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Deliktsrecht

Wer haftet für den abgestellten Pkw-Anhänger? (BGH, Urt. v. 7.2.2023 – VI ZR 87/22)

Wer haftet für den abgestellten Pkw-Anhänger? (BGH, Urt. v. 7.2.2023 – VI ZR 87/22)

21. Mai 2025

8 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

H ist Halter eines Pkw-Anhängers, den er ordnungsgemäß in der P-Straße abstellt. Als F die Straße durchfährt, verliert er die Kontrolle über sein Fahrzeug und stößt gegen Hs Anhänger. Dieser kommt ins Rollen und beschädigt das Eingangstor und die Fassade des Gebäudes von G.

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Einordnung des Falls

Wer haftet für den abgestellten Pkw-Anhänger? (BGH, Urt. v. 7.2.2023 – VI ZR 87/22)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Als Halter des Anhängers haftet H für die Schäden an Gs Gebäude nach § 7 Abs. 1 StVG.

Nein!

§ 7 StVG regelt die Haftung des Halters von Kraftfahrzeugen. Bevor die haftungsrechtlichen Regelungen der Anhänger-/Gespannhaftung 2020 in §§ 19, 19a StVG zusammengeführt worden sind, war in § 7 Abs. 1 StVG a.F. auch die Halterhaftung für Anhänger regelt. Nun enthält § 19 Abs. 1 S. 1 StVG entsprechend § 7 Abs. 1 StVG die grundlegende Haftungsnorm für die Halter von Anhängern. Nach § 19 Abs. 1 StVG haftet der (1) Halter eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kfz als Zugfahrzeug gezogen zu werden, für (2) Personen- oder Sachschäden, die (3) bei dem Betrieb des Anhängers verursacht werden, (4) wenn die Haftung nicht ausgeschlossen ist. Da die ausgegliederte Halterhaftung für Anhänger noch verhältnismäßig neu ist, ist es für Prüfungsämter sehr verlockend, die klassischen Straßenverkehrsklausuren hier in ein neues Gewand zu packen. Regelmäßig ist in solchen Konstellationen auch ein Anspruch gegen die Haftpflichtversicherung zu prüfen (§ 19 Abs. 1. S. 1 StVG iVm § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG).
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2. Handelt es sich bei der Beschädigung des Eingangstors und der Fassade von Gs Gebäude um eine Rechtsgutsverletzung iSd § 19 Abs. 1 StVG?

Genau, so ist das!

§ 19 Abs. 1 StVG fordert eine Rechtsgutsverletzung. Es muss ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt worden sein. Eine Sache ist „beschädigt“, wenn entweder ihre Substanz nicht unerheblich verletzt oder wenn ihre Brauchbarkeit zu ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung nicht unerheblich beeinträchtigt worden ist, ohne dass zugleich ein Eingriff in die Sachsubstanz vorliegt. Vorliegend wurde die Substanz des Eingangstors und der Gebäudefassade nicht unerheblich verletzt, mithin ist ein Sachschaden entstanden.

3. Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ wird in Bezug auf Kraftfahrzeuge (also im Rahmen von § 7 StVG) eng ausgelegt.

Nein, das trifft nicht zu!

Bei Betrieb eines Fahrzeugs hat sich ein Unfall ereignet, wenn sich eine Gefahr realisiert, die mit dem Fahrzeug als Verkehrsmittel verbunden ist. Die Rechtsprechung legt dieses Haftungsmerkmal entsprechend des Gesetzeszweckes (Telos) weit aus: Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG sei der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift wolle alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ausreichend sei, dass bei einer wertenden Betrachtungsweise das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (RdNr. 8).

4. Sind diese Grundsätze auch entsprechend auf den Betrieb von Anhängern anzuwenden?

Ja!

Der BGH wendet die Grundsätze, die er zur Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen aufgestellt hat, entsprechend auf Anhänger an, die dazu bestimmt sind, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden (RdNr. 10).Schon bei Einführung der eigenständigen Halterhaftung für Anhänger 2001 in § 7 Abs. 1 Alt. 2 StVG a.F. hatte der Gesetzgeber klargestellt, dass hierdurch für Anhänger in gleicher Weise eine Gefährdungshaftung geschaffen werden sollte, wie für Kraftfahrzeuge. Die Ausgliederung der Anhängerhaftung in § 19 StVG sollte nicht zu einem unterschiedlichen Verständnis der Betriebsgefahr führen. Vielmehr sollte hierdurch nur die Halterhaftung von Gespannführern im Innenverhältnis neu geregelt werden.

5. Da der Anhänger vorliegend ordnungsgemäß am Straßenrand geparkt worden ist, fehlt es schon deshalb an der Verwirklichung einer Betriebsgefahr.

Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Für die Zurechnung der Betriebsgefahr komme es grundsätzlich maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe. Der Betrieb dauere dabei fort, solange der Fahrer das Fahrzeug im Verkehr belässt und die dadurch geschaffene Gefahrenlage fortbesteht (RdNr. 9). Dies gilt entsprechend für Anhänger i.S.d. § 19 StVG. BGH: Der Schaden sei entstanden, indem der abgestellte und infolge eines Anstoßes durch ein Kfz ins Rollen geratene Anhänger gegen Tor und Gebäude prallte. Die aus der Konstruktion des Anhängers resultierende Gefahr einer unkontrollierten Bewegung habe sich durch Einwirkung von Fremdkraft verwirklicht, die durch das Abstellen des Anhängers im öffentlichen Verkehrsraum noch nicht beseitigt war (RdNr. 12).

6. Eine Zurechnung zur Betriebsgefahr scheidet aber aus, weil der Anhänger durch verkehrswidriges Verhalten von F ins Rollen gebracht wurde.

Nein, das trifft nicht zu!

Das LG Gießen hatte eine Einstandspflicht zunächst noch mit der Begründung versagt, dass der Betriebsgefahr des Anhängers lediglich eine untergeordnete Bedeutung zukomme. Er sei durch einen anderen Verkehrsteilnehmer bewegt worden, sodass das Tatbestandsmerkmal „bei dem Betrieb“ nicht erfüllt wäre. BGH: Es habe sich nicht ein gegenüber der Betriebsgefahr eigenständiger Gefahrenkreis verwirklicht. In dem Schaden wirke vielmehr die dem Anhänger konstruktionsbedingt innewohnende Gefahr einer unkontrollierten Bewegung durch Einwirkung von Fremdkraft fort. Es habe sich somit eine typische Gefahrenquelle des Straßenverkehrs verwirklicht, die vom Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG a.F. bzw. § 19 Abs. 1 S. 1 StVG erfasst sei (RdNr. 13). Da auch keine Ausschlussgründe vorliegen, haftet H nach § 19 Abs. 1 S. 1 StVG. H kann aber nach den Bestimmungen des § 19 Abs. 6 i.V.m. 17 Abs. 1 StVG (dieser modifiziert § 426 BGB) Regress bei F nehmen.

7. H haftet gegenüber G zudem auch deliktisch nach § 823 Abs. 1 BGB.

Nein!

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB setzt (1) eine Rechtsgutsverletzung, (2) eine Verletzungshandlung, (3) die haftungsbegründende Kausalität, (4) Rechtswidrigkeit, (5) Verschulden und (6) einen kausalen Schaden voraus. H hat seinen Anhänger ordnungsgemäß in der Straße abgestellt. Es fehlt daher an einer schuldhaften Verletzungshandlung. Es besteht kein Anspruch gegen H aus § 823 Abs. 1 BGB. Die Halterhaftung ist für den Geschädigten vorteilhafter, da sie - anders als § 823 BGB - kein Verschulden voraussetzt. Deswegen solltest Du sie in der Klausur stets zuerst prüfen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dolusdave

Dolusdave

6.3.2024, 18:59:28

Wäre dann bei dem Regressanspruch nach § 19 Abs. 6 iVm

§ 17 StVG

inzident die Haftung des anderen Halters nach §

7 StVG

zu prüfen und sodann eine Haftungsquote nach § 17 II zu bilden, wo die Haftung des Anhängerhalters mit der Haftung des Fahrzeughalters abzuwägen ist?

---

---

20.3.2024, 16:34:41

Ich glaube, dass du hier die Schäden einmal gedanklich differenzieren musst. Im vorliegenden Fall geht es um den

Schaden

, der einem Dritten entstanden ist, daher ist auch richtigerweise nur der § 17 Abs. 1 StVG durch den § 19 Abs. 6 StVG einschlägig. Bei dem Regressverweis in § 19 Abs. 6 StVG geht es nämlich um eine Schadloshaltung gegenüber Ansprüchen

Dritter

. Diese Schadloshaltung kann der in Anspruch genommene Anhängerhalter also nach den Haftungsquoten des § 17 Abs. 1 StVG wiederum dem anderen

beteiligte

n Kraftfahrzeughalter entgegenhalten. Der Anspruch über § 7, 17 Abs.2 , Abs. 1 StVG würde in Betracht kommen, wenn unser hiesiger Anhängerhalter seine eigenen Schäden am Anhänger geltend machen wollen würde.

MAS

Max S

14.5.2024, 08:39:20

Hi Dolusdave, Ich stimme Jura-Lord zunächst zu, meine aber dass beim Regressanspruch im Innenverhältnis nach 426 die Wertungen des 840 III analog anzuwenden sind. (Könnte aber auch falsch liegen, habe nicht recherchiert)

MAS

Max S

14.5.2024, 08:41:56

Hi Dolusdave, Ich stimme Jura-Lord zunächst zu, meine aber dass beim Regressanspruch im Innenverhältnis nach 426 die Wertungen des 840 III analog anzuwenden sind. (Könnte aber auch falsch liegen, habe nicht recherchiert) Die bedeutet im Ergebnis, dass der Halter den Anhängers, der nur aus Gefährdung haftet, 100% vom

schuld

haft Handelnden bekäme.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

16.10.2024, 10:10:34

Hallo @[Dolusdave](134949), @[---](213303) hat Deine Frage schon genau richtig beantwortet. Es geht hier um einen

Schaden

, der einem Dritten als Nicht-Kfz-Halter (und nicht einmal Fahrer) entstanden ist, deswegen gilt nur § 17 I StVG. §

17 II StVG

erfordert ja gerade einen

Schaden

, der einem Fahrzeughalter entstanden ist – und darum geht es in unserem Fall nicht. Was die Ergänzung von Dir, @[Max S](210195), angeht: Einen Grund für eine analoge Anwendung des §

840 III BGB

sehe ich hier nicht. Schließlich haben wir mit § 17 I StVG eine Spezialregelung, die das Innenverhältnis von konkreten Verursachungsbeiträgen abhängig macht und gerade nicht von einer "starren" Aufteilung wie §

840 III BGB

(MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl 20224, § 840 Rn 23, 6; BeckOK-BGB/Förster, 71. Ed, Stand 1.8.24, § 840 Rn 70, 5 f). Hinsichtlich der Höhe der Verursachungsbeiträge wird man in unserem Fall allerdings in der Tat (ausnahmsweise) gut vertreten können, dass F den

Schaden

im Innenverhältnis zu 100 % zu tragen hat, weil es sich für H nach dem Rechtsgedanken des § 17 III 1 StVG ggü F um ein

unabwendbares Ereignis

handelte. Das dürfte allerdings wirklich nur für die Abwägung der Verursachungsbeiträge im Innenverhältnis zutreffen, im Außenverhältnis ggü G nimmt der BGH eine Betriebsgefahr des Anhängers ja gerade an. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

ALE

Aleks_is_Y

29.5.2024, 17:11:28

Was genau bedeutet § 19 I S. 3 StVG?: "Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn der Unfall durch einen Anhänger verursacht wurde, der im Unfallzeitpunkt mit einem Kraftfahrzeug verbunden war, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 Kilometer in der Stunde fahren kann" Hier scheint es eine Einschränkung für die Halterhaftung von Anhängern zu geben, oder verstehe ich das falsch? Wenn das tatsächlich so ist, dann verstehe ich nicht, warum diese Einschränkung nur für den explizit beschriebenen Fall greifen soll, nicht aber für einen freistehenden Anhänger... Ich hoffe, mich kann jemand erhelen :).

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

16.10.2024, 09:40:50

Hallo @[Aleks_is_Y](225618), Du hast völlig Recht, dass § 19 I 3 StVG eine Einschränkung der Halterhaftung für Anhänger enthält. Warum das so ist, ist im Detail keine ganz leicht zu beantwortende Frage, weil auch die Kommentarliteratur zu den Einzelheiten häufig schweigt. Klar ist zunächst, dass § 19 I 3 StVG den Rechtsgedanken des § 8 Nr 1 StVG fortsetzt. Kraft

fahrzeuge

, die baubedingt nicht schneller als 20 km/h fahren können (häufig landwirtschaftliche, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, StraßenverkehrsR 28. Aufl 2024, § 1

9 StVG

Rn 98), sind nach der Idee des Gesetzgebers abstrakt weniger gefährlich und müssen nicht von der

Gefährdungshaftung

des StVG erfasst sein. Das soll auch für Anhänger gelten, allerdings eben nur dann, wenn sie wiederum mit einem Kfz verbunden sind, das nicht schneller als 20 km/h fahren kann. Vermutlich ist die Idee dahinter, dass ein nicht verbundener, ins Rollen kommender oder sonst wie "angestupster" Anhänger ohne Weiteres und auch zügig eine Geschwindigkeit von mehr als 20 km/h erreichen kann, was seine Gefährlichkeit wiederum erhöht. Ein verbundener Anhänger wird dagegen in der Geschwindigkeit regelmäßig auf die maximale Geschwindigkeit des verbundenen Fahrzeugs beschränkt sein, was die Ausnahme von der

Gefährdungshaftung

rechtfertigen könnte. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

JI

Jimmy105

20.10.2024, 12:16:14

Wenn das so ist, dann gebietet sich imo eine teleologische reduktion des § 19 in den Fällen, in denen das anstoßende Fahrzeug nicht schneller als 20 kmh gefahren ist (sofern nachweisbar).


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