Referendariat

Die ZVR-Klausur

Vollstreckungserinnerung, § 766 ZPO

Verstoß gegen allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung (Heilung)

Verstoß gegen allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung (Heilung)

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

G hat eine titulierte Forderung gegen S. Auf Gs Antrag hin begibt sich der Gerichtsvollzieher zu S und pfändet dessen Münzsammlung. Da S der Titel nicht zuvor oder zeitgleich zugestellt worden ist, legt er Vollstreckungserinnerung ein. Kurz darauf erfolgt die Zustellung. ‌

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Einordnung des Falls

Verstoß gegen allgemeine Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung (Heilung)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Vollstreckungserinnerung ist statthaft (§ 766 ZPO).

Ja, in der Tat!

Eine Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO ist statthaft, wenn der Erinnerungsführer gegen eine Vollstreckungsmaßnahme mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts vorgeht. S stützt seine Vollstreckungserinnerung auf die fehlende Zustellung des Titels. § 750 Abs. 1 ZPO, der die Zustellung des Titels anordnet, ist formelles Recht. S rügt somit die Verletzung formellen Rechts, sodass eine Vollstreckungserinnerung statthaft ist.
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2. Die Vollstreckungserinnerung ist aber mangels Erinnerungsbefugnis des S unzulässig.

Nein!

Eine Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) ist zulässig, wenn (1) Statthaftigkeit, (2) Erinnerungsbefugnis, (3) Zuständigkeit und (4) Rechtsschutzbedürfnis gegeben sind. Der Vollstreckungsschuldner ist erinnerungsbefugt, wenn das formelle Recht, dessen Verletzung er behauptet, nicht nur drittschützend ist. Zuständiges Vollstreckungsgericht (§ 766 Abs. 1 ZPO) ist bei Sachpfändungen das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckung erfolgt (§ 764 Abs. 2 ZPO). Das Rechtsschutzbedürfnis besteht, wenn die Zwangsvollstreckung unmittelbar bevorsteht oder bereits begonnen hat und die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme noch nicht vollständig beendet ist. S rügt die fehlende Titelzustellung, also eine Verletzung von § 750 Abs. 1 ZPO. Diese Norm bezweckt den Schutz des Vollstreckungsschuldners. S ist somit erinnerungsbefugt. Mangels anderer Angaben ist davon auszugehen, dass das angerufene Gericht zuständig ist und das Rechtsschutzbedürfnis besteht.

3. Eine Vollstreckungserinnerung ist begründet, wenn nicht alle Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vorliegen.

Genau, so ist das!

Eine Vollstreckungserinnerung des Vollstreckungsschuldners ist begründet, wenn die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme nicht zulässig ist. Dies ist der Fall, wenn bei der Vollstreckungsmaßnahme (1) die allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen der Zwangsvollstreckung, (2)  die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung oder (3) die besonderen Voraussetzungen der Art der Zwangsvollstreckung verletzt wurden. ‌

4. Die Zustellung des Titels ist eine allgemeine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung.

Ja, in der Tat!

Zu den allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung gehören: (1) der Titel (§ 750 Abs. 1 ZPO) (2) die Klausel (§§ 724, 725 ZPO) (3) die Zustellung (§ 750 Abs. 1 ZPO) und (4) der Antrag (§§ 753, 754 ZPO) Die Zustellung des Titels wird von § 750 Abs. 1 ZPO angeordnet und gehört zu den allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung.

5. Eine Vollstreckungserinnerung des Vollstreckungsschuldners ist begründet, wenn die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme nicht zulässig ist. Ist hierbei der Zeitpunkt der Vollstreckungshandlung entscheidend?

Nein!

Eine Vollstreckungserinnerung des Vollstreckungsschuldners ist begründet, wenn die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme nicht zulässig, also die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung nicht vorliegen. Maßgeblich hierfür ist jedoch nicht der Zeitpunkt der Vollstreckungshandlung, sondern der Zeitpunkt der Beschlussfassung, da formelle Verstöße bei der Zwangsvollstreckung auch geheilt werden können. Entscheidend ist also, ob die angegriffene Vollstreckungsmaßnahme zum Zeitpunkt der Beschlussfassung zulässig ist, also ob zu diesem Zeitpunkt die Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen. ‌

6. Die Vollstreckungserinnerung des S ist begründet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Vollstreckungserinnerung des Vollstreckungsschuldners ist begründet, wenn die angegriffene Maßnahme zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht zulässig ist. Der Titel war S zunächst nicht zugestellt worden, sodass ein Verstoß gegen § 750 Abs. 1 ZPO vorlag. Kurz nachdem S Vollstreckungserinnerung eingelegt hatte, wurde die Zustellung jedoch nachgeholt und damit geheilt (§ 189 ZPO). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung ist das Erfordernis der Titelzustellung also erfüllt und die Vollstreckungserinnerung daher unbegründet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SAR84

sar84

2.9.2024, 13:10:49

Wenn es auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung ankommt, dann brauche ich als Gläubiger doch faktisch nie warten bis zugestellt würde und Vollstrecke sofort, weil der Titel (per Post) ja dann irgendwann in den nächsten Tagen eintreffen wird. Bis aber das Vollstreckungsgericht seine Entscheidung getroffen hat, vergehen doch Monate (oder sind die schneller unterwegs?). Was soll dann die Zustellung noch schützen?

EN

Entenpulli

3.10.2024, 11:10:15

Es besteht trotzdem ein Unterschied zwischen einer Vollstreckung mit und einer ohne Zustellung. Sinn und Zweck einer Heilung ist ja, dass es eine unnötige Förmelei wäre, die Handlung (hier die Vollstreckung) abzulehnen, nur damit die identische Handlung (im konkreten Fall: Nun nach erfolgter Zustellung) direkt im Anschluss daran erneut durchgeführt wird. Nicht anders wäre es hier.


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