Telekommunikationsüberwachung

5. Februar 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Polizist P vermutet, dass seine Frau F eine Affäre mit dem Gärtner G unterhält, während er auf der Arbeit schuftet. Da er ja an der Quelle sitzt, lässt er die Handy-Kommunikation zwischen F und G überwachen. Die gesetzliche Grundlage normiert als Anforderung an eine Überwachung den „Anfangsverdacht einer verwerflichen Tat”.

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Einordnung des Falls

Telekommunikationsüberwachung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Handy-Kommunikation zwischen F und G ist eine unkörperliche Kommunikation. Fällt diese in den Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 GG?

Genau, so ist das!

Das Telekommunikationsgeheimnis umfasst den Schutz der individuellen Telekommunikation, das heißt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mithilfe des Telekommunikationsverkehrs. Geschützt ist sowohl der Inhalt der Kommunikation als auch der konkrete Vorgang und die Umstände (etwa das Mittel der Kommunikation, der Zeitpunkt, Beteiligte oder die Zuordnung von IP-Adressen).
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2. Das Abhören der Handy-Kommunikation von F und G durch P stellt eine Beeinträchtigung individueller privater unkörperlicher Kommunikation und damit einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 GG dar.

Ja, in der Tat!

Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 GG liegt vor, wenn ein Grundrechtsverpflichteter das Recht der individuellen privaten Kommunikation beeinträchtigt. Für das Telekommunikationsgeheimnis ist dies insbesondere dann der Fall, wenn er den Inhalt der Telekommunikation liest, mithört oder aufzeichnet bzw. auf Informationen zum konkreten Vorgang oder den Umständen von Kommunikation zugreift oder diese speichert. P ist als Teil der Exekutive grundrechtsverpflichtet. Das Abhören der Handy-Kommunikation von F und G beeinträchtigt deren Recht auf individuelle und private Kommunikation und greift so in den Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 GG ein.

3. Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 GG ist gerechtfertigt, sofern dieser auf einem verfassungsmäßigen Gesetz beruht und auch im Einzelfall verhältnismäßig ist.

Ja!

Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 GG kann aufgrund eines Gesetzes erfolgen (Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG). Dabei muss das einschränkende Gesetz selbst sowohl formell als auch materiell verfassungsmäßig sein. Handelt es sich um eine konkrete (Abhör-)Maßnahme, die auf dem einschränkenden Gesetz beruht, muss diese auch im Einzelfall verfassungsmäßig, insbesondere natürlich verhältnismäßig sein (sog. doppelte Verhältnismäßigkeitsprüfung).

4. Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG erfolgen oft heimlich. Daher sind an das einschränkende Gesetz besonders strenge Anforderungen der Verfassungsmäßigkeit zu stellen.

Genau, so ist das!

Ein Eingriff in das Telekommunikationsgeheimnis liegt vor, wenn ein Grundrechtsverpflichteter den Inhalt der Telekommunikation liest, mithört oder aufzeichnet bzw. auf Informationen zum konkreten Vorgang oder den Umständen von Kommunikation zugreift oder diese speichert. Dies erfolgt oft heimlich, um eine größtmögliche Effektivität der Maßnahme sicherzustellen. Da der Bürger somit oft gar keine Kenntnis von dem Eingriff in seine Grundrechte hat, ist er besonders schutzwürdig. Daher sind an Gesetze, die heimliche Eingriffe in den Schutzbereich von Art. 10 GG rechtfertigen, besonders strenge Anforderungen zu stellen.

5. Die gesetzliche Grundlage eines heimlichen Eingriffs in Art. 10 Abs. 1 GG genügt den besonderen an sie zu stellenden Anforderungen, wenn sie vorschreibt, dass ein Eingriff nicht anlasslos erfolgen darf.

Nein, das trifft nicht zu!

Eingriffe in den Schutzbereich des Telekommunikationsgeheimnisses erfolgen aus Effektivitätsgründen oft heimlich. Da der Bürger somit gar keine Kenntnis von dem Eingriff in seine Grundrechte hat, ist er besonders schutzwürdig und es sind an die gesetzlichen Grundlagen des Eingriffs besonders strenge Anforderungen zu stellen. So muss die Gesetzesgrundlage insbesondere Anlässe für einen Eingriff normieren, die dem Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter dienen, sowie tatsächliche Anhaltspunkte für deren Vorliegen einfordern. Es handelt sich dabei um besondere Ausprägungen des Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Judikatur des BVerfG zu Überwachungsmaßnahmen (z.B. BVerfG, Beschl. v. 12.10.2011 – 2 BvR 236/08 u.a.) ist extrem unübersichtlich. Deren Kenntnis wird von Dir in der Klausur auch nicht erwartet. Erwartet wird indes, dass Du Dir der besonders hohen Eingriffsintensität heimlicher Maßnahmen bewusst bist und erkennst, das damit besonders hohe verfassungsrechtliche Anforderungen an die Ausgestaltung der Eingriffsermächtigung korrespondieren.

6. Die gesetzliche Grundlage eines heimlichen Eingriffs ist verfassungsmäßig, wenn sie abstrakte Kriterien unabhängig vom Einzelfall für das Feststellen der Schwere eines Eingriffs genügen lässt.

Nein!

An die gesetzlichen Grundlagen heimlicher Eingriffe sind aufgrund deren Eingriffsschwere besonders strenge Anforderungen zu stellen. Daher reicht das Aufstellen abstrakter Kriterien zur Bestimmung der Schwere eines Eingriffs nicht aus. Vielmehr muss auch die Schwere des Eingriffs im Einzelfall gesetzlich verankert berücksichtigt werden. Relevant ist dafür etwa, wie sehr die Maßnahme im Einzelfall in den Kernbereich privater Lebensgestaltung eindringt, der ebenfalls durch das einschränkende Gesetz geschützt werden muss. Da die heimliche Telekommunikationsüberwachung trotz dieser strengen Maßstäbe immer noch ein sehr schwerer Eingriff ist, muss die gesetzlich Grundlage weiterhin einen grundsätzlichen Richtervorbehalt und eine zumindest nachträgliche Information des Bürgers vorsehen. Das BVerG verlangt darüber hinaus auch eine regelmäßige Berichterstattung an das Parlament. Genaueres findest Du in der Originalentscheidung des BVerfG (Beschl. v. 12.10.2011 – 2 BvR 236/08 u.a.), die wir auch in den Quellen angegeben haben.

7. Ist die gesetzliche Grundlage, auf die P die Überwachung der Handys von F und G stützt und die den „Anfangsverdacht einer verwerflichen Tat” voraussetzt, verfassungsmäßig?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 10 GG kann aufgrund eines seinerseits formell als auch materiell verfassungsmäßigen Gesetzes erfolgen (Art. 10 Abs. 2 S. 1 GG). Die materielle Verfassungsmäßigkeit unterliegt aufgrund der oft erfolgenden Heimlichkeit von Eingriffen in den Schutzbereich von Art. 10 Abs. 1 GG besonders strengen Anforderungen. So muss die Gesetzesgrundlage insbesondere Anlässe für einen Eingriff normieren, die dem Schutz überragend wichtiger Rechtsgüter dienen, sowie tatsächliche Anhaltspunkte für deren Vorliegen einfordern. Die gesetzliche Grundlage, auf die P die Überwachung der Handys von F und G stützt, fordert lediglich sehr vage den „Anfangsverdacht einer verwerflichen Tat” und damit nicht den Schutz eines überragend wichtigen Rechtsguts. Darüber hinaus ist nicht davon auszugehen, dass der Tatbestand in seiner Formulierung einer „verwerflichen Tat” dem Bestimmtheitsgrundsatz genüge tut. Mithin ist die gesetzliche Grundlage insgesamt nicht verfassungsmäßig. In der Klausur gilt es wie immer, überzeugend zu argumentieren. Mach Dir also keine Sorgen, die Merkmale alle perfekt auswendig lernen zu müssen. Versuche Dir vielmehr zu merken, dass bei besonders schweren Eingriffen wie der Telekommunikationsüberwachung viele Sicherheitsvorkehrungen im einschränkenden Gesetz zu finden sein müssen, damit dieses verfassungsmäßig ist. Habe auch immer die Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls im Hinterkopf. Dann kann nichts schief gehen!
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