklichung (=kognitives Element). Die h.M. nimmt die Abgrenzung deshalb anhand des voluntativen Elements vor. Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er den Erfolg ernsthaft für möglich hält und sich mit ihm abfindet (Ernstnahmetheorie der h.L) bzw. den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie der Rspr.). Er handelt dagegen bewusst fahrlässig, wenn er mit dem als möglich erkannten Erfolg nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, dass er nicht eintritt.
Ob dem Täter der Erfolg an sich erwünscht oder unerwünscht ist, spielt keine Rolle.
4. Die Lebensgefährlichkeit der Tatausführung stellt ein wesentliches auf bedingten Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen/Indikator dar.
Genau, so ist das!
Laut der Rspr. ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes. So liegt bei äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und - weil er mit seinem Handeln fortfuhr - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.
Zur Feststellung des Vorsatzes ist nichtsdestotrotz stets eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Momente des Einzelfalls erforderlich. Die Gefährlichkeit der Handlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts sind keine alleinigen Kriterien, sondern bloße Indizien. Eine schematische Bewertung verbietet sich.
Ggf. gegen einen Vorsatz sprechen zB spontanes, unüberlegtes Handeln oder die Einbeziehung von Rettungsmöglichkeiten in die Überlegungen des Täters.
5. Ein Schuss in Richtung Oberschenkel eines Menschen ist nach Auffassung des BGH auch für Laien erkennbar eine höchstgefährliche Handlung, sodass dem T bedingter Vorsatz unterstellt werden kann.
Ja, in der Tat!
Das LG Hannover hatte noch geurteilt, dass bei einer Schussabgabe in Richtung des Oberschenkels nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden könnte, dass der Täter mit tödlichen Verletzungen ernsthaft rechnet. Auch wenn diese naturgemäß eintreten könnten, seien sie nicht hochwahrscheinlich.
BGH: Es stehe außer Frage, dass ein Schuss in den Oberschenkel eines Menschen wegen der Gefahr die Oberschenkelschlagader zu treffen, auch für den Laien erkennbar eine (höchst)gefährliche Handlung darstelle. Zudem habe das LG weitere wesentliche Aspekte außer Betracht gelassen: So geschah die Schussabgabe zu nächtlicher Stunde und D bewegte sich auf T zu; damit sei die Handlung in ein hochdynamisches Geschehen eingebettet (RdNr. 12ff.).
T hatte also Tatentschluss. Zudem setzte er unmittelbar an, indem er den Schuss auf D abgab. T handelt rechtswidrig und schuldhaft.Für eine Notwehrlage (§ 32 StGB) hält der Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte bereit.
6. T könnte jedoch strafbefreiend zurückgetreten sein.
Ja!
Der Rücktritt vom Versuch setzt voraus, dass der Versuch
(1) nicht fehlgeschlagen ist und der Täter die
(2)erforderliche Rücktrittshandlung
(3) freiwillig erfüllt.
Zu 1: Ein Fehlschlag(§ 24 StGB) liegt vor, wenn der Täter entweder tatsächlich erkennt oder irrig annimmt, dass die Vollendung der geplanten Tat mit den ihn zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne zeitliche Zäsur nicht mehr möglich ist.
T hätte nachsetzen und weiter auf D einwirken können (zB durch einen weiteren Schuss). Er war rein tatsächlich weiter in der Lage, den D anzugreifen. Der Versuch war somit nicht fehlgeschlagen.
Nein, das ist nicht der Fall!
Ein Versuch ist unbeendet, wenn der Täter davon ausgeht, noch nicht alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung zur Vollendung der Tat notwendig ist.
LG Hannover: Zwar habe T wahrgenommen, dass D in Bauch getroffen wurde. Bei dieser Region seien tödliche Verletzungen möglich, allerdings nicht höchstwahrscheinlich. Deshalb sei zugunsten von T anzunehmen, dass er auf einen nicht tödlichen Ausgang vertraute.
BGH: Zwar war D noch ansprechbar und bewegte sich, was T den Eindruck hätte vermitteln können, er sei nicht tödlich getroffen. Jedoch sei dies nicht genügend aussagekräftig, denn auch letale Verletzungen hätten nichts stets die sofortige Bewegungsunfähigkeit zur Folge (RdNr. 17ff.). Das LG hätte sich auch damit auseinandersetzen müssen, dass D schreiend zusammenbrach und T dies gesehen hat. Die Vorstellung, dass D tödlich getroffen wurde, liege daher nahe. Der Versuch ist beendet.
8. Indem T die weitere Tatausführung aufgegeben hat, hat er alles Erforderliche getan, um strafbefreiend zurückzutreten.
Nein, das trifft nicht zu!
Die erforderliche Rücktrittshandlung des Alleintäters hängt davon ab, in welchem Versuchsstadium er sich befindet. Bei einem unbeendeten Versuch muss der Täter lediglich die weitere Tatausführung aufgeben (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB). Bei einem beendeten Versuch hingegen muss er den Erfolgseintritt aktiv abwenden (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB).
Ts Versuch war beendet. Er hätte deshalb den Erfolgseintritt aktiv verhindern müssen. Jedoch ist er nach der Schussabgabe geflohen und hat nichts unternommen, um D zu retten. Ein strafbefreiender Rücktritt scheidet aus.
Die Unterscheidung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch beruht, ebenso wie die Feststellung, ob der Versuch fehlgeschlagen ist, ausschließlich auf der Vorstellung des Täters im Zeitpunkt nach der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont).Ebenfalls verwirklicht ist hier die gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Da diese vollendet ist, steht sie zum versuchten Totschlag in Tateinheit (§ 52 StGB).
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