Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Die Bundesregierung

Auflösung des Parlaments – Vertrauensfrage (Art. 68 GG)

Auflösung des Parlaments – Vertrauensfrage (Art. 68 GG)

26. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Bundeskanzler O hat die Nase voll: In den Sitzungen des Bundestags geht es immer häufiger nur noch darum, welche Partei Schuld an all den Krisen hat. Auf Lösungen können sich die Regierungsparteien kaum noch einigen. O verkündet daher, dass er Neuwahlen anstrebt.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O will die aktuelle Regierungskonstellation beenden. Hat der Bundeskanzler die Befugnis, den Bundestag aufzulösen (vgl. Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG)?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Deutsche Bundestag wird immer für eine Legislaturperiode von vier Jahren gewählt (Art. 39 Abs. 1 S. 1 GG). In der Weimarer Reichsverfassung konnte der Reichspräsident das Parlament, den Reichstag, allein auflösen (Art. 25 WRV). Diese Befugnis, von der wiederholt Gebrauch gemacht wurde, wird als eine der wesentlichen Schwächen des parlamentarischen Systems von Weimar gesehen. Aus diesem Grund hat nach dem Grundgesetz weder der Bundeskanzler noch der Bundespräsident die Befugnis, das Parlament aufzulösen.
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2. O kann den Bundestag nicht auflösen. Könnte sich der Deutsche Bundestag selbst durch Beschluss auflösen?

Nein!

Der Deutsche Bundestag hat kein Selbstauflösungsrecht. Dieses bezeichnet das Recht eines Parlaments, sich durch eigenen Beschluss selbst aufzulösen, um anschließend Neuwahlen zu ermöglichen. Während die Verfassungen anderer Länder (z.B. Österreich) ein solches Recht vorsehen, wurde ein Selbstauflösungsrecht ganz bewusst nicht ins Grundgesetz aufgenommen: Der weitgehende Ausschluss von Auflösungsrechten durch Präsident, Kanzler oder Parlament soll verhindern, dass das parlamentarische System – wie in der Weimarer Republik – durch seine Gegner destabilisiert und durch Dauerwahlkämpfe gelähmt wird.

3. Der Deutsche Bundestag muss in jedem Fall für die gesamte Legislaturperiode bestehen bleiben (vgl. Art. 68 Abs. 1 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Grundgesetz sieht die Möglichkeit, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen vor regulärem Ablauf der Legislaturperiode abzuhalten, nur in zwei eng umgrenzten Ausnahmefällen vor. Erstens: Nach einer Bundestagswahl findet sich im Bundestag auch im letzten Wahlgang keine Mehrheit für die Wahl eines Bundeskanzlers (Art. 63 Abs. 4 GG). Zweitens (und in der Praxis relevant): Eine vom Bundeskanzler gestellte Vertrauensfrage wird durch den Bundestag abgelehnt und der Bundestag wählt seinerseits keinen anderen Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder (Art. 68 Abs. 1 GG). In beiden Fällen kann dann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und es kommt innerhalb von 60 Tagen zu Neuwahlen. Dass unter bestimmten Voraussetzungen eine Neuwahl vor Ablauf der Legislaturperiode nötig sein muss, zeigt sich am Beispiel der Ampel-Koalition (20. Bundestag): Ist eine Regierung nicht mehr fähig, politische Entscheidungen für das Land zu treffen, weil sich die Vertreter der Regierung nicht einig werden, muss es die Möglichkeit geben, vorzeitig neu zu wählen und diese „Lähmung“ des Parlaments zu beenden.

4. Der Bundeskanzler kann mit der sog. Vertrauensfrage prüfen, ob im Bundestag noch eine Mehrheit der Abgeordneten hinter ihm steht (Art. 68 Abs. 1 GG).

Ja, in der Tat!

Der Bundeskanzler kann auf Antrag überprüfen lassen, ob er noch die Zustimmung der Mehrheit des Bundestagsabgeordneten hat (Vertrauensfrage). Ist dies nicht der Fall, ist der Bundeskanzler zunächst nicht verpflichtet, darauf zu reagieren. Er hat aber die Möglichkeit, den Bundespräsidenten darum zu ersuchen, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen einzuleiten (Art. 68 Abs. 1 S. 1 GG). Die Vertrauensfrage wurde in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fünf Mal gestellt, drei mal wurde dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht ausgesprochen, mit der Folge von Neuwahlen (zuletzt 2005 Gerhard Schröder). Im November 2024 hat Bundeskanzler Scholz angekündigt, die Vertrauensfrage Anfang 2025 stellen zu wollen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JI

Jimmy105

12.11.2024, 12:52:42

An der Stelle wären einige vertiefende noch konkretere Hinweise zur Weimarer Republik hilfreich.👍🏼

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

13.11.2024, 09:55:54

Hallo Jimmy105, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

13.11.2024, 10:28:16

Hey @[Jimmy105](252785), danke für deinen Vorschlag. Wir haben vor, hier noch weitere Aufgaben zu diesem Thema zu ergänzen. In der Zwischenzeit hier schon mal ein grober Überblick: 1. Der häufige Gebrauch des Selbstauflösungsrechts in der Weimarer Republik führte zu großer Instabilität: Der Reichstag wurde zwischen 1919 und 1933 acht Mal aufgelöst. Dies führte zu häufigen Neuwahlen und kurzen Legislaturperioden – insgesamt erlebte die Weimarer Republik innerhalb von 14 Jahren 16 Reichsregierungen mit einer durchschnittlichen Dauer von acht Monaten. 2. Besonders kritisch wird die Selbstauflösung des Reichstags 1930 gesehen: Die Große Koalition unter Hermann Müller (SPD) zerbrach am Streit über die Arbeitslosenversicherung, der Reichstag löste sich auf. Dies führte zur Präsidialregierung unter Brüning. Damit begann die Phase der Präsidialkabinette, die das parlamentarische System weiter schwächten: Denn das wesentliche Merkmal dieser Präsidialkabinette bestand darin, dass durch Notverordnungen statt durch parlamentarische Gesetzgebung regiert wurde (siehe Art. 48 WRV). 3. Die Möglichkeit der Selbstauflösung wurde auch taktisch missbraucht: Parteien drohten mit Selbstauflösung, um Druck auszuüben. Zudem begünstigten die häufigen Neuwahlen die NSDAP (bei den Wahlen im Juli 1930 und 1

932

). Die letzte Auflösung im Dezember 1

932

/Januar 1933 führte dann zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Viele Grüße – Linne, für das Jurafuchs-Team

JI

Jimmy105

13.11.2024, 13:02:25

@[Linne_Karlotta_](243622) Du bist meine Rettung


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